Quito - "Yellow Sun of Ecuador" - der Song der niederländischen Pop-Band "The Classics" - sitzt mir noch heute im Ohr. Es ist einer aus dem Jahr 1974, aus jener Zeit, als ich Teenager war und das Lied aus dem Küchen-Radio meiner Eltern trällerte. Nun ja, jetzt bin ich also mittendrin in Ecuador. Mal sehen, ob sich das mit der gelben Sonne so bewahrheitet. Von einer Großstadt in die andere. Von Lima nach Quito. Eigentlich bräuchte ich einmal ein wenig Luft zum Durchatmen. Aber Flughäfen befinden sich in der Regel in den Metropolen. Und wenn ich schon gerade da bin, mache ich auch davon Gebrauch, diese näher zu erkunden. Als ich nach meiner Zeit in Peru - ich kehre Ende April dorthin zurück - in Quito, der Hauptstadt Ecuadors, lande, ist es stockfinstre Nacht, nach 23 Uhr. Und der neue Flughafen - 35 Kilometer außerhalb des Zentrums - liegt eine Stunde Fahrzeit von meinem Hotel entfernt. Taxis um diese Zeit sind absolute Mangelware. Zumindest hier. Längst bin ich dazu übergegangen, mir nicht nur vor der Ankunft in fremden Städten ein Hotel zu buchen, sondern gleich noch den etwas teureren, aber definitiv sichereren Abholservice zu organisieren. Besser die Arbeit im Internet im Vorfeld, als sich nachts auf der Straße mit Taxifahrern um überhöhte Gebühren herumzustreiten. Streits mit Taxifahrern, ja, ich bin ein gebranntes Kind, aber dazu später.

Der 52-jährige Indio Marco aus Otavalo - politisch korrekt hieße es indigener Abstammung, was sich allerdings äußerst unflüssig schreiben lässt - holt mich ab mit seinem schicken Pickup. Nebel, Regen - in Quito, der mit 2850 Metern zweithöchsten Stadt der Welt, anzukommen, ist kein schönes Gefühl. Nicht heute. Dafür habe ich mit Marco eine gute Unterhaltung, kann ihn ausquetschen über alles, was ich in 40 Minuten in Erfahrung bringen kann. Denn zur Nachtzeit dauert die Fahrt nicht so lange wie unter Tage, wenn sich der Verkehr durch die City wälzt. "In den letzten fünf Jahren hat sich unendlich viel getan", lobt mein Fahrer. Der neue Präsident habe den Stall so richtig ausgemistet. Die Korruption scheint ein wenig eingedämmt. Aber nur ein wenig. Das sagen wiederum andere, denen ich im Lauf der Zeit begegne. Einige Tage nach meiner Ankunft erlebe ich Demonstrationen gegen Rafael Correa, den ersten Mann im Staate, den ich eine halbe Stunde lang auf dem Balkon des Präsidenten-Palastes beobachten kann. Von dort aus blickt er hinab auf die Plaza de la Independencia, wo jeden Montag eine halbe Stunde lang der Wachwechsel exerziert wird. Unter den Augen vieler Touristen und auch Einheimischer.

Große Erdöl-Ressourcen - noch!

Seit Correa an der Macht ist, hat er so etwas wie soziales Engagement gezeigt. Viele Arbeitsplätze sind durch den Straßenbau entstanden. Finanziert durch die mächtigen Ölvorkommen im Land. Doch viele trauen dem Frieden nicht, denn die Ressourcen sind endlich. Und dann? Noch schlummern in den Tiefen des Regenwalds, dem nahezu unberührten Amazonas-Gebiet, wo Völker leben, die noch nie Kontakt zur restlichen Welt hatten, riesige Ölreserven. Einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung zufolge, den mir eine Kollegin geschickt hat, sollen sich die Chinesen einen Teil jenes Areals unter den Nagel gerissen haben. Wohl mit dem Resultat, dass hier nach 20 Jahren alles ausgebeutet ist und Umwelt samt Tierwelt und Menschen am Boden zerstört. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nur des schnöden Mammons wegen. Wenn man die Wunder der Natur in diesen Ländern genießt, schwillt einem angesichts derartig egoistischer Machenschaften schon gehörig der Kamm.

