„Krass“ findet Orthopäde Dr. Dominik Scheruhn diese Zahlen. Ob er ebenfalls einen Anstieg der orthopädischen Erkrankungen seit Beginn der Pandemie beobachte? „Aus dem Gefühl heraus: ja“, berichtet der Mediziner, der im Hofer Zentrum für Orthopädie und Neurochirurgie praktiziert. Die Arbeit im Homeoffice sowie die Schließung von Fitnessstudios und der Ausfall des Reha-Sports in den Lockdowns habe zu Problemen durch Bewegungsmangel geführt. Das jedoch oft ohne Not, wie der Experte betont: „Die Pandemie wird gerne als Grund vorgeschoben, weshalb man sich jetzt nicht mehr bewegen kann.“
Dabei könne Bewegung ja durchaus auch im Freien stattfinden, oder eben zu Hause am eigenen Trainingsgerät. „Man muss eben Alternativen suchen und kreativ sein“, sagt Scheruhn. Gerne rät er seinen Patienten, sich ein Rudergerät anzuschaffen, um Präventionssport in den eigenen vier Wänden betreiben zu können. „Es trainiert Ober- und Unterkörper. Außerdem ist es gelenkschonend.“
Auch schlechte Haltung bei der Arbeit im Homeoffice kann die orthopädische Gesundheit beeinträchtigen. „Viele haben gerade zu Beginn der Pandemie mit dem Laptop auf dem Küchentisch gearbeitet“, sagt Scheruhn. Zudem seien die Stühle im Homeoffice oft nicht optimal. Die Folge der ungewohnten, nicht ergonomischen Gegebenheiten seien etwa Verspannungen im Nacken, die zu Kopfschmerzen mit Schwindel führen können. Auch zu Beschwerden der Lenden- und Brustwirbelsäule könne es kommen.
Nicht selten hätten Fehlhaltungen und Verspannungen aber auch ihre Ursache in der Psyche. Denn manchmal scheint der Kopf zu schwer zu tragen – und der Körper duckt sich weg. Scheruhn weiß das: „Viele Menschen hat die Situation an sich belastet. Es haben schon viele erzählt, dass es sie bedrückt.“
Auch das zeigen die Zahlen der DAK. Bei den Fehltagen der Beschäftigten stehen an zweiter Stelle psychische Erkrankungen. Jeder siebte Fehltag (14,2 Prozent) wurde 2020 von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen verursacht. Die Anzahl der Fehltage in diesem Bereich stieg um rund 33 Prozent auf 249 je 100 Versicherte. „Menschen mit psychischen Erkrankungen haben unter den Einschränkungen und Belastungen der Pandemie gelitten“, sagt Stefan Römer von der Krankenkasse. „Sie waren während der Krise oft über auffällig lange Zeiträume krankgeschrieben. Deshalb der Anstieg der Fehltage in dem Bereich.“
Auch der sozialpsychiatrische Dienst der Diakonie Hochfranken hatte während der Pandemie eine Zunahme an Beratungsfällen zu verzeichnen, wie dessen Leiter Martin Schuster im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet. „Zu bestehenden Problemen sind noch weitere obendrauf gekommen“, erklärt er zur Ursache. Dazu gehörten Existenzängste wie die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch Stress und Einsamkeit. Wer in „fragilen Beziehungssystemen“ lebe, sich schwertue, mit anderen in Kontakt zu kommen, dem falle das jetzt noch schwerer. Hinzu kämen Überlastungszustände von Eltern im Homeoffice, die gerade in Zeiten des Distanzunterrichts einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt waren.
Wer die Arbeit zu Hause psychisch verträglicher gestalten möchte, müsse sich zunächst selbst fragen, an welchen Stellschrauben er drehen könne: „Wo brauche ich noch mehr Struktur?“ Einen geregelten Arbeitsalltag, zu dem auch Pausen gehören, müsse man sich selbst schaffen. Ist die Stimmung doch einmal im Keller, könne Bewegung an der frischen Luft die Stimmung aufhellen.
Hat sich bereits eine psychische Krankheit entwickelt, ist das nicht mehr so einfach. Dann ist die Hilfe eines Therapeuten, Psychologen oder Psychiaters gefragt. Wenn es schnell gehen muss, können sich Betroffene an den sozialpsychiatrischen Dienst der Diakonie wenden. Dort sind Termine innerhalb von 14 Tagen möglich. Für den Fall einer akuten Krisensituation sind die Fachkräfte des Krisendienstes Oberfranken rund um die Uhr erreichbar.
Telefonnummer:
Sozialpsychiatrischer Dienst: 09281/837530 (Hof; hier Terminvereinbarung außerhalb der Sprechzeiten), 09251/850131 (Münchberg), 09282/9621913 (Naila)
Krisendienst Oberfranken: 0800/6553000