„Lust zur Skurrilität“ Daniel Grossmann und das Orchester Jakobsplatz geben am Sonntag ein Neujahrskonzert

Von Michael Weiser
 Foto: red

Wir schreiben das Jahr 5774, und dieses Jahr ist erst einige wenige Tage alt – wenn es nach der jüdischen Zeitrechnung geht. Anlässlich des Festes Rosch ha-Schana spielt das Orchester Jakobsplatz München am Sonntag, 22. September, auf Einladung der Kulturfreunde ein jüdisches Neujahrskonzert. Der Kurier sprach mit Dirigent Daniel Grossmann über beabsichtigte Stilbrüche und kuriose Kurz-Operetten.

 
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In welcher Zeit leben Sie persönlich – im Jahre 5774 oder im Jahre 2013?

Daniel Grossmann: Also, ich lebe ganz sicher im Jahre 2013. Aber diese Verblüffung hervorzurufen ist eigentlich auch das Ziel dieses Neujahrskonzertes. Und das beißt sich, weil das jüdische Fest eigentlich ein religiöses ist. So, und wir formen es eben um, um bekannt zu machen, dass es so etwas wie einen jüdischen Kalender überhaupt gibt.

Sie formen es um, in dem Sie andere Musik spielen als sonst üblich für ein religiöses Fest?

Grossmann: Ja, genau. Wir spielen jedes Jahr Musik von Jaques Offenbach. Offenbach ist eigentlich unser Johann Strauss.

Sie sind das erste Mal zum Neujahrsfest da...

Grossmann: Ja, zum Neujahrsfest spielen wir zum ersten Mal. Ein Konzert haben wir aber auch schon gegeben, 2009 war das, da haben wir auf Einladung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zum Tag der Brüderlichkeit ein jüdisches Oratorium von Paul Ben-Haim aufgeführt.

Ist es für Sie etwas besonderes, in Bayreuth aufzutreten, auch angesichts der nicht immer guten Rolle Bayreuths.

Grossmann: Ja, ist es schon. Ich habe gewissermaßen ein gespaltenes Verhältnis zu Richard Wagner. Ich mag seine Musik aber sehr, und ich habe vor zehn Jahren auch schon mal den ganzen „Ring“ in Bayreuth gehört. Ich finde, dass die Festspiele in Bayreuth etwas ganz, ganz Tolles sind. Ich muss natürlich abstrahieren und wegkommen von den Schriften Wagners. Aber das Festspielhaus ist ein ganz besonderer Ort.

Juden nehmen das Neujahrsfest zum Anlass, Bilanz zu ziehen. Wie wird denn ihre Bilanz des vergangenen Jahres aussehen?

Grossmann: Das Jahr war für das Orchester sehr erfolgreich, weil es uns gelungen ist, wieder ein bisschen mehr aus München rauszukommen. Das ist zur Zeit mein Ziel: dass sich das Orchester auch außerhalb von München etabliert. Dafür ist der Jahresanfang mit dem Konzert in Bayreuth ein optimales Beispiel: für die Entwicklung, dass wir immer mehr aus München rauskommen und damit eben auch die Grenzen des Orchesters erweitern.

Sie spielen oft Musik von vergessenen Komponisten....

Grossmann: Die Idee ist es, Musik von jüdischen Komponisten zu spielen, beziehungsweise Stücke zu spielen, die einen Zusammenhang mit dem Thema Judentum haben. Wir wollen Komponisten wiederentdecken, ihre Musik aber gleichzeitig einbetten in die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, die vielleicht bekannter ist. Mir ist wichtig, dass wir kein Erinnerungsorchester sind und nur im luftleeren Raum irgendwelche Stücke spielen, die kein Mensch kennt, und die wir auch nur deswegen spielen, weil sie von jüdischen Komponisten stammen. Wir möchten diese Stücke aus dem Zusammenhang herauslösen, dass der Komponist verfolgt oder getötet wurde und sie wirklich musikgeschichtlich einbetten.

Können Sie sich vorstellen, mit diesem Orchester auch Richard Wagner zu spielen?

Grossmann: Wir haben mit diesem Orchester schon Richard Wagner gespielt, und wir werden im Oktober in Kanada auch wieder Wagner spielen.

Was so nun in Israel noch nicht möglich war. Da gab es noch kein offizielles Konzert mit Musik Wagners.

Grossmann: Barenmboim hat es versucht, ist aber damit gescheitert. Das ist aber überhaupt nicht mein Anliegen. Ich würde niemals mit diesem Orchester in Israel Wagner spielen, denn das ist nicht unser Thema. Wir sind ein deutsches Orchester. Wir sind eine jüdische Institution in Deutschland, die geprägt ist von vielen, vielen Kulturen, aber eben als Oberthema das Judenthema hat und eben damit eine typisch deutsche Institution sein will. Wir werden übrigens im November ein Wagner-Konzert in München spielen, mit den Wesendonck-Liedern und dem Siegfried-Idyll.

Auf was dürfen sich denn die Bayreuther am Sonntag freuen?

Grossmann: Außergewöhnlich ist sicher, dass ich jedes Jahr ein Stück von Offenbach auswähle, dass selten bis nie zu hören ist, und das ist diesmal seine Operette „Trafalgar sur un volcan“. Das ist ein sehr unbekanntes Stück und eine wirklich skurrile Operette.

Was fasziniert Sie an diesem Stück?

Grossmann: Mich fasziniert bei Offenbach generell die Lust zur Skurrilität, sowohl in der Musik als auch im Inhalt. So wie bei diesem Stück.

Die Fragen stellte Michael Weiser

INFO: Das Orchester Jakobsplatz München spielt am Sonntag, 22. September, um 20 Uhr in der Stadthalle ein jüdisches Neujahrskonzert mit Werken Jaques Offenbachs. Mitwirkende: Talia Or (Sopran), Dean Power (Tenor), Anreas Burkhart (Bariton). Karten gibt es an der Theatergasse. Künftig wird Frank Piontek vor den Konzerten der Kulturfreunde eine halbe Stunde vor Beginn Einführungen halten. So auch am Sonntag: Im Foyer der Stadthalle (1. Stock) ab 19.30 Uhr.

Foto: red