Brisbane - Bange richte ich meinen Blick nach Bali. Jetstar hat sämtliche Flüge von Australien nach Bali gestrichen. In umgekehrter Richtung natürlich auch. Virgin Australia ebenfalls. Während meiner letzten Woche auf dem Fünften Kontinent verfolge ich die Nachrichten mit Argusaugen, sitze aufgeregt schon zum Frühstück vor dem Fernseher in Berns und Andrews schicker Küche in Brisbane. Seit Ende Juni ist der Vulkan Mount Raung auf Java in Indonesien aktiv, nun sorgen Aschewolken für massive Probleme: Der Flughafen der Insel Bali - quasi das Urlaubs-Mekka der Australier wie Mallorca für die Deutschen - ist vorläufig geschlossen. Tausende Urlauber sitzen fest. Denn es sind gerade Ferien in Australien. Und ich habe meinen Flug vor etwa vier Wochen gebucht, um nach drei recht kühlen Wochen wieder einmal Sonne tanken zu können. Doch gerade scheint mein nächstes Ziel auf dem mittlerweile dritten Kontinent während meiner Auszeit - Asien - in weite Ferne zu rücken.
Mehr als 350 Flüge sind mittlerweile gestrichen, teilt ein Flughafensprecher eben mit. 47.000 Touristen seien betroffen. Hunderte Reisende, bis zum Abend werden es mehrere Tausend sein, campieren auf dem Flughafengelände - in der Hoffnung, Informationen über das weitere Vorgehen zu erhalten. Indes machen weitere Flughäfen auf den indonesischen Inseln dicht. Vor allem die australischen Airlines wollen nichts riskieren, auch wenn mancher Flughafen noch nicht geschlossen ist. Die Chinesen und Koreaner indes fliegen trotz Aschewolke, bringen ihre Leute ins und holen sie aus dem Urlaubsparadies, wenn der Airport gerade einmal wieder für eine Weile für Starts und Landungen freigegeben wird. Auf der Nachbarinsel Lombok schließt gerade der internationale Flughafen. Täglich ändern sich die Vorhersagen. Ich blicke weiterhin bange nach Bali, wo momentan Hochsaison herrscht. Tausende Familien aus Australien sind dem Winter in ihrem Land entflohen, um hier die Sonne zu genießen. Ein Viertel der mehr als drei Millionen Besucher im Jahr kommt aus Australien. Deutsche machen nach Angaben der Tourismusbehörde nur zwei Prozent der Feriengäste aus. Ich wäre gern ein winziger Bruchteil dessen. Und hoffe weiter.
Der rund 3300 Meter hohe Vulkan, der Lava und Asche spuckt, liegt etwa 150 Kilometer westlich von Bali und ist seit Juni aktiv. Die jüngste Aschefontäne ist besonders groß, weshalb die Behörden Alarmbereitschaft auslösen. Evakuierungen gibt es bislang nicht. Der Vulkan war im vergangenen Jahr schon einmal ausgebrochen. Opfer gab es dabei nicht. Indonesien hat mehr als 130 aktive Vulkane.
Schneeballschlacht und verblüffte Kängurus
Doch nicht nur in Asien spielt die Natur verrückt. Auch in Queensland, dem berühmten Sonnenschein-Staat in Australien, in dem ich gerade unterwegs bin, treibt das Wetter außerordentliche Kapriolen. Das wird ebenso unaufhörlich im Fernsehen präsentiert wie der Vulkanausbruch: Schnee in Queensland. Extremer noch in den Blue Mountains in New South Wales, dem südlich angrenzenden Staat. Ein paar Ältere können sich vielleicht erinnern. Die meisten haben Schnee noch nie gesehen. Etwas nördlich, westlich und südlich von Brisbane herrscht zum Teil Verkehrschaos. Autos stecken fest, ein Vorwärtskommen gibt es nicht. Kein Mensch hat hier Winterreifen, geschweige denn gibt es Räumfahrzeuge und dergleichen. Wie auch, wenn es seit gut 30 Jahren nicht geschneit hat in dieser Region. Die Menschen flippen regelrecht aus, bauen eifrig Schneemänner in den Vorgärten, liefern sich fröhliche Schneeballschlachten, Kinder lecken an der weißen Pracht, die sie voller Begeisterung in den Händen schmelzen lassen. Und mit welchem fahrbaren Untersatz auch immer, werden kleinste Hügel erklommen, um auf dem Hintern abwärts zu rutschen. Die Australier bombardieren das Fernsehen mit kleinen Videos aus ihrer schneereichen Umgebung, schicken unentwegt Fotos, die das persönliche Schnee-Erleben dokumentieren. Kängurus hoppeln verwirrt über die Straßen oder harren im Schnee aus, wie die Fernsehbilder zeigen. Der Tasmanische Teufel, auf den sich die Kamera eben richtet, scheint ebenfalls ein wenig irritiert angesichts des Wintereinzugs in seiner sonst so sonnigen Umgebung.
