Martin Sonneborn über seltsame Politiker, Aktionen an der Grenze der Satire und Reißzwecken auf Stühlen Sonneborn: „Abschaum des Parlaments“

Von Wolfgang Karl
"Großbritannien und Ungarn rauskicken": Martin Sonneborn. Foto: dpa Foto: red

Ist das noch Realsatire oder bereits ganz ernsthafter Aberwitz? Martin Sonneborn, ehemaliger "Titanic"-Chef und Erzsatiriker, zog für "Die Partei" ins Europaparlament. Und berichtet am Sonntag im Zentrum in Bayreuth aus seiner Arbeit in Straßburg. Die besteht darin, seinen Kollegen so etwas wie Reißzwecken auf die Stühle zu legen. Wie er das tut, und warum er England den EU-Verbleib befehlen wird - darüber sprach er mit dem Kurier.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Nachdem Sie in die Politik gewechselt sind: Sind Sie als Satiriker inzwischen überflüssig?

Martin Sonneborn: Im Gegenteil. Ich bin genau da, wo ich hingehöre. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Begründung zur Abschaffung der drei–Prozent-Hürde das Europaparlament als Parlament minderer Bedeutung klassifiziert. Es ist also ein Spaßparlament. Bisher kann ich bestätigen, dass dem so ist.

Also sind Sie nicht in die Politik gegangen, weil Sie als Satiriker nichts mehr ausrichten können?

Sonneborn: Nein. Wobei schon festgestellt wurde, dass es inzwischen ausreicht, die politische Realität zu beschreiben. Satirisch überspitzen muss man das Geschehen schon gar nicht mehr. Schlechte Zeiten für die Satire.

Was sagen Sie als Satiriker denn zu Horst Seehofer?

Sonneborn: Er ist ein unliebsamer Konkurrent. Wie ich spricht er meist vor betrunkenen Massen, nur verlange ich mehr Eintritt.

Wie weit sind Sie mit ihrer Zersetzungsarbeit in Brüssel?

Sonneborn: Das Parlament ist quasi handlungsunfähig.

Liegt das an Ihnen?

Sonneborn: Ich habe daran mitgearbeitet. Aber aktuell passiert bis zum Brexit ohnehin nicht mehr viel. Dann ist Sommerpause. Dann geht es ja schon wieder auf Weihnachten zu.

Denken Sie, die Briten steigen wirklich aus?

Sonneborn: Ich werde mein Möglichstes dafür tun. Wir werden zum Beispiel kurz vor der Abstimmung mit gut hundert PARTEI-Leuten (PARTEI, das bedeutet: Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) an einem Germany-Day in Großbritannien landen und den Engländern befehlen, in Europa zu bleiben.

Was erhoffen Sie sich davon?

Sonneborn: Ich habe die Vision eines Kerneuropas mit 24 Satellitenstaaten. Wir wollen Großbritannien, Polen und Ungarn rauskicken. Ich glaube, wenn hundert Deutsche in grauen Anzügen den Briten befehlen, pro-europäisch zu wählen, kommt das dort sicher in alle Medien. So könnten wir das Zünglein an der Waage zu Gunsten eines Austritts werden.

Es wäre nicht das einzige Land, das sie besucht hätten. Kürzlich sind sie mit Uniform dagestanden und haben Polen den Krieg erklärt...

Sonneborn: Das mit Polen ist nicht gut ausgegangen für uns. (Es gab einen Shitstorm, Anm. der REd.)

Diese Polen-Aktion ist möglicherweise aber auch nicht für jeden als Satire zu verstehen.

Sonneborn: Ich denke, wenn man weiß, wofür ich stehe, versteht man das. Bedenken habe ich nur bei meinem Sitznachbarn Janusz Korwin-Mikke, einem polnischen Monarchisten. Der hat letztens schon einen Kollegen geohrfeigt, weil dieser ihn als „meschugge“ bezeichnet hat. Vielleicht wirft sich Udo Voigt (NPD) ja schützend zwischen uns.

Ein polnischer Monarchist? Da fällt mir das Stichwort „Spaßparlament“ wieder ein. Was können Sie denn da berichten?

Sonneborn: Nun, einmal hat mich Korwin-Mikke angestoßen und gefragt, was „Ticket“ auf Deutsch hieße. Ich meinte, er könne ruhig Ticket sagen, das verstünde jeder. In der Debatte ging es um die Einführung eines europaweit gültigen Bahn-Tickets. Er seht also auf und hält eine Rede gegen die Einführung, die mit den Worten schließt: „Ein Volk, ein Reich, ein Ticket!“ Dazu zeigte er den deutschen Gruß. Da habe ich mich furchtbar erschrocken. Hätte ich gewusst, was er vorhat, hätte ich ihm Ticket mit Fahrschein übersetzt.

Wie erklären Sie sich solche Politiker wie Korwin-Mikke?

Sonneborn: Ein 70-Jähriger Monarchist, der in Polen die Prügelstrafe für geringe Vergehen einführen will – die Todesstrafe für schwerere Vergehen. Frauen möchte er das Wahlrecht entziehen, weil die sich nicht für Politik interessierten. Er will, das Polen aus der EU austritt, um in die NAFTA (nordamerikanische Freihandelszone, Anm. d. Redaktion) einzutreten. Ich fürchte, ich kann ihnen nicht erklären, wie es zu so was kommt.

Der Satiriker ist angesichts der Realität sprachlos?

Sonneborn: Nun, ich ergötze mich natürlich an solchen Dingen – und dokumentiere sie. Es gibt da ja ein eklatantes Informationsdefizit.

Woraus lesen Sie in Bayreuth?

Sonneborn: Nun, das war früher die Titanic-Lesereise. Inzwischen berichte ich eher aus diesem Alltag im europäischen Parlament.

Sozusagen als Schriftführer der Absurdität?

Sonneborn: Als hochbezahlter, noch dazu! Aber das ist eine gute Formulierung.

Eine Rolle, auf die Sie auch durch Machtlosigkeit reduziert sind?

Sonneborn: Wir Fraktionslosen sind der Abschaum des Parlaments. Mit uns arbeitet eigentlich niemand zusammen. Die Politik bespricht die große Koalition in Hinterzimmern. Ansonsten können Sie sich das europäische Parlament vorstellen wie eine Schule: Martin Schulz - oder „Chulz“ - ist der Direktor. So Typen wie Bernd Lucke sind die Klassensprecher-Anwärter. Einige, wie Herbert Reul (CSU), wollen nach Sitzungsende unbedingt als erste draußen sein. Da fehlte noch jemand, der ein paar Reißzwecke auf die Stühle legt und Kaugummis unter die Türklinken klebt. Das bin ich.

 

INFO: Katrin Bauerfeind setzt das Festival Leselust am Freitag, 19. Februar, fort. Beginn ist um 20 Uhr. Martin Sonneborns Auftritt am 21. Februar ist bereits ausverkauft.

Bilder