Kulmbach zeigt Flagge Ein halbes Jahr der Solidarität

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Hunderte Kulmbacher hatten sich auf dem Marktplatz versammelt, als nach Kriegsbeginn zur ersten Mahnwache aufgerufen worden ist. 23 Mal haben sich inzwischen Menschen zusammengefunden, um für Frieden einzutreten. Foto: Gabriele Fölsche

Rund 180 Kinder und Jugendliche haben auf der Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat ein neues Zuhause in Kulmbach gefunden. Im neuen Schuljahr gibt es für sie jetzt ein Unterrichtskonzept, das allen gerecht werden soll. Aber auch ihre Eltern integrieren sich gut und suchen Anschluss.

 
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Von Anfang an hat sich das Kulmbacher Schulamt dafür stark gemacht, dass möglichst alle ukrainischen Kinder schnellstmöglich wieder zur Schule gehen und damit auch ein Stück Alltag finden können. Improvisation war angesagt in den ersten Monaten. Dabei kamen den Kulmbacher Lehrkräften auch Kollegen aus der Ukraine zu Hilfe. Das Land hatte es geschafft, trotz des Krieges Fernunterricht auf die Beine zu stellen. Auch in Kulmbach haben viele geflüchtete Kinder mit Hilfe digitaler Technik mit ihnen bekannten Lehrern aus der Heimat gelernt. Vertreter aller Schularten haben dazu eigens eine Steuergruppe eingerichtet, um die Umsetzung in Kulmbach zu erarbeiten, erinnert Schulrätin Kerstin Zapf.

Doch dass das nicht auf Dauer funktionieren kann, war schnell erkannt worden. Schulamtsleiter Michael Hack hat deswegen die Gründung der Willkommensgruppen an verschiedenen Standorten sehr begrüßt, die seit dem Frühsommer als Teamleistung wenigstens einen Grundunterricht direkt an den Schulen gewährleistet haben. Auch dabei gab es wieder viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Menschen mit ukrainischen Wurzeln und Kenntnissen beider Sprachen haben ebenso mitgeholfen wie längst pensionierte Lehrkräfte, die mit Freude ans Pult zurückgekehrt waren. Ein ganzer Pool hatte sich gegründet. Kommunikation buchstäblich mit Händen und Füßen sowie Worten in allen möglichen Sprachen waren angesagt. Schon im Mai bahnte sich an, dass eine Lösung gefunden werden muss, sollte es auf unabsehbare Zeit keine Möglichkeit zur Rückkehr für die Geflüchteten geben.

Brückenklassen für Fünftklässler

Die Aufgabe, vor die das Schulamt gestellt war, brachte Herausforderungen mit sich. Rund 180 Kinder und Jugendliche waren unter den Geflüchteten im Landkreis. Verschiedene Altersstufen, verschiedene Schultypen, verschiedene Wohnorte: All das musste unter einen Hut gebracht werden. Die Planungen, die Kinder in den Regelschulbetrieb zu integrieren, waren in Kulmbach zumindest theoretisch schon angelaufen, bevor es schließlich offiziell wurde: Vom kommenden Schuljahr an wird es ein Rahmenkonzept in Bayern geben, das auf einen flexiblen und von Schularten unabhängigen Unterricht setzt. Grundschüler besuchen Regelklassen und erhalten dort verstärkt auch Sprachunterricht nach dem bereits bewährten Konzept „DeutschPLUS“. In den Jahrgangsstufen fünf bis neun soll es für alle ukrainischen Schüler Brückenklassen geben. Michael Hack hat die Planung bereits im Kreisausschuss erklärt. Von September an gilt für alle ukrainischen Kinder, die hier leben, Schulpflicht.

Brückenklassen soll es für Fünftklässler am Kulmbacher MGF und in der Schule in Neuenmarkt geben. Sechstklässler werden am CVG unterrichtet, die siebte Klasse wird in der Realschule eingerichtet, die achte in der Max-Hundt-Schule, die neunte an der Hans-Edelmann-Schule, die zehnte in der Berufsschule. „Wir haben uns in der Steuerungsgruppe entschlossen, die Kinder jahrgangshomogen zu unterrichten. So ist eine gezielte Förderung möglich“, sagt Kerstin Zapf und freut sich, dass das nötige zusätzliche Personal für dieses Projekt gefunden werden konnte. „Für uns ist es gut, dass wir jetzt mit klaren Vorgaben arbeiten können. Zum Beispiel haben wir jetzt Stundentafeln. Das ermöglicht es uns, gezielt Unterricht zu gestalten“, macht Kerstin Zapf deutlich.

