Bastimentos/Panama City - Pläne sind dazu da, sie über Bord zu werfen. Das hat mich das Jahr 2014 in all seiner Brutalität gelehrt. Alles, was man sich im Leben vornimmt, wird mit einem Paukenschlag zunichte gemacht. In sieben Jahren, so war unser Plan, würden wir uns vorzeitig zur Ruhe beziehungsweise Unruhe setzen. Dass wir dadurch eine Menge Geld wegen der vielen Abschläge - wir gehören zu denen, die bis 67 arbeiten müssen - in den Sand gesetzt hätten, wäre uns völlig egal gewesen. Wir wollten uns ein Wohnmobil kaufen und zwei Jahre durch die Welt reisen, ehe wir uns ein Häuschen in Kroatien an der malerischen Makarska Riviera gekauft hätten. Hätten, wollten.

Was sollen all die Pläne noch, wenn es kein "Wir" mehr gibt.

Nach Chaps Tod ziehe ich planlos allein durch die Welt und wollte meinen Geburtstag an Silvester eigentlich in Bastimentos in Panama feiern. Wollte. Da ich zwischen 1. und 4. Januar keinen Flug mehr nach Panama City bekommen habe, habe ich diesen Plan erst vor zwei Tagen kurzerhand verworfen. Ich sitze an meinem Geburtstag also mit Sack und Pack (26 Kilo plus Umhänge- und Bauchtasche) im Flieger, der mich für den stolzen Preis von 140 Dollar in 50 Minuten in die Hauptstadt befördert. Mit dem Bus wäre ich zehn Stunden unterwegs gewesen. Nicht mehr in diesem Jahr. Und als Geschenk gönne ich mir eine Übernachtung in einem relativ guten Hotel für 85 Dollar. Dafür ist aber auch Frühstück dabei.
Und abermals ändere ich meine Pläne. Ich hatte Kolumbien eigentlich nie als Reiseziel ins Auge gefasst wegen der vielen Horror-Geschichten, die sich rund um Drogenmafia und Entführungen argloser Touristen ranken. Doch nach einem Zwischenstopp im San Blas-Archipel, wo die Kuna-Indios leben, visiere ich genau dieses an Panama angrenzende Land an. San Blas muss ich gleich nach meiner Ankunft in der Hauptstadt buchen, ebenso die Fähre nach Cartagena. Doch jetzt nochmal zurück auf "meine" Insel, wo ich wieder allerhand erlebt habe.

Das fängt schon mal damit an, dass es hier alles andere als leicht ist, an Geld zu kommen. Während ich mittlerweile mit der DKB telefonisch und per Mail alles ins Lot bekommen habe, müsste ich eigentlich nur zum Geldautomaten auf der Hauptinsel Colon, um Dollars zu ziehen. Müsste. Denn hier nimmt jeder nur Bargeld, mit Karte kann ich meinen Bungalow also nicht bezahlen. Das geht fast allen Touristen so, die hier aus aller Herren Länder unterwegs sind. Dass der Geldautomat seit Heiligabend leer ist, hat sich längst herumgesprochen. Auch, dass er am zweiten Weihnachtsfeiertag nur zweimal - einmal um 10 und einmal um 12 Uhr - aufgefüllt wird. Entsprechend lang ist die Schlange, die sich vor dem klimatisierten Häuschen gebildet hat. Kanadier, Amis, Holländer, Deutsche, Österreicher, Schweizer, Finnen und Australier reihen sich ein, um schweißgebadet endlich ans ersehnte Bargeld zu gelangen. Aufgefüllt wird dann erst wieder zwei Tage später.

Kurzerhand marschiere ich zum Flugplatz, wo ich nach langem Hin und Her letztlich das Silvester-Ticket löse. Das kann ich glücklicherweise mit der Visa-Card bezahlen und somit meine Dollars horten. Wichtig ist es, immer genügend kleine Noten dabei zu haben. Denn an den Obstsaft-Ständen oder für die Bootstouren (immer drei Dollar zur Hauptinsel) braucht man kleine Scheine, denn Wechselgeld ist rar. Und für meine Einreise nach Kolumbien habe ich zumindest meine Dollars, die hier auch genommen werden, ehe ich mich mit der Landeswährung eindecke. Zuviel Bargeld mit sich herumzuschleppen, bedeutet zudem Ballast. Zumindest psychischen. Denn Langfinger, die auf Beutezug sind, gibt es hier zuhauf.

Ich begleite Dami, die Freundin meines Vermieters, zu einer Beerdigung ihres Onkels. Derer gibt es jede Menge, denn Damaris hat acht Schwestern und noch einige Brüder. Da kann man sich angesichts der Gebärfreudigkeit der Insulaner - oder auch der fehlenden Verhütung wegen - vorstellen, wieviel Verwandtschaft das nach sich zieht. Es scheint so, als wäre die halbe Insel auf den Beinen. Die Kirche sparen wir uns und harren an deren Fuße zusammen mit vielen anderen aus. Man hat das Gefühl, als wollten die Menschen in die Disco. Die meisten sind herausgeputzt und mächtig geschminkt - ich hab weder Schminke noch Fön dabei -, stecken in Glitzer-Tops, durch die sich die üppigen Kurven abzeichnen, und tragen blank polierte Schuhe unter den häufig zu kurzen Hosen. Viele sind bewaffnet mit Schirmen, diesmal nicht des Regens, sondern der Sonne wegen. Als der Sarg von der Kirche den kleinen Steilhang hinunter getragen wird, reihen sich die Menschen in den nicht enden wollenden Zug ein. Kurze Zeit später wird der Sarg auf dem Weg abgestellt, und zwar vor Rafaels Guesthouse. Der Verstorbene war quasi eine Institution im Ort. Auf der Terrasse seines Hauses spielt eine Band wunderbare Dixie-Musik, während die Trauernden rund um den Sarg sofort die gelenkigen Hüften schwingen. Nach dieser heiteren Einlage setzt sich der Trauermarsch wieder in Bewegung bis zum Ende der Dorfstraße. Nicht "Three steps to heaven", wie in dem gleichlautenden Song, sondern wesentlich mehr führen steil hinauf zum Friedhof auf dem Hügel. Unentwegt wischen sich die Menschen mit kleinen Frotteetüchlein durchs Gesicht. Nicht etwa, um die Tränen wegzuwischen, sondern den fortwährend laufenden Schweiß abzutrocknen. Nach einem wenig melodischen Gesang aller, die hier auf Gräbern sitzen, um zu sehen, wie der Sarg in die Tiefe abgelassen wird, geht es zum feuchtfröhlichen Umtrunk. Das zumindest scheint wohl fast überall gleich zu sein in der Welt.



