Kurfürst auf der Kloschüssel

Von Michael Weiser
Lebendes Bild: Der Prinz träumt vom Ruhm, der Kurfürst und seine Entourage sehen die Chance für einen Scherz. Foto: E.T.A.-Hoffmann-Theater Foto: red

Ob Kleist geahnt hat, dass es mal einen Komponisten namens Richard Wagner geben würde? Das E.T.A-Hoffmann-Theater in Bamberg bringt beim "Prinz Friedrich von Homburg" zusammen, was  so nicht unbedingt zusammengehört. Und am Ende war alles nur geträumt.

 
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In einer der besten Szenen sitzt der Kurfürst – auf der Kloschüssel. Und rezitiert Robert Frost: „Der Wald ist dunkel, lieblich, tief. Doch ich muss tun, was ich versprach, und Meilen gehn, bevor ich schlaf.“ Die Zeilen beschwören einen Geist: Im Rollstuhl sitzend nähert sich Helmut Schmidt, seine Stimme kommt vom Band, während der Kurfürst im trauten Zwiegespräch den Giovanni di Lorenzo gibt. Man spricht über Schmidts Lieblingsgedicht, über sein Versprechen: die Herrschaft des Gesetzes, die Schmidt so hartnäckig beschwor. Man müsste hinzufügen: selbst als das bedeutete, den Konflikt mit der RAF auf die Spitze zu treiben. Vom ermordeten Hanns Martin Schleyer, dem Opfer der Staatsraison, ist an diesem Abend nicht die Rede, vermutlich hat Regisseur Robert Gerloff die Geschichte nicht weiter interessiert: Das Springen von Anspielung zu Anspielung hat in dieser Bamberger Inszenierung des „Prinzen von Homburg“ System. Gerloff spinnt Fäden, nur, um sie liegenzulassen. Viele Fäden...

Der deutsche Weg, leicht gemacht

Man hat in diesem Intertextualitäts-Bingo Gelegenheit, sein Wissen über Film und Theater zu testen. Tschechows drei Schwestern sehnen sich nach Moskau, die Damen beim „Homburg“ nach Berlin. Goethes Faust klamaukt durch die Szenerie, vor allem Wagner ist reichlich vertreten, mit einem guten halben Dutzend seiner Dramen, vom „Rienzi“ über den „Lohengrin“ bis zum „Parsifal“. Die „Götterdämmerung“ ist auch dabei, klar, zu Bildern vom zerbombten Berlin. Es folgen Bilder von der Kommune 1, von den Demos gegen den Schahbesuch. Der Nachteil: zielführend ist derlei nicht immer. Besagte Ruinen kann man noch – zweifelhaft – mit Preußen verbinden: der Endpunkt einer Entwicklung, die mit Preußens Aufstieg seit Fehrbellin beginnt, der Schlacht, die den Rahmen für Kleists Drama abgibt. Was aber hat Wagner mit Kleist zu tun, was mit dem, was er im „Homburg“ verhandelt? Was mit den 68ern? So leicht kann man sich den deutschen Weg nicht machen.

Zu viel Klamauk

Gerloff und sein Team hatten viele Einfälle, aber leider nicht mehr die Kraft, sie auch zu vergessen. Diese Schwäche führt vor allem in der ersten Hälfte zu viel Klamauk. Die Kavallerie trabt wie bei Monty Python zu Fuß, zum Klappern der Kokosnussschalen. Vieles verunklart, für den Preis eines Lachers. Gerloff beweist an anderer Stelle das Feingefühl für einen guten, vielleicht sogar großen Abend: Wie Kurfürst und Prinzessin Natalie Unterredung halten, bei einer Zigarette in der Raucherecke, um ja dem Gesetz Genüge zu tun – da ist das Phänomen des abstrakten Gesetzes, der Disziplinierungskraft des modernen Staat ganz präzis, unaufdringlich und witzig eingefangen.

Die Ausstattung: Maximilian Lindner hat das Kollektiv des brandenburgischen Staates in eine 68er-WG verlegt, in eine Zeit, die mit deutschen Traditionen brechen wollte und darüber totalitäre Tendenzen entwickelte. Johanna Hlawicas vorsichtig historisiernde Kostüme takten das Geschehen in die kriegerische Zeit Preußens und Kleists ein – und führen uns behutsam zur Frage, wie wir Heutigen uns in den vielen Konflikten des Dramas verhalten würden. Allerdings sehen wir eigentlich gar nicht die Inszenierung eines Theatertextes, wir wohnen dem Spiel eines kleinen Mädchens (wiederum Katharina Rehn) bei, das sich in die Gestalt des Prinzen hineingeträumt und -gespielt hat. Sein Gesicht wird am Ende groß in die kasperltheatermäßige Bühnenöffnung im Hintgergrund eingeblendet, das Drama so zum Puppenspiel.

Die Brandenburger als Gliederpuppen

Aus dem gut aufgelegten Ensemble sind Diener und Dienstherr hervorzuheben. Katharina Rehn ist, mit Schwächen in der Aussprache, ein glaubwürdiger Prinz, ein traumwandlerischer Abenteurer, der erst im Angesicht des Grabes zur Reife findet. Viel Beifall bei der Premiere. Das stille Ereignis in dieser ab und an doch sehr aufgeregten Inszenierung ist Volker Ringes Kurfürst: Ein mild resignierter, gar einsichtiger Herrscher, der – irgendwann ganz nachvollziehbar – das Gesetz als Souverän ausruft. Das macht Volker Ringe präzis, unaufgeregt, kurz: sehr spannend.

Die Traumszene am Ende löst Gerloff mit Schüssen aus der Konfettikanone. Der traumwandelnde Prinz wacht auf. Und die „Feinde Brandenburgs“? Müssen in Bamberg nicht „in Staub“, sie werden ins Bett geschickt. Die Brandenburger liegen da bereits wie losgelassene Gliederpuppen in der Matratzenlandschaft der WG umher.