Kulmbach Bayerisches Modellprojekt im Oberland

Helmut Engel

Die Ärztin Dr. Natascha von Schau ist heuer erst in eine von der Gemeinde Marktleugast errichtete Praxis eingezogen. Sie wird dort Medizinstudenten in den Arbeitsalltag der Hausarztpraxis einbinden. Jetzt kommt ein weiteres zukunftsgerichtetes Projekt dazu.

 
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Großer Bahnhof am Donnerstag in Marktleugast. Zum Start des Forschungsprojekts „HAPpEN“ hatte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetscheck einen Scheck über 465 000 Euro mitgebracht. Geld, mit dem der Freistaat im Raum Kulmbach nicht nur das Adipositas-Präventionsprogramm unter der Federführung von Dr. Reiner Hofmann von der Uni Bayreuth und der Marktleugaster Hausärztin Dr. Natascha von Schau unterstützen, sondern auch Motor für mehr Landärzte sein will.

App hilft bei Übergewicht

Bei Ersterem handelt es sich um ein App-gestütztes Konzept, das Hausärzte bei der Behandlung von Adipositas-Erkrankten unterstützen soll. „Die Patienten werden situationsgerecht motiviert, ihre Lebens- und Ernährungsgewohnheiten nachhaltig zu ändern. So essen und bewegen sich die Patienten unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Vorlieben und medizinischen Notwendigkeiten. Dabei werden sie von einer App begleitet, die auch den direkten Austausch mit der Hausarztpraxis herstellt“, erklärte Dr. Reiner Hofmann.

Dr. Natascha Schau beklagte, dass es in ländlichen Regionen kaum Angebote für die Versorgung von Patienten mit Adipositas gebe. Diese Lücke soll nun geschlossen werden. Mit den Hausärzten als zentrale Koordinatoren sollen gefährdete