Als ich nach der Beerdigung zurück ins TioToms kehre, muss ich mit Schrecken feststellen, dass der Hund des Besitzers, Lucky, erneut über meine Tabletten hergefallen ist. Diesmal hat er meine Anti-Durchfall-Tabletten vernichtet. Was sie letztlich bei ihm bewirkt haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Bisher hatte ich stets open house, jetzt ziehe ich die Tür zu meinem Bungalow lieber zu, denn Lucky ist mit allen Wassern gewaschen. Und meine Medikamente sollen schließlich für ein Jahr reichen.

Mittlerweile ist das TioToms Guesthouse überbucht. "Dank" einiger Überschneidungen von booking.com und den Mails auf Chris' Computer sind die Zimmer übervoll. Daher weicht Chris mit Hund Lucky aufs Sofa aus, während zwei Nächte hintereinander Pärchen ihr Lager in seinem Privat-Schlafzimmer aufschlagen. Unter den neuen Gästen sind auch drei 18-jährige Mädels aus Deutschland, die für über ein Jahr freiwilligen Dienst in Costa Rica leisten und derzeit eine kleine Auszeit auf den Bocas del Toro genießen. Eine von ihnen - Vanessa, die Vegetarierin - ist richtig geschockt, als sie einen Blick in die Küche wirft. Da liegt auf der Platte, wo sonst die Teller hergerichtet werden, eine tote Sau. Das Jungtier hat vorhin ein Bootsmann über die Schulter geworfen und dort malerisch platziert. Für 145 Dollar hat das Schwein seinen Besitzer gewechselt. Ein Einheimischer zerlegt das Tier fachmännisch, ehe es in der Tiefkühltruhe versenkt wird. Die nächsten Tage also gibt es vermutlich Schwein. Gut, dass ich abreise.

Die letzten Tage nutzen Leo und ich, mit einem Leihrad die Strände der Hauptinsel, wo viele junge Surfer ihr Glück auf den Wellen suchen, zu erkunden. Paki Point ist ein wunderbarer Ort zum Ausspannen auf großen Matratzen im weißen Sand - ein wahres Postkarten-Idyll.

Auf dem Rückweg wird es Zeit, Peters Brauerei aufzusuchen. "Bocas Brewery" trägt als Symbol eine Wasserschildkröte. Die Brauerei ist ein kleines Haus, malerisch zwischen Strand und Hauptstraße gelegen, wo Peter, der Amerikaner von Bastimentos, pro Woche 200 Liter des feinen Wonnesuds braut. Einst Ingenieur bei einer Fluggesellschaft in den Vereinigten Staaten, baute sich der Mittfünfziger vor gut zehn Jahren ein neues Standbein zusammen mit seiner Frau auf. Mittlerweile ist Chris, mein Vermieter, Teilhaber der Mini-Brauerei. "Wir würden gern mehr produzieren, aber dafür reichen uns die Kapazitäten nicht aus", verdeutlicht Peter, warum er auf die große Nachfrage nicht reagieren kann. Die Investition könne er nicht schultern. Und die großen Brauereien stünden schon wie die Aasgeier vor der Tür. Deshalb gibt es das Bier nur in dem zur Brauerei gehörigen Restaurant. Chap und unser guter Kumpel Mark, mit dem wir schon in Thailand, Florida und Kambodscha unterwegs waren, hätten sich begeistert in eine Fachsimpelei verstrickt. Ich indes genieße mangels Gesprächspartner drei verschiedene Sorten, ehe ich leicht schwankend - es hat schließlich um die 35 Grad - auf mein giftgrünes Leih-Fahrrad steige. Pete's Porter ist ein fast schwarzes Bier mit knapp fünf Prozent, das mir entschieden stärker vorkommt. Das Weizen ist bernsteinfarben und eiskalter Genuss. Mein Favorit ist das Shanty, eine Art Radler, allerdings aus unfiltriertem Bier, gemischt mit hausgemachter Ingwer-Limonade. Da schmeckt man richtig, dass man keine Chemie schmeckt. Ausgezeichnet und bestens temperiert!

Gut, dass es heute ziemlich bewölkt ist, da kann ich meinen letzten Tag auf der Insel völlig entspannt in der Hängematte pendeln. Außerdem muss ich zusehen, dass ich alles gut verstaue, denn so viel Zeit wie diesmal werde ich wohl an keinem Platz mehr verbringen. Vier Wochen lang habe ich mich auf meine Reise-Monate vorbereitet, um ein bis zwei Gänge herunter zu schalten. Jetzt warten neue Eindrücke, Menschen und Länder auf mich. Leo und Peggy wünschen allen einen guten Rutsch und vor allem ein gesundes neues Jahr.