Mehr als 600 Menschen mit und ohne Behinderung feiern zusammen im Tanzcenter Krug Inklusion: Am Rollator durch die Disco

Von Sarah Bernhard

Mehr als 600 Menschen mit und ohne Behinderung feierten am Samstagabend gemeinsam im Tanzcenter Krug. Einer von ihnen war Pankraz Frenzel (66) aus den Dr.-Loew-Einrichtungen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung - der mit seinen ebenfalls über 60-jährigen Mitbewohnern die Party rockte.

 
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Pankraz Frenzel kann warten. Völlig unbewegt sitzt der 66-Jährige an einem Tisch im Partyraum, aus den Boxen über ihm kommt leise Rap. Noch eine Stunde bis zum Auftritt der Partyband Essig & Öl. „Da lassen wir dann die Sau raus“, sagt Pankraz.

Mit dem Bus sind er und rund 40 weitere Bewohner der Dr.-Loew-Einrichtungen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ins Tanzcenter nach Breitenlesau gekommen. Sie sind zwischen 20 und Mitte 60, manche tragen Krawatte und Lackschuhe, manche noch ihre Jacke. Eine ältere Dame kommt im lila Blümchenrock, eine andere mit Bundfaltenhose. Eine junge Frau hat einen Helm auf, um Verletzungen durch Stürze zu vermeiden und geht am Rollator durch die Disko.

"Früher war ich oft beim Tanztee"

Pankraz hat sich für ein graues Sweatshirt entschieden. „Früher war ich oft beim Tanztee“, sagt er. Aber mittlerweile gebe es in Bayreuth keine Veranstaltungen mehr für Menschen mit Behinderung, sagt Daniela Werner, die stellvertretende Einrichtungsleiterin. Als sie deshalb mit der Idee einer Party für Menschen mit und ohne Behinderung ans Tanzcenter herantrat, hätten Krugs sofort ja gesagt.

Einfach hat Werner es an diesem Abend nicht: Manche Bewohner dürfen keinen Alkohol trinken, weil sie starke Medikamente nehmen. Doch das ist in einer Disko schwer zu kontrollieren. Bei manchen bestehe die Gefahr, dass die blinkenden Lichter epileptische Anfälle auslösten. „Aber wir lassen uns nicht abschrecken und versuchen, eine größtmögliche Normalität herzustellen.“

Nach drei Sekunden ist die Tanzfläche voll

Als die Band um Sänger Wolfi endlich die Bühne stürmt, und die ersten Takte von Hubert von Goiserns „Koa Hiatamadl“ anstimmt, gibt es die erstmal nicht: Nach drei Sekunden ist die Tanzfläche voll. Ganz vorne steht Pankraz. Immer noch völlig unbewegt. Doch „Koa Hiatamadl mog i net, hot koane dick'n Wadln net“, singt er voller Inbrunst.

Neben ihm tanzt ein anderer über 60-Jähriger ausgelassen und mit glücklichem Lächeln im Gesicht, immer wieder klatscht er die Umstehenden ab. Zwei andere versuchen einen einfachen Discofox. Die Dame mit Blümchenrock hat sich bei Daniela Werner eingehakt, die beiden drehen sich im Kreis. „Sie können sich viel mehr auf die Musik einlassen und gehen dann sofort ab“, sagt Werner lachend.

"Na ja, die können ja eigentlich nix dafür"

Hinter den Tanzenden steht ein recht angetrunkener Mann und gestikuliert. „Diiiiiie“, schreit er, und tippt sich demonstrativ an die Stirn. „Gott sei Dank sind die in einer Stunde wieder weg.“ Er nimmt einen Schluck Bier. Und noch einen. Und guckt die Frau im Blümchenrock plötzlich nachdenklich an. „Na ja, die können ja eigentlich nix dafür“, sagt er dann. „Und ich gönn’s ihnen ja, weil die Band ist echt geil!“ Dann beginnt auch er, voller Inbrunst zu singen.

Essig & Öl spielt den ganzen Abend umsonst. „Wir machen das gern“, sagt Gitarrist Simon Müller (21). „Weil auch Behinderte die Möglichkeit haben sollten, in die Disko zu gehen und zu feiern.“ Und Gitarrist Julian Hümmer (23) ergänzt: „Das kann so schnell gehen. Und wenn ich in so einem Heim wäre, würde ich auch mal weggehen wollen.“

"Die fallen hier gar nicht auf"

Immer mehr Menschen drängen sich nun vor der Bühne: Mehr als 600 Besucher wird die Disko an diesem Abend haben, und spätestens, als es am Bühnenrand Freibier gibt, vermischen sich die Gruppen vollständig. Die Frau im Blümchenrock tanzt nun neben einem jungen Mädchen, neben Pankraz grölt ein Langhaariger mit Metal-T-Shirt, dass die Freiheit über den Wolken wohl grenzenlos sein müsse. Und der 66-Jährige steht ihm auch nach zwei Stunden singen in nichts nach. „Wenn nur fünf Menschen mit Behinderung da sind, ist das immer gleich ein Stigma“, sagt Einrichtungsleiter Martin Kneidl, der die Szene aus dem Hintergrund beobachtet. „Aber hier fallen sie gar nicht auf. Das ist Inklusion.“