Zurück zu den Tausenden von Kilometern Straße, die in den vergangenen Jahren quer durchs Land gebaut worden sind. Wo immer ich herumkutschiert wurde, war die Infrastruktur erstklassig. Das bin ich von daheim nicht gewöhnt, wo in Sachen Straßenbau gerade im Norden Bayerns so einiges im Argen liegt, zumal sich der Staat mehr auf jene Regionen besinnt, die von Haus auf boomen. In Ecuador hat sich auch Vieles getan auf dem Sektor Bildung, wie mir Marco erzählt. Studienmöglichkeiten im Ausland, wovon die Bevölkerung bestenfalls träumen konnte vor einigen Jahren, haben sich auch für die Tochter meines Fahrers eröffnet. "Sie ist gerade in England, und es wird vom Staat bezahlt." Donnerwetter! Wer es finanziert und wie das funktioniert? Die Antwort bleibt mir Marco schuldig. Wir sind da. Ich wohne die nächsten zehn Tage im "La Casa Sol" im Stadtteil La Mariscal, einem wunderschönen farbenfrohen Hotel mit malerischem Innenhof, das viel indigene Kunst an den Wänden und in Regalen präsentiert. Die Zimmer sind einfach und längst nicht mehr so luxuriös wie meine Unterkunft in Lima. Dafür kostet sie auch weniger als die Hälfte.

Ohne Heizung und Fön

Eine Heizung wäre hin und wieder ganz hübsch, auch ein Fön. Aber dann geht man halt mit nassen Haaren unter der Mütze raus. Denn hier herrschen, wie ich schon einmal erwähnt habe, tatsächlich vier Jahreszeiten an einem Tag. Klettert man oben am Vulkan herum, kann es durchaus sein, dass es zu schneien beginnt. Im nächsten Moment kannst du dir die Klamotten vom Leib reißen, so heiß brennt die Sonne auf einmal, so sie den Durchbruch durch die Wolken schafft. Während ich das schreibe, rollt eine regelrechte Wolkenwand vom Pichincha auf mich zu. Ich sitze im "La Boca del Lobo", quasi im Mund des Wolfes, einem rundum verglasten Restaurant mit wundervoller Küche. Es scheint fast so, als wäre ich zum Bleiben verdammt. Entweder Wein reinstürzen und die zwei Minuten bis zu meinem Hotel vor galoppieren. Oder die Sache aussitzen. Zweiteres scheint mir der elegantere Weg. Dann kommen eben noch ein, zwei Gläschen dazu. Außer Packen für den Weiterflug steht eigentlich nichts mehr an. Aber dazu später.

Reichliches Mittagessen für zwei Dollar

Zurück zu meiner Ankunft in Quito, nicht zur Abreise: Der Morgen danach sieht ganz anders aus. Sonnenschein - also doch "Yellow Sun of Ecuador" - bringt die orangen Farben an den Wänden des "La Casa Sol" zum Leuchten, und es macht seinem Namen alle Ehre. Hausgemachtes Müsli mit frischen Früchten, fair gehandelter Kaffee aus Ecuador und warmes Brot zum Frühstück. Perfekter Aufbruch in eine neue Stadt. Ausgerüstet mit der Stadtkarte, mache ich mich auf den Weg. Am besten sollte man hier alles morgens und vormittags erledigen, denn in der Regel regnet es am Nachmittag und es ist dann locker um die zehn Grad kälter. Ich schlendere durch Parks mit Musik, Theater - ziemlich primitiv, aber die Quitenios sind begeistert -, Malern, Schuhputzern, Händlern mit brutzelnden Schweineschwarten, Süßem und Klebrigem. Ich schmuggle mich in eine Schule, sehe den Schülern beim Musizieren im Innenhof zu, gebe einer alten Frau auf den gegenüberliegenden Kirchenstufen mein Essen aus dem Flugzeug von gestern, das ich nicht angerührt habe. Schon nachmittags haben Karaoke-Bars geöffnet, die die Einheimischen mit Vorliebe stürmen und das Mikrofon am liebsten nicht mehr aus der Hand geben möchten.

