Bei welchen Orten hättest du einem Besucher zwingend die Augen zuhalten müssen?
Strübing: Natürlich beim Rinnla auf dem Stadtparkett, damit ich wenigstens einmal sehe, wie da jemand hineinfällt. Davon habe ich so viel gehört, und nicht einmal habe ich jemanden reinstolpern sehen. Ich hab sogar mal meine Mutter nach Bayreuth geholt, aber selbst die ist nicht reingefallen. Nicht mal ich bin reingefallen, obwohl ich sonst überall stolpere. Wahrscheinlich passiert das noch. An meinem letzten Tag, da werde ich auf dem Weg zum Bahnhof wahrscheinlich in der Todesrinne versinken.
Und dann in den Roten Main gespült werden.
Strübing: Was ja auch ein passender dramatischer Abschluss wäre. Nicht so einfach in den Zug steigen und wegfahren ...
Hast du Bayreuth verändert?
Strübing: Ne, glaub ich nicht. Aber ich habe vielleicht Leute zusammengebracht. Ich wurde ja herumgereicht wie ein Wanderpokal, und da haben sich Leute kennengelernt. Und vielleicht genau die Leute, die darauf gewartet haben, dass sich in Bayreuth vielleicht das eine oder andere ändert, dass was vorangeht.
Du warst im Nordmeer unterwegs, auf dem Mississippi, jetzt in Bayreuth. Was war am weitesten von Berlin entfernt?
Strübing: Hm, Jan Mayen im Nordpolarmeer ist noch einen Tick schlechter zu erreichen als Bayreuth. Das ist eine kleine Insel, da leben nur ein paar Forscher. Da kommt man bei sehr gutem Wetter mit dem Schiff hin - man darf aber nicht anlegen - oder mit einem Privatflugzeug.
Nach fünf Monaten in der oberfränkischen Idylle - wird es dir da schwerfallen, doch wieder an die Metropole Berlin zu gewöhnen? Wird's Umstellungsprobleme geben?
Strübing: Ja, ich denke schon. Als ich mal nach zweieinhalb Monaten ein Wochenende in Berlin war, war das schon ein Kulturschock. Ein Schreck, wie groß das alles war, wie viel Lärm, wie viele Menschen - wie viel Dreck. Mal sehen, wie ich mich da einfühle. Wahrscheinlich werd ich erstmal drei Wochen brauchen um mich daran zu gewöhhnen, dass es U-Bahn gibt und man nicht mit dem Bus fahren muss.
Oder sich zu Fuß bewegen kann. Bist du Jean Paul auf all deinen Wegen näher gekommen?
Strübing: Definitiv. Nachdem ich bei meinem ersten Versuch, ihn zu lesen, schockiert war und dachte, das geht ja überhaupt nicht, habe ich gemerkt, dass das sehr wohl geht und mir viel Spaß macht. Aber es ist natürlich immer anstrengend, nichts zum Schmökern.
Hätte Jean Paul eine Chance in der Slam-Szene?
Strübing: Definitiv nicht, allein, weil er in der Zeitbegrenzung von fünf Minuten vielleicht mal einen halben Satz unterbringen würde. Also, das gilt für den Fall, dass Jean Paul mit seinen zweihundert Jahre alten Texten auftritt. Das ginge überhaupt nicht, das würde auch das Publikum überfordern. Wäre er in der heutigen Zeit geboren, hätte er mit Sicherheit, so er gewollt hätte, große Erfolge feiern können, mit seinem Witz, seiner Intelligenz, seiner Wortgewalt.
Du bist ja hierhergekommen wegen 250 Jahren Jean Paul. Wärst du auch wegen 200 Jahren Wagner gekommen?
Strübing: Ja, bestimmt. Ich wäre aber auch einfach so gekommen, wegen 178 Jahren Max Mustermann. Ich bin aber froh, dass das Jean-Paul-Jubiläum die Möglichkeit eröffnet hat, mir hier eine Stadtschreiberstelle einzurichten. Ich fand die Beschäftigung mit Jean Paul interessant, bereichernd, anstrengend, mal lustig, mal ärgerlich, auf jeden Fall bereichernd. Ich weiß nicht, ob ich zu Wagner etwas hätte schreiben können. Zu seiner Musik sicher nicht, da kenne ich mich zu schlecht aus, während Jean Paul als Autor mit einem umfangreichen Werk mir die Arbeit einfach gemacht hat. Ich konnte ihn einfach lesen und mir dann meine Gedanken machen. Aber Musik? Ich weiß, es gibt einen Tristan-Akkord, aber ich könnte nicht darüber schreiben, weil ich nicht weiß, was das ist und ihn wahrscheinlich gar nicht erkennen würde. Ich würd mir halt denken, nun, das ist ein Akkord ...
Da wäre dann Akkord-Arbeit gefragt ... (Strübing prustet los) Blöde Zwischenbemerkung. Strübing: Stimmt (lacht wieder). Aber Akkordarbeit war's hier ja ohnehin, also, für meine Verhältnisse. Weil ich die ganze Zeit beschäftigt war, herumzustromern und zu schauen was es hier gibt, oder Jean Paul zu lesen, oder darüber zu schreiben. Was nicht heißt, dass ich nicht trotzdem Zeit gefunden hätte ein bisschen zu feiern. Außerdem hat es Spaß gemacht. Es war sozusagen Akkordarbeit, aber in Dur.
Der Bayreuther an sich findet ja gerne, dass in seiner Stadt nichts los sei. Wie hast du's geschafft, jeden Tag etwas über Bayreuth zu schreiben. Wie muss macn sich den Tagesablauf eines Stadtschreibers vorstellen?
Strübing: Jetzt muss ich gestehen, dass ich ein bisschen übertrieben hab' mit der Akkordarbeit. Ich hab gar nicht jeden Tag geschrieben, sondern in der Woche so vier kleine Textchen und dazu viele Fotos, allerdings musste ich ja auch immer rumrennen. Ich hab mir vor allem in der Anfangszeit alles angeguckt, auch wenn ich vielleicht gar keine Lust hatte.
Zum Beispiel?
Strübing: Faschingspartsys, Fußballspiele, Theaterstücke. Ich war dann oft überrascht, wie schön's war. Das war eine wunderbare Arbeit. Ich hatte die Aufgabe, mich treiben zu lassen oder zu paddeln und zu kucken, was ich entdecke, und darüber zu schreiben. Toller Job.
Der Bayreuther an sich meckert auch gerne über seine Stadt. Wie gefällt dir die Stadt? Strübing: Ich mag ja Leute, die über ihre Stadt meckern. Ich finde die jedenfalls sympathischer als die Leute, die dir nur erzählen, wie toll alles ist, vor allem, wenn sie noch nie irgendwo anders gewesen sind. Also, ich komme ganz gut damit zu recht, wenn jemand meckert. Dann muss ich das nicht tun und kann mich stärker auf die ganzen guten Sachen konzentrieren.
War's das nun mit Bayreuth, oder hat der Berliner noch einen Koffer in Bayreuth? Strübing: Ich komme definititv wieder, zwei Termine weiß ich schon: Ende Juli werde ich mir eine Generalprobe angucken und den Beginn des Festspielwahnsinss erleben. Denn ich finde, dass ich diesen Aspekt von Bayreuth schon auch noch kennenlernen sollte. Und dann bin ich spätestens im November wieder da. Ich will nicht spekulieren, aber ich bin überzeuigt, dass meine Bindungen an Bayreuth und einige Leute hier stark genug sind, um mich immer mal wieder an die Gestade des Roten Mains zu spülen.