Wunsiedel Luisenburg als Musical-Treffpunkt und Kontaktbörse

Das dritte Musical-Symposium auf der Luisenburg untersucht das Verhältnis von künstlerischem Anspruch und Praxis. Auch die Situation durch und nach Corona war Thema.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Wunsiedel/Tröstau - Zum dritten Mal war die Luisenburg am Wochenende Treffpunkt für die internationale Fachwelt des Musicals. Doch Initiatorin Birgit Simmler, die künstlerische Leiterin der Luisenburg-Festspiele, und Reinhard Simon, der Vorsitzende der Deutschen Musical Akademie, hatten nicht nur Intendanten, Produzenten, Regisseure und Dramaturgen eingeladen. Auch Darsteller, Musical-Studenten und Absolventen der Ausbildungsstätten kamen zu Wort. Außerdem interpretierten sie am Samstagabend Ausschnitte aus etablierten, aber auch aus neuen, noch weitgehend unbekannten Musicals.

„Perspektiven des Musicals 2021. Träume und Realität: künstlerischer Anspruch vs. Produktionspraxis“ – so lautete das Motto des dreitägigen Treffens. Und gerade, was diese Gegenüberstellung angeht, hatten die Absolventen Überraschendes zu beizutragen.

Darsteller-Stimmen

„Das Leben am Theater ist wesentlich schöner, als es uns im Studium prophezeit wurde“, sagte beispielsweise der durchaus kritische Musicaldarsteller Simon Tobias Hauser. Sein Kollege Alejandro Nicolás Firlei Fernandez berichtete von Selbstzweifeln in der Zeit des Lockdowns, mit dem er gleich nach seinem Abschluss zurechtkommen musste; er sprach aber auch von der Erkenntnis, als es wieder losging, dass man sein Handwerk doch gut gelernt habe: „Das Studium war der Feinschliff, durch den ich jetzt frei werden darf.“ Die jungen Darsteller scheuten sich auch nicht, vor den Musical-Fachleuten Wünsche zu äußern, als Birgit Simmler sie dazu aufforderte. Diese Wünsche waren unter anderem „generell mehr Diversität in den Produktionen“ und „Künstler sollten sich nicht unter Wert verkaufen“ oder auch, dass es wichtig sei, „dass Theater aus Überzeugung produziert und gemacht wird“.

Die Bedeutung des Genres Musical hatte zu Beginn schon der Obmann im Ausschuss für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, der Abgeordnete Erhard Grundl (Die Grünen), betont. Die Pandemie habe gezeigt, sagte er, wie wichtig es sei, alle Kulturarten zu erhalten. „Uns als Gesellschaft muss klar sein: wenn sie wegfallen, wird es still im Lande.“ Das schließe auch die Bühnenarbeiter ein, die sich ohne Unterstützung im Lockdown andere Stellen gesucht hätten. Denn: „Wenn die Expertise abwandert, wird es schwer, die Kultureinrichtungen zu erhalten.“ Umdenken sei angesagt: „Die Hierarchie von U und E ist von vorvorgestern.“ Das Musical sei oft näher am Puls der Zeit als andere Sparten. „Es hat eine Sprache gefunden, die sich über Grenzen hinwegsetzt, und übt in seiner Breitenwirkung eine große Faszination auf die Menschen aus.“ Daher brauche es verlässliche Hilfen, die eine langfristige Existenz garantierten.

Traumhafte Kulisse

Per Audio-Botschaft grüßten Dr. Florian Hermann, Leiter der Staatskanzlei und Minister für Bundesangelegenheiten und Medien, sowie Bernd Sibler, Minister für Wissenschaft und Kunst, ein erklärter Freund der Luisenburg-Festspiele. Er sagte: „Ich bin immer wieder begeistert von der Kreativität der Musicalszene. Das Symposium ist eine hervorragende Plattform für einen fruchtbaren Gedankenaustausch.“ In der „traumhaften Kulisse“ der Luisenburg „können Sie sich auf das Wesentliche konzentrieren und Ihrer Kreativität freien Lauf lassen“. Auch Bürgermeister Nicolas Lahovnik begrüßte die internationalen Gäste in Wunsiedel. Er sei stolz, sagte er, dass „das Who is Who des Musicalbetriebs hier ist“.