18 verschiedene Sprachen

Das kleineste Land Südamerikas - von Nord nach Süd hat es eine Ausdehnung von 1081 Kilometern - ist so vielfältig wie kaum ein anderes Land. Ob Regenwald am Amazonas, die hohen Anden mit ihren schneebedeckten Gipfeln, die lange Küste mit ihren vielen Stränden oder die Einzigartigkeit der Galapagos-Inseln mit ihrer endemischen Flora und Fauna. Rund 14 Millionen Menschen leben in Ecuador, wo zwar die Landessprache Spanisch ist, doch die indigene Bevölkerung Quechua spricht. 18 verschiedene Sprachen machen dem Reisenden das Leben nicht allzu einfach. Von allen Ländern Südamerikas hat Ecuador die höchste Bevölkerungsdichte. Etwa 52 Menschen leben auf einem Quadratkilometer. 30 Prozent der Einwohner drängen sich in den Metropolen Quito und Guayaquil, 45 Prozent leben im Hochland. Rund 40 Prozent existieren unter dem Minimum, während sich so manche Quitenio-Familie nicht nur drei Hausangestellte, sondern auch jede Menge Luxusgüter zu leisten vermag. Doch eines haben fast alle gemein: Die Lebenslust und Zufriedenheit - auch wer kaum etwas besitzt.

73 Feuerberge drängen sich in dem kleinen Land - das ist die höchste Vulkandichte weltweit. Die meisten reihen sich in den Anden aneinander, und zwar an der von Alexander von Humboldt erfundenen "Straße der Vulkane". Der Chimborazo, der höchste frei stehende Vulkan der Erde, ist eine erhabene Erscheinung. Der Riese schlummert seit Millionen von Jahren unter dem Eis und misst 6310 Meter. Er ist weiter vom Erdmittelpunkt entfernt als ein Bergsteiger hoch oben auf dem Mount Everest - die am Äquator bauchige Erdform macht's möglich.

Seit 2000 regiert der Dollar

Seit dem Jahr 2000 gibt der amerikanische Dollar den Ton an - nur einige Münzen sind eigens für Ecuador geprägt -, hat die frühere Währung Sucre ausgedient, nachdem die Inflationsrate 1999 bei 90 Prozent lag und der ganze Staat komplett pleite war. Billig ist es in Ecuador beileibe nicht. Es sei denn, man zwängt sich in eines der Einheimischen-Lokale, wo hinter einem engen Küchentresen in riesigen Kochtöpfen die typischen Essen gekocht und gebrutzelt werden: Ein Stück Huhn mit Reis, etwas Kochbanane, vielleicht ein Stück Wurst, dazu ein Spiegelei als Krönung. Dazu gibt es einen Einheits-Saft - süß und wenig schmackhaft - und eine fette Terrine mit Suppe zur Vorspeise. Immer mit einem Stück Mais oder Kartoffeln darin. Das alles für sage und schreibe zwei Dollar. Ich wähle gern diese günstige Variante, hebe mein Geld lieber auf für spannende Ausflüge.

Rein in die Nepp-Falle

Manchmal kommt es jedoch vor, dass gespartes Geld allzu leichtsinnig auf der Strecke bleibt. Es geht jetzt um keinen Betrag, der mich um den Verstand bringt. Aber um einen, der mich massivst ärgert angesichts meiner eigenen Dummheit. Zu viel Vertrauen ist leider fehl am Platz. Wo auch immer auf der Welt. Wohl bin ich angesichts der Tatsache, dass bislang alles glatt gelaufen ist, weil ich stets Vorsicht walten lasse, etwas zu gutgläubig gewesen. Während ich allen jungen Travellern permanent predige, vorsichtig zu sein, tappe ich diesmal selbst voll rein in die Nepp-Falle. Der Taxi-Fahrer, der mich hinauf fährt zur Virgen de El Panecillo auf Quitos höchstem Hügel - mal abgesehen von den riesigen Bergen außen herum und den Vulkanen -, ist freundlich, plaudert in gutem Englisch und schießt sogar ein paar Fotos von mir während der zehn Minuten, die ich mal eben rauf in die steinerne Jungfrau steige, um einige Blicke über Quito zu genießen. Das war's auch schon, und zurück in die Stadt. Laut dem jungen Rasta-Freak, der mich bei der Free-Walking-Tour vor wenigen Tagen durch die Stadt begleitet hat, dürfte die ganze Fahrt hin und zurück maximal sieben Dollar kosten. Und so halte ich einen Zehn-Dollar-Schein bereit, um gleich darauf aus allen Wolken zu fallen. "33,45 Dollar", fordert der dreiste Typ. Ich frag' ihn, ob er noch ganz dicht ist. Das Ganze artet in einer verbalen Schlacht aus. Ich hau' ihm letztlich 15 Dollar hin und sag' ihm, dass ich die Polizei über diesen Betrug informieren werde. Leider bin ich zu geschockt, um mir die Nummer seines Wagens zu merken. Das nächste Mal halte ich mich wieder an die alte Regel: Erst verhandeln, dann einsteigen.