"Dirty Dancing" und Gassi im Buschland
Ich behalte in meinem schneefreien Terrain sämtliche Flüge nahezu rund um die Uhr im Auge, während ich in Brisbane bei äußerst windig kühlem Wetter, aber bei Sonne das kulturelle Leben erforsche. Außerdem zwinge ich mich nach dem üppigen Speise-Zettel im Hause meines Cousins in Toowoomba weiterhin zu sportlichen Aktivitäten. Hündin Eva freut es zumindest, dass wir täglich ein bis eineinhalb Stunden durch australisches Buschland toben. Zusammen mit Bern besuche ich im Theater am Ufer des Brisbane River das Musical "Dirty Dancing". Welch eine brillante Vorstellung mit wunderbaren Akteuren! In der teuren James Street - das gehört natürlich auch zur Kultur - genießen wir in schicken Luxus-Bars kühlen und perlenden Weißwein, während die exklusive Schickeria um uns herum flaniert.
Bei einer Walking Tour - zu mir gesellt sich ein ebenso junger wie schweigsamer Typ aus Sydney - zeigt uns Tour-Guide Kristin die Vielfalt von Art und Design in der Metropole. Bis 1970, so deutet sie auf das hässliche Beton-Gebäude der Westpac, "war dies das höchste Gebäude nach der City Hall". Kaum zu glauben, denn mittlerweile geht es völlig unter zwischen den verspiegelten Wolkenkratzern, in deren Fronten die winzigen alten Gebäude einen krassen Kontrast bilden. Hinter jeder Ecke lauert Kunst in Brisbane. Wie schon einmal erwähnt, müssen beim Bau öffentlicher Gebäude stets zwei Prozent der Kosten in Kunstwerke fließen. So kauert unsichtbar für jeden ignoranten Passanten eine metallene Figur neben einem Büro-Eingang und lässt die stählernen Beine locker nach unten baumeln, dort, wo die eiligen Büromenschen ihr Lunch im Food-Store einnehmen.
Teure Fassaden und viel Kunst aus Sandstein
Als das wohl teuerste Kunstwerk der Stadt schildert Kristin die Fassade des "Wintergardens" - eines mondänen Shopping-Centers. Die mit metallenen Schmetterlingen übersäte Front, die in die belebte Fußgängerzone blickt, soll 6,5 Millionen Dollar gekostet haben. In der Saint Stephens Chapel - Brisbanes ältester Kirche - landet man auch nur als Insider. Denn das Hauptportal des kleinen Kirchleins, in dem sich verliebte Paare gern das Jawort geben, ist verschlossen. Um die Ecke zu lugen, fällt einem Touristen partout nicht ein. Kristin indes lotst uns über den versteckten Seiteneingang in die kleine Kapelle neben der gleichnamigen Kirche, wo eine wundervolle Holz-Skulptur - aus einem mächtigen Baumstamm geschnitzt - steht. Sie scheint auch Maler in ihren Bann zu ziehen, zumal gleich zwei in den Kirchenbänken hocken, um dieses außergewöhnliche Kunstwerk in filigranen Strichen zu skizzieren. Kirche und Kapelle sind umgeben von 30 herrlich gearbeiteten Sandstein-Skulpturen - eine Arbeit, die ich seit einigen Jahren sehr zu schätzen weiß, zumal ich einmal im Jahr einen Steinmetz-Workshop in Wunsiedel - dem deutschen Stein-Zentrum überhaupt - besuche, um mich selbst künstlerisch zu betätigen. Zahlreiche historische Gebäude in Brisbane sind aus Sandstein, der aus der Gegend von Toowoomba stammt.
Ein Herz für Nachwuchs-Künstler
Kunst ganz anderer Art präsentiert sich permanent auf unserem Weg durch das Herz Brisbanes. Denn die Schaltkästen am Rande von Gehsteigen und Straßen - einstmals langweilig graue Blöcke, die nur ihre Funktion erfüllt haben -, sind heute Leinwände für all jene, die sich der Kunst verschrieben haben, aber vielleicht nicht immer die Plattform bekommen, die ihnen vielleicht gebührte. Wer hier seinen künstlerischen Fußabdruck hinterlassen möchte, wendet sich einfach an die Stadt Brisbane - Farben und Pinsel gibt es umsonst. Und schon kann's losgehen.
