Der Affe muss alles neu lernen
Der kleine Orang-Utan wird konfisziert und im Zoo von Kuwait untergebracht. Wieder befindet er sich in einer neuen, unbekannten Umgebung, ohne jede mütterliche Fürsorge. Wahrscheinlich durchleidet er dort auch noch einen kalten Entzug.
Dann hat Taymur erneut Glück: Die BOS Foundation tritt auf den Plan und will ihn - zusammen mit der indonesischen Regierung - zurück in die Heimat und sein natürliches Habitat bringen. Aber alle Seiten wollen beim Gerangel um den kleinen Primaten das Gesicht wahren - und so folgen fast ein Jahr komplizierter diplomatischer Verhandlungen.
2017 fliegt Taymur schließlich begleitet von einem Veterinär nach Jakarta und wird nach der Quarantäne ins BOS-Schutzzentrum Nyaru Menteng in Zentral-Kalimantan gebracht. Jetzt gilt es für ihn: Taymur muss alles neu lernen. Denn eigentlich leben Orang-Utan-Kinder die ersten sechs bis acht Jahre bei ihren Müttern, die sie mit allem Wissen ausstatten, das sie für das Leben im Urwald brauchen - wie sie Futter finden, Schlafnester bauen, sich vor Feinden schützen.
Tierschützer anfangs skeptisch
Orang-Utan bedeutet „Mann des Waldes“. Die rotbraunen Menschenaffen kamen einst in weiten Gebieten Südostasiens vor. Heute leben sie nur noch auf den Inseln Borneo und Sumatra. Schätzungen zufolge könnten sie in freier Natur in wenigen Jahrzehnten ausgestorben sein - Wilderei und der Verlust des Lebensraums sind die größte Bedrohung.
Taymur besucht also die Waldschule. Anfangs ist er extrem anhänglich, will seine Pfleger gar nicht loslassen und ernährt sich fast nur von Gurken und Tee - nicht die Art von Nahrung, die er im Urwald finden würde. Selbst die Tierschützer sind skeptisch, ob er je ausgewildert werden kann. Dann aber habe er „eine bemerkenswerte Verwandlung“ gezeigt, erinnert sich der örtliche Programm-Manager Denny Kurniawan.
Auch dank seiner Interaktion mit anderen Orang-Utans gleichen Alters passt er sich den neuen Bedingungen an und lernt schnell. Ein Video von 2019 zeigt, wie Taymur bereits selbstbewusst auf Bäume klettert, geschickt Früchte schält und übermütig mit seinen Kumpels Moza und Junior herumtollt, ebenfalls Opfer des internationalen Tierschmuggels. „Das alles machte ihn zu einem hervorragenden Kandidaten für die Vorauswilderungsinsel“, sagte Kurniawan. Diese letzte Stufe vor der Freiheit wird passend „Walduniversität“ genannt.
Menschen sollen dem Tier wieder fremd werden
Und dort ist er nun für die nächsten ein bis drei Jahre, im Wald der Flussinsel Salat Island. Jetzt muss Taymur beweisen, dass er wirklich bereit für den Dschungel ist. Auch sollen ihm die Menschen wieder fremd werden - denn erst wenn Orang-Utans sich misstrauisch und ablehnend verhalten, sind sie wahrhaft wild. Allerdings erhalten die Tiere hier täglich eine Lieferung Obst und Gemüse, da die Insel ihnen nicht ausreichend Nahrung bieten würde. „Ich werde ihn vermissen“, sagt seine frühere Betreuerin Sri. „Aber ich bin so glücklich, dass er der Freiheit nun einen Schritt näher gekommen ist.“
Ein untypisches Verhalten, das wohl noch aus der Zeit in Kuwait stammt, hat Taymur hingegen nie abgelegt: Er wäscht sich ständig die Hände im Fluss. „Taymurs Leben könnte verrückter nicht sein. Ehrlich gesagt hatte ich große Zweifel ob seiner Auswilderungschancen“, sagt Merdes. „Aber wenn es ein Taymur mit seinen denkbar schlechten Startchancen schaffen kann, dann gibt es noch Hoffnung.“