"Shit happens"

Als ich dann voller Wut Richtung Hotel schlendere - etwa 40 Minuten vom Zentrum entfernt -, folgt gleich die nächste Katastrophe. Ein Mann zieht mich am Ärmel und weist mich auf meine Rückseite hin. Klar, denke ich, hab' ich wahrscheinlich in all der Hektik vergessen, den Reißverschluss meines Rucksacks zuzuziehen. Als ich jenen absetze, trifft mich schier der Schlag. Der neue lilane Rucksack ist komplett vollgesabbert mit einer Mischung aus Erbrochenem und flüssiger Babykacke. Zumindest riecht es so. Nicht nur der Rucksack! Meine ganze Rückseite - vom Oberteil, so nicht verdeckt gewesen, bis zu den Fersen - ist komplett voll mit dieser übel stinkenden Pampe, die mir jemand aus einem oberen Stockwerk heruntergeschüttet haben muss. Mit dem Rest meiner Wasserflasche hilft mir der freundliche Quitenio, mich einigermaßen sauber zu machen. Was so gut wie nicht gelingt. Ich hab' nicht einmal Taschentücher einstecken. An einem Brunnen versuche ich mich ein bisschen zu säubern. Dann pfeif' ich auf Hunderte von Blicken, die mir auf dem langen Weg ins Hotel folgen. "Shit happens" - in der Tat!

Prächtiges Zeremoniell vor dem Präsidenten-Palast

Es gibt auch wieder sonnige Tage, so den Montag, an dem stets der Wachwechsel mit großem Tamtam vor dem Palast des Präsidenten stattfindet. Rafael Correa steht an der Balustrade, winkt seinen Anhängern strahlend zu. Er ist mit einer Belgierin verheiratet, die an einer Privatschule Französisch unterrichtet, und hat drei Kinder. Er ist seit Januar 2007 Präsident Ecuadors. Auch etliche Minister winken während ihrer Vorstellung hinunter, manch ein Name wird mit wütenden Pfiffen quittiert. Am Ende des großen Zeremoniells mit großem Aufmarsch livrierten Wachpersonals zu Fuß und hoch zu Ross wird oben auf dem Präsidenten-Palast die ecuadoranische Flagge gehisst.

Gegenüber des Palastes steht das prächtige Majestic-Hotel mit seiner herausgeputzten Fassade im Kolonialstil. Diesmal ist endlich wieder Leo mit von der Partie. Mit Blick auf die Schuhputzer, die es auf der Plaza zuhauf gibt, genießen wir eine köstliche Canelazo. Wie Glühwein wird es heiß getrunken und besteht aus Wasser, Zimt, Nelken, Naranjilla-Saft und starkem Zuckerrohr-Aguardiente, quasi dem Anden-Feuerwasser. Ein leckeres Getränk, das ich nicht nur einmal genieße, wenn es kalt ist.