Nur noch Bilder und Erinnerungen gibt es von der einstigen Festival Hall, wo Shirley Bassey, die Beatles, Bob Dylan, Bee Gees oder Elton John vor vielen Jahren ihre musikalische Visitenkarte abgegeben haben. Der kleine Walk of Fame ist hier nach wie vor zu bestaunen, wenn man ein Hotel betritt. Hier zeugen auch alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von jener Zeit, als Straßenbahnen durch Brisbane fuhren. In der berühmten Queen Street gab es dieses Transportmittel noch bis 1970. Kristin führt uns in eine alte Schulbücherei, in der es noch so antiquarisch zugeht wie zu jener Zeit, als unser Tour-Guide die Schule besucht hat. "Das ist immerhin 30 Jahre her", blickt sie kurz zurück. Und irgendwie riecht es auch so, wie es wohl vor 30 Jahren gerochen haben muss. Und die vielen Jahrzehnte vorher auch. Eng, muffig, Bücher gestapelt bis unter die Decke, düster und - halt alt.
Die Expo als Trend-Wende
1988 skizziert ein Jahr, das in Brisbane quasi die Wende gebracht hat. Es ist das Jahr der Expo. In sechs Monaten kommen sage und schreibe 20 Millionen Besucher in die Metropole an Australiens Ostküste. "Das hat unsere Stadt vorangebracht", erzählt Kristin nicht ohne Stolz. "Vor allem in Sachen Kunst." Wenngleich die meisten Kunstwerke in der City erst seit Beginn des neuen Jahrtausends entstanden sind. So zum Beispiel das Werk "Steam" aus dem Jahr 2006 auf dem Brisbane Square. 7000 Gemüsekocher sind hier in 17 Metall-Kugeln zu einem wundervollen Blickfang verarbeitet worden. Rätselnd steht so mancher Passant davor. Auch mir wird das Verarbeiten der Küchengeräte erst bewusst, als Kristin uns davon erzählt. Ein paar Meter weiter ruhen Kängurus aus unzähligen Schrauben. Das Werk "City Roos" gibt es seit 1999.
In der Burnett Lane - eine Straße, die man normalerweise links liegen lässt - gibt es an den Rückseiten der Gebäude unglaublich viele exzentrische und künstlerische Highlights zu entdecken. Street Art der ganz besonderen Art. Wie sich das Gesicht der Burnett Lane zwischen 1829 und 2010 gewandelt hat, wird ebenfalls an den Hausmauern dokumentiert. Selbst auf dem Asphalt, über den für gewöhnlich Lkw rollen, weil sie über die Hintereingänge anliefern, ist Kunst zu bestaunen. In Form von Blüten in verschiedenen Farben aus einer gummiähnlichen Masse, die einige Jahre zu überdauern scheint.
Die City Hall, 1920 als Regierungssitz gebaut und bis 1970 das höchste Gebäude der Stadt, wird von Kristin als das einstmals teuerste Bauwerk der Stadt beschrieben. Für 480.000 Pfund ist es seinerzeit in die Höhe gezogen worden. "Speakers Corner" gleich gegenüber wird beherrscht von drei Bronze-Figuren, die Personen aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert beschreibt. Unter anderem Emma Miller, die erste Frauenrechtlerin, die kein Blatt vor den Mund genommen hat. Hut ab, dass es solche Frauen schon damals gegeben hat. Auch heute scheint es immer noch zu wenige von dieser Sorte zu geben!
470 Meter zwischen Liebe und Hass
Eine Kunst neuerer Art ist die "Kurilpa Bridge", an deren Gestaltung sich die Geister scheiden - wie das bei Kunst eigentlich immer der Fall ist. Doch hier, zumal unübersehbar, scheint es wahre Kriege in der geistigen Auseinandersetzung gegeben zu haben. Ich bin absolut entzückt von dem eigenwillig modernen Brückenbauwerk - das 15., das den Brisbane River überquert und nur von Fußgängern wie Radfahrern genutzt wird. 2009 eröffnet und 63 Millionen australische Dollar teuer - 470 Meter Länge, die begleitet sind von Liebe und Hass. "Dazwischen gibt es nichts", weiß Kristin. Da mag sie wohl recht haben. Ich liebe diese Brücke.
Und ich habe auch Brisbane ein wenig lieben gelernt. Etwas wehmütig nehme ich Abschied von dieser wunderbaren Stadt, in der einst meine Verwandten gelebt haben. Und ich bin froh darüber, in Bernadette und Andrew herzliche, neue Freunde in der Metropole gefunden zu haben. Zusammen mit ihnen werfe ich noch einmal einen bangen Blick gen Bali. "Voraussichtlich", so heißt es heute auf der Internet-Seite von Jetstar, geht mein Flieger morgen früh um neun Uhr. Ich hoffe, es bleibt dabei. Nach Südamerika und Australien wartet nun der dritte Kontinent auf mich.