Im Klartext bedeutet das: Die Bundesregierung und ihre Kanzlerin brechen die Verfassung, wenn sie Flüchtlinge ungehindert einreisen lassen. Diese Rechtsmeinung stammt vom ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio, der das bayerische Rechtsgutachten im Auftrag der Staatsregierung verfasste.
Dass Merkel einen derart gravierenden Vorwurf nicht reumütig hinnehmen könnte und würde, war von vornherein klar. Die Antwort aus Berlin fällt dementsprechend kühl aus: „Im Ergebnis sieht die Bundesregierung weder Raum für den Vorwurf, der Bund habe im Zusammenhang mit seiner Flüchtlingspolitik rechtliche Bindungen nach dem Unionsrecht oder nach nationalem Recht missachtet, noch für den Vorwurf, der Bund habe keine Schritte zur Reduzierung der Zahl der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden unternommen“, heißt es in Merkels Schreiben.
Die Frage ist: Was nun? Ende Januar hatte Seehofer es so dargestellt, als bliebe der Staatsregierung für den Fall eines Neins der Kanzlerin zu den bayerischen Forderungen keine Wahl als der Gang vors Verfassungsgericht - Verfassungsbruch ist schließlich Verfassungsbruch. „Das liegt gar nicht im Ermessen des Freistaates Bayern“, sagte Seehofer damals.
Inzwischen ist zumindest klar, dass es sich sehr wohl um eine Ermessensfrage handelt. Und das Ermessen hängt von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen ab. „Wir werden nicht aufgrund des Briefes eine Klage einreichen, sondern aufgrund einer Situation“, formuliert Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU).
Die aktuelle Situation: stark zurückgegangene Flüchtlingszahlen. In den ersten drei Aprilwochen kamen noch 4200 Menschen nach Bayern - so viele und noch mehr waren es auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Tag für Tag. Sollte es dabei bleiben, wird es auch keine bayerische Klage geben.
Doch was geschieht, wenn die Flüchtlingszahlen wieder stark steigen? „Wir behalten uns die Einreichung dieser Klage vor“, sagt Huber. Geht es nach Merkel, wird es keine zweite große Flüchtlingswelle geben - weil die EU die Flüchtlinge an den Außengrenzen aufhalten soll, lange bevor sie die deutsche Grenze erreichen. Insofern ist eine bayerische Klage gegen Merkels Politik nach jetzigem Stand unwahrscheinlicher denn je.
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Den vollständigen Seeofer-Brief finden Sie hier.
dpa