Auf der zweithöchsten Bergstation der Welt

Das ist es definitiv auf dem Pichincha: Der Hausberg Quitos mit seinen zwei Gipfeln bildet die Westgrenze der Stadt und legte die Metropole 1999 bei seinem letzten Ausbruch in eine Aschewolke. Ich habe den Anspruch, die Erste morgens auf der Bergstation, der zweithöchsten der Welt, zu sein. Der "TelefériQo" (von teleférico und Quito) ist eine im Jahr 2005 in Betrieb genommene Luftseilbahn. Sie wurde im Auftrag einer Stiftung gebaut, die durch Spenden der örtlichen Unternehmer und der Bevölkerung finanziert wurde. Die Stadt stellte die Grundstücke zur Verfügung und erhält dafür nach 25 Jahren das Eigentum an der Anlage. Die Seilbahn führt vom Stadtrand, wohin mich in aller Frühe ein Taxi bringt, von etwa 2950 Metern hinauf auf mehr als 4000 Meter Höhe auf die Ostseite des Vulkans. Bei ihrer Eröffnung noch als höchste Bergstation der Welt gefeiert, wurde sie 2008 als solche abgelöst von der Dagu Glacier Gondola in China. In der Tat: Ich bin die Erste, die morgens um 8 Uhr noch vor verschlossener Tür steht, obwohl alle Arbeiter schon da sind. Endlich geht es los. Zu mir gesellen sich zwei junge Mädels aus Deutschland, die erst vor wenigen Tagen in Lateinamerika angekommen sind und auf die einige Monate als Volontäre in einem Naturschutzgebiet warten.

Oben angekommen - als Erste. Genau, was ich wollte. Hier herrscht völlige Einsamkeit. Kein Laden, kein Lokal, nichts hat geöffnet, nicht mal die Toiletten. Ich möchte den Aufstieg auf den Rucu Pichincha (4698 Meter) wagen, die beiden Mädels in Ermangelung eines Reiter-Angebots sind mit von der Partie. Nach einer Stunde Aufstieg etwa kommt uns ein Paar aus der Schweiz entgegen, beide erfahrene Bergsteiger. Sie warnen uns vor dem Aufstieg auf den Gipfel, zumal das Wetter heute schnell umschlagen könne. Schade. Wir nehmen noch einige Meter auf uns, ehe wir uns zur Umkehr entschließen. Ein Risiko möchte ich nicht eingehen. Schon gleich nicht, wo sich die zwei Mädels auf mich verlassen. Sie entdecken wenigstens noch einige Pferde und schnappen sich zwei für einen kleinen Ausritt am Fuße des Pichincha. Ich indes mache mich allein auf den Rückweg und schlängle mich nach dem herrlichen Naturerlebnis durch den laut dröhnenden und hupenden Straßenverkehr Richtung Hotel. Und finde in der Millionen-Stadt doch tatsächlich ohne Fragen dorthin - nach eineinhalb Stunden. Ein schöner Ausflug.

Galoppierend am Fuße des Vulkans

Um dem Großstadt-Koller zu entgehen, klinke ich mich für zwei Tage aus und buche einen Trip in die Anden-Region. Es geht eineinhalb Stunden gen Süden, wo mein Ziel - und das einiger anderer Traveller aus aller Welt - die Hosteria "Papagayo" ist. Diese 200 Jahre alte Farm in Familienbesitz liegt inmitten einer traumhaften Landschaft mit herrlicher Natur und etlichen Vulkanen. Corazon (Herz) ist einer davon, den ich bei meinem ersten Ausritt im Leben stets vor Augen haben werden. Und im Hinterkopf immer nur Chap. Er würde mich für völlig verrückt halten, im "zarten" Alter von 53 auf den Rücken eines Pferdes zu klettern. Alle anderen haben eine Rad-Tour am Fuße der Vulkane gebucht. Somit bin ich weit und breit die einzige, die sich zum "Horseback Riding" angemeldet hat.

Mein Gaucho heißt Enrique und ist gerademal 20 Jahre jung. Ich erinnere mich, wie es die coolen Cowboys im Fernsehen immer machen beim Aufsteigen. Donnerwetter, es klappt zumindest gleich beim ersten Anlauf, meinen neuen Freund "Neik" zu erklimmen. Leo darf vorab schon mal Probe sitzen. Das mit der professionellen Einweisung können wir uns gleich von vornherein schenken, zumal mein Gaucho ausschließlich Spanisch spricht. Wahrscheinlich würde ich das Reiter-Kauderwelsch nicht mal in Deutsch kapieren. So trotte ich nun auf "Neik" hinter Enrique her und kann anfangs die wundervolle Umgebung nur aus den Augenwinkeln verinnerlichen. Der Fokus ruht noch darauf, mich im Sattel zu halten, den Knauf an selbigem fest zu umschließen und die Zügel locker in der anderen Hand zu halten, mit der ich das Pferd quasi steuern kann. Locker ist gut gesagt, wenn man, wie ich, völlig verkrampft da oben sitzt und hofft, es auch zu bleiben. Ob ich nervös bin, fragt Enrique. "Si claro", entgegne ich und ringe mir ein krampfhaftes Lächeln ab. In meiner linken Jackentasche kauert Leo, rechts steckt mein Fotoapparat. Es dauert eine Weile, bis ich ihn mich zücken traue, um mal aus luftiger Höhe abzudrücken.