Ukrainer wollen sich integrieren

Seit Kriegsbeginn kamen mehrere Hundert ukrainische Geflüchtete im Landkreis Kulmbach an. Die Fluktuation war seitdem immer groß. Neue Flüchtlinge erreichen Kulmbach, andere ziehen nach einer Weile um oder kehren auch in die Heimat zurück. Wie das Landratsamt mitteilt, befinden sich aktuell 711 Geflüchtete aus der Ukraine in der Region (Stand 26. August). Alle seien in privaten Wohnräumen untergebracht. In den Kommunen haben sich Helferkreise gebildet. Deren Mitglieder wollen die Menschen, die hier nach ihrer Flucht leben, unterstützen. Margareta Schoberth ist Teil des Helferkreises in Marktleugast. Von Anfang an gab die ehemalige Gymnasiallehrerin für die ukrainischen Menschen, die im Landkreis untergekommen sind, Sprachkurse. Das macht sie bis heute und steht in engem Austausch mit ihren „Schäfchen“. „Die Familien, die mit uns über den Sprachkurs Kontakt haben, fühlen sich alle wohl hier. Die Menschen sind wirklich dankbar, dass sie im Landkreis so gut aufgenommen wurden.“ Die Geflohenen versuchen auch, hier Fuß zu fassen, wie sie erzählt. „Die Menschen probieren, sich zu integrieren und suchen den Anschluss.“ So gebe es eine Familie, die in den Integrationskurs nach Kulmbach geht, Kinder, die am Musikunterricht teilnehmen, und junge Erwachsene, die studieren oder sich selbstständig Plätze für Praktika gesucht haben.

Chronik

24. Februar: Russische Truppen marschieren in die Ukraine ein.

28. Februar: In Kulmbach laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, Unterkünfte für Flüchtlinge bereitzustellen. Zahlreiche Angebote gehen ein.

1. März: Sehr viele Menschen im Landkreis Kulmbach waren vom Krieg in der Ukraine so berührt, dass sie spontan beim Landratsamt Wohnraum für Flüchtlinge angeboten haben. Für rund 100 Menschen stehen bereits Plätze zur Verfügung.

2. März: 500 Menschen demonstrieren auf dem Kulmbacher Marktplatz für den Frieden bei der ersten Mahnwache.

4. März: Im Landkreis sind bereits rund 25 Kriegsflüchtlinge eingetroffen. Das ist aber nur die offiziell bekannte Zahl, die sich später deutlich erhöhen wird. Insgesamt bieten Privatleute bis zu diesem Zeitpunkt 250 Betten für Flüchtlinge an.

9. März: Die Behörden melden 40 registrierte Flüchtlinge im Kulmbacher Land. Dolmetscher werden gesucht.

14. März: Kulmbach rechnet mit der Ankunft von Bussen mit vielen Flüchtlingen und bereitet deswegen Notunterkünfte in der Turnhalle in Weiher vor.

15. März: Der erste Bus mit 39 Flüchtlingen aus der Ukraine erreicht Kulmbach. Von der Turnhalle des MGF werden die Menschen nach der Registrierung in ihre neuen Wohnungen gebracht.

18. März: Zwei weitere Busse mit 100 Flüchtlingen aus Hannover und Berlin werden in Kulmbach erwartet. Doch die ankündigten Busse kommen nie an, die vielen Helfer warten vergebens.

23. März: Aus dem Bamberger Ankerzentrum erreichen 54 Flüchtlinge aus der Ukraine Kulmbach.

26. März: Rund 300 Flüchtlinge nehmen die Einladung zu einem Treffen in der Kulmbacher Stadthalle an.

1. April: 61 Flüchtlinge aus der Ukraine werden zu diesem Zeitpunkt bereits von der Tafel mit Lebensmitteln versorgt. Die ersten Engpässe treten auf. Die Tafel bittet um Spenden. Zahlreiche Firmen, Vereine und Privatleute helfen.

6. April: Die Zahl der ukrainischen Tafelnutzer hat sich bis dahin auf 200 erhöht.

30. Mai: Inzwischen besuchen die ukrainischen Kinder Willkommensgruppen an verschiedenen Schulen.

22. August: Die Organisatoren der inzwischen 23 Mahnwachen auf dem Marktplatz erinnern an den ukrainischen Nationalfeiertag am 24. August. Am selben Tag dauert der Krieg nun schon sechs Monate. Die Demos für den Frieden werden im September fortgesetzt.

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