Konkret ging dann die Autorin und Dramaturgin Dr. Susanne Schulz auf die generelle Situation des Musicals ein. Sie habe, sagte sie, schon vor Corona eine zunehmende Beweisführungsnot für die Existenzberechtigung der Theater festgestellt, den „Legitimationsleierkasten“: ,Bitte schafft uns nicht ab!’.“ Dann, mit den Einsparungsmaßnahmen und dem Lockdown, „wurden auf einen Schlag alle abgeschafft“. Besonders schockiert sei sie gewesen, dass es, als die Theater – auch die öffentlich subventionierten – geschlossen wurden, keinen öffentlichen Aufschrei gegeben habe. Sie unterstrich daher: „Theater erlaubt Gefühl; es fördert Respekt und Achtsamkeit gegenüber anderen Menschen; es ist Herzens-, Verstandes- und Sinnesbildung hier und jetzt. Theater ist kein überflüssiger Luxus!“

Neue Chancen

Schulz’ Fazit: „Wenn es nach Corona eine tiefgründige Chance gibt, dann, dass wir erkennen, dass viele von uns sich viel zu lange in einer Blase bewegt haben. Diese Blase ist geplatzt. Das hat aber auch den Blick geöffnet für neue Chancen. Es werden viele Veränderungen auf uns zukommen“, prophezeite sie und forderte die Kollegen auf: „Träumen Sie! Brechen Sie auf! Beginnen Sie neu! Erfinden Sie sich und Ihre Theater neu!“

Im Gespräch mit Susanne Schulz und Birgit Simmler berichteten verschiedene Intendanten und Musical-Produzenten, wie die Situation ihrer Theater nach dem Lockdown ist. Der Tenor: Es geht ihnen allesamt nicht gut, sie haben sehr unter Corona gelitten und tun es immer noch. Da mussten etwa Premieren aufwendiger Stücke zwei Tage vor der Premiere abgesagt werden. In einem Fall war zu den Pandemie-Beschränkungen auch noch das Hochwasser gekommen. „Unsere Bühne stand unter Wasser; der Schaden wird auf zehn Millionen Euro geschätzt.“

Angesichts der strikten Maßnahmen wegen Corona fragte Simmler die Kollegen dann: „Habt Ihr das Gefühl, Ihr habt eine Lobby? Warum ist die Situation in den Theatern so viel anders als bei Fußballspielen?“

„Theater fehlt!“

Doch die Intendanten und Produzenten gaben zu bedenken, dass der „Wind woanders noch ein Stück rauer weht“, wie Ralf Kokemüller von Mehr-BB Entertainment sagte. „Im Vergleich mit den USA geht’s uns schon noch gut“, ergänzte Oliver Graf, Intendant des Theaters für Niedersachsen. „Die Met in New York hat in der Pandemie Chor und Orchester entlassen. Dort gibt es keine Kurzarbeit oder irgendeine soziale Absicherung.“ Ihn ärgere aber vor allem eines: „Kein CEO hat gesagt: ,Theater fehlt!’ – Das hätte uns viel mehr geholfen.“

Hier könnte, sagte Susanne Schulz, das Musical eine Chance sein. „Denn davon haben doch die meisten Leute eine Vorstellung; es könnte die Eintrittskarte sein, um die Leute an das Theater heranzuführen.“

Wie fruchtbar der Austausch und die Möglichkeiten des Musical Symposiums, das auch Kontaktbörse ist, sein können, zeigte sich am Samstagabend nach einer Reihe interner Diskussionen, als die Künstler Stück-Ausschnitte vorstellten. So hatte die erste Auflage des Treffens 2019 die Norweger Øystein Wiik und Gisle Kverndokk nach Wunsiedel gebracht. Von ihnen ist in der aktuellen Spielzeit „Der Name der Rose“ auf der Luisenburg zu sehen. Auch nächstes Jahr wird hier, wie Birgit Simmler ankündigte – wenn der Wunsiedler Stadtrat zustimmt – ein Musical von den beiden zu erleben sein: „Trolle.com“ – ein Stoff, von dem man sich schon nach der ersten Kostprobe vorstellen kann, dass er gut zwischen die Felsen passt.

Auch dass das italienische Erfolgsmusical „Pinocchio“ heuer als deutschsprachige Erstaufführung in Wunsiedel gezeigt wird, ist das Ergebnis des ersten Symposiums 2019. Und es sollen, wie Simmler andeutete, weitere Musicals aus solchen Kontakten auf die Luisenburg kommen; etwa „Frankenstein“ als „Frucht“ des zweiten Symposiums, als es um Kooperationen ging und darum, Uraufführungen nachzuspielen. Das Musical, von dem es bislang erst zwei Songs gibt – einer war am Samstag zu hören – entsteht in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Fürth.

Simmlers Fazit

So fällt das Fazit von Birgit Simmler überaus positiv aus. „Ich bin schwer begeistert vom Verlauf de Symposiums, von der Vielfalt der Gäste und der unglaublich konstruktiven Atmosphäre.“ Die Teilnehmer hätten ihre Bedürfnisse und Profile so dargestellt, dass weitere Kooperationen entstanden seien. Auch die Gäste hätten ihr ein hervorragendes Feedback zum Symposium gegeben. „Sie lobten die Atmosphäre, die Diskussionen auf Augenhöhe und das konzentrierte und respektvolle Arbeiten. Das Feedback, das ich am bemerkenswertesten finde, ist eines zur klaren Darstellung der kulturellen Vielfalt innerhalb des Genres; dass sich sowohl Theatermacher als auch Produzenten als Partner begreifen können und es Platz genug für alle gibt.“

Autor

Bilder