Schon bald schmerzt mein Zeigefinger. Das hat wahrscheinlich noch kein Reiter erlebt, zumal sich irgendwelche Schmerzen ja eher im Po- oder Beinbereich rühren. Zeigefinger deshalb, weil ich die Zügel so verkrampft halte. Während eines Stopps schlinge ich die Zügel ganz locker um die Hand, so, wie ich es aus unzähligen Western kenne, die ich mir gern in Schwarz-Weiß mit Chap reingezogen habe. Gern mal bis frühmorgens um fünf. Als "Neik" plötzlich Gas gibt, sind die Zügel schnell wieder im Klammergriff. Und Enrique nimmt mich besser in Schlepp an der langen Leine. Jetzt wandert mein Blick schon gelassener umher, schweift hinauf zum Gipfel des Herz-Vulkans. Da meint mein Gaucho doch glatt, wie es aussehen würde mit "rapido" - also schnell! Na klar, bin dabei. Grundgütiger Himmel, steh' mir bei. Plötzlich gerät mein Körper völlig außer Kontrolle. Das mit dem aufrechten Sitzen haut schlagartig nicht mehr hin. Ich taumle wie ein nasser Sack im Westernsattel, weiß nicht, welches Körperteil gerade wo unterwegs ist. Im Fernsehen sieht es immer so entspannt aus, wenn Reiter über Wiesen galoppieren. Enrique hingegen fängt mit dem Gasgeben an, als wir eben den Aspalt erreichen. Mein Steißbein, meine Schulter, auweia! Zumindest halte ich mich im Sattel. Der Helm, der auf meinem Kopf herumschlottert, hätte bei einem Sturz ohnehin keinen Nutzen, weil ich von Haus auf etwas dagegen habe, dass man mir den Hals zuschnürt.

Zebra Leo reitet auf einem Artgenossen

Schön, dass uns die beiden großen Hunde fast vier Stunden lang folgen und richtig Spaß daran haben. Ich habe mittlerweile auch Freude daran, die Welt aus dem Sattel zu genießen, noch dazu bei solch grandioser Kulisse. Aus jedem Hof, den wir passieren, stürmen regelrechte Hunde-Banden, um unsere zwei Begleiter und auch Pferde samt Reiter in Schach zu halten. Das Territorium wird eisern verteidigt. Die Pferde lässt das völlig kalt.

Immer wieder wechseln wir von Schritt in vollen Galopp, und ich spüre, wie sich über mein Hinterteil Blasen ausdehnen. Manchmal komme ich richtig in Fahrt und habe den Dreh raus - was allerdings nur ein, zwei Minuten anhält. Ob ich zurück will zum Gut, fragt Enrique, nachdem unsere Pferde zwei Stunden später unten im Bach einen kräftigen Schluck genommen haben. "Nein, auf gar keinen Fall", signalisiere ich ihm. Und lachend prescht er mit seinem Pferd voraus, ich wieder hinterdrein. Welcher Teufel mag mich da geritten haben? Ich erhöhe meine erste Reiter-Lektion im Leben freiwillig auf knapp vier Stunden. Abgesehen von meinem schmerzenden Po habe ich richtig Freude daran, am Fuße der Vulkane über einsame Wege, über Wiesen und auch Asphalt zu reiten. Hin und wieder drohe ich aus dem Sattel zu gleiten, wenn "Neik" so richtig aufdreht. Wie gut, dass niemand sieht, wie ich zuweilen krampfhaft in den Seilen hänge. Dass mit Leo ein Zebra auf einem Pferd reitet, amüsiert meinen Gaucho sehr. Gern schießt er ein paar Fotos von uns.

Als wir nach knapp vier Stunden im "Papagayo" eintraben und ich von "Neik" steige, fühlen sich meine Beine an wie eine Mischung aus Pudding und Blei zugleich. Vom Hintern ganz zu schweigen. Das Grauen offenbart sich unter der Dusche: alles wund und entzündet. Wie gut, dass ich meine rote Wundsalbe dabei habe, die mir gleich noch die ganze Unterwäsche versaut. Die Masseurin richtet mich wieder einigermaßen auf die Beine, wenngleich ich da Besseres gewöhnt bin. Ein Trostpflaster ist mein Zimmer, das gleich ein ganzer Bungalow ist am Rande des Dschungels. Den Rest des Tages verbringe ich am Stuhlrand hockend. Dennoch möchte ich dieses neue Erlebnis nicht um die Bohne missen. Auf meinem Abendspaziergang durch den Wald, in dem mächtige Büsche mit roten und orangen Engels-Trompeten gedeihen, begleiten mich meine beiden treuen Hunde vom Ausritt, die sich an jeder Abbiegung nach mir umdrehen, bis ich zum Endspurt blase.

Wilder Umgang mit den lieben Tierchen

Von den rund 70 Vulkanen, die es in Ecuador gibt, sind acht aktiv, wie unser Führer beim Ausflug tags darauf erzählt. Glücklicherweise muss ich heute nur laufen - bis dahin jedoch eineinhalb Stunden im Bus sitzen, der sich unaufhaltsam die Serpentinen der Anden hinaufschraubt. Knapp 20 Leute aus aller Welt - von Israel über die USA bis hin zu weiteren Deutschen - wollen die Laguna Quilotoa bestaunen, den Vulkansee, der auf einer Höhe von 3800 Metern liegt. Zunächst einmal besuchen wir den Indio-Markt in Saquisili. Und der ist nichts für schwache Nerven. Laut quietschend werden hier Ferkel an Seilen gezerrt, die sich standhaft weigern, mit ihrem neuen Besitzer von dannen zu ziehen. Kurzerhand wird so ein Schweinchen dann eben unter den Arm geklemmt und eilig zum Anhänger getragen, auf dem es dann eingepfercht wird. Bei manchem Tier sind gar sechs Hände vonnöten, um es von A nach B zu schaffen. Alpakas, Schafe und Lämmer, Ziegen und Hühner werden hier gehandelt. Dazwischen brutzelt und köchelt es, schieben sich die Bauern, die von weither zum Markt gekommen sind, eine Stärkung zwischen die Zähne. Zum Beispiel die glasierten und gegrillten Schweinsköpfe, die hier in Reih und Glied darauf warten, verzehrt zu werden. Für das liebe Vieh liegen Berge von Grünzeug bereit.

Farbenfrohe Gewänder

Die Indios sind in ihrer traditionellen Kleidung unterwegs, die keineswegs als Hingucker für neugierige Touristen wie mich über den Körper gestreift worden ist. Man trägt das eben so. Seit Jahrhunderten. Die Hüte mit der Feder drauf, die Ketten in mehreren Schichten um den Hals oder die bunten Tücher, die die weiten Röcke der Frauen aufhübschen. Ponchos und Stolen sorgen für Wärme, denn hier im Hochland ist es doch verdammt frisch. Lauthals wird hier um alles gefeilscht, kaum ein Preis, der nicht nach unten gedrückt wird. Gutes Geld bringen die Cuys, die Meerschweinchen, die mit Vorliebe gegrillt verzehrt werden. Ein Tier bringt zwischen fünf und sieben Euro in die Kasse der Bauern. Eine Menge Geld. Bislang hat es sich noch nicht ergeben, eines zu probieren. Für rund 25 Dollar ist mir so ein Tierchen zu teuer, außerdem möchte ich ja nur einmal kosten, um mitreden zu können, wie es schmeckt. Vielleicht teilt sich ja mal jemand eines mit mir. Äußerst unappetitlich allerdings ist die Methode, wie den possierlichen Tierchen, die in unseren Gefilden als Haustier zur Familie gehören, der Garaus gemacht wird. Eine Ecuadorianerin, die mit uns unterwegs ist, verrät es mir angewidert: "Entweder werden sie bei lebendigem Leib in heißes Wasser gesteckt oder der Kopf wird ihnen zu Boden gedrückt, bis sie ersticken." Mir stülpt es regelrecht den Magen um. "Aber es schmeckt sehr lecker", schiebt die junge Frau gleich in einem Atemzug hinterher. Hühner baumeln zu mehreren kopfüber an den Füßen zusammengebunden auf dem Rücken vieler Bauersfrauen, deren derbe, vom Wetter gegerbte Gesichter Bände sprechen vom harten, kargen Leben auf dem Lande hier oben in den Anden Ecuadors.

Freudenfest für Langfinger

Einer unserer Mitreisenden hat wohl die Warnungen des Führers schlicht in den Wind geschlagen: Eine viertel Stunde nach unserer Tour durch den farbenfrohen Markt ist er seine neue, sehr teure Kamera los. "Ich hab' sie beim Probieren da vorn am Stand in meine Hosentasche gesteckt." Grobes Foul. Noch dazu, weil an der Kamera ein Selfie-Stick wunderbar dazu eingeladen hatte, das schicke Teil im Vorübergehen mal eben aus der Tasche zu ziehen. Der Typ aus South Carolina nimmt es dennoch recht locker und greift zum Handy, um weitere Fotos zu schießen. Leichtsinnige Touristen sind ein gefundenes Fressen für Taschendiebe in diesem dichten Gedränge, in dem man durch das üppige und exotische Angebot ganz einfach nur abgelenkt wird.

Mit 100 Meerschweinchen unter einem Dach

Wie fürchterlich schlicht die Bauern in der Einsamkeit der Berge leben, ja eher hausen, zeigt sich beim Besuch einer Indio-Familie in deren karger Hütte. Die ist Schlafstatt, Kochstelle und zugleich Wohnraum nicht nur für die Menschen, sondern obendrein für rund hundert Meerschweinchen, die gerade aufgeregt zwischen meinen Füßen herumwuseln und an dem Grünzeug nagen, mit dem der Boden der strohgedeckten Hütte ausgelegt ist. Bei finanziellem Bedarf geht es mit den possierlichen Tierchen auf den Markt tief unten im Tal, wo die Cuys gegen Bares eingetauscht werden. Der Opa, dem gerade noch ein Zahn im Mund geblieben ist, possiert neben seinen Enkeln fürs Foto. Hier gibt es keinen Zahnarzt. Und wenn jemand krank wird, kommt der Schamane mit Kräutern, Eiern oder einem Cuy vorbei, das zur Not geöffnet wird, um festzustellen, welche Innereien den Menschen zwicken könnten. Andere Länder, andere Sitten eben. Wie weit das hilft, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Und es gibt kein Wasser in dieser trockenen Einöde - es muss vom entfernt rauschenden Fluss geholt werden -, keinen Strom. Heizung - Fehlanzeige. Und hier wird es verdammt kalt. Die roten Backen der Kinder sprechen Bände. Wie glücklich können wir uns schätzen, einfach den Wasserhahn aufzudrehen oder die Heizung, die es uns in kürzester Zeit wunderbar kuschelig macht.

Weiter geht die Fahrt zum Canon del Rio Toachi. Vor Jahrhunderten schon hat ein unglaublich wuchtiger Vulkanausbruch hier eine kilometerlange und wahnsinnig breite und tiefe Schneiße in die Erde gerissen, die heute ein Magnet ist für die doch noch recht spärlichen Touristen in der Region. Wieder einmal schweißtreibender Marsch ist angesagt, nachdem wir den Krater zur Laguna Quilotoa erreichen. Der liegt auf 3900 Metern Höhe. Aber jetzt geht es erst mal runter. Welch traumhafter Blick auf diesen prächtigen See. Zurück wählt die Masse den Rücken von Mulis. Da packt mich die Ehre aber doch zu sehr. Selbstverständlich plage ich mich nach oben und schaffe es in unter einer Stunde, während eine Stunde und 40 Minuten für den Aufstieg angegeben ist. Angesichts der sandigen Steilhänge werden Erinnerungen an die "Lost City" in Kolumbien wach.

Ein genialer Tag geht nach zwei Stunden Busfahrt zu Ende, und tags darauf verbringe ich die letzten Stunden in Quito, ehe nach Machu Picchu das zweite Highlight meiner langen Reise auf mich wartet: die Galapagos-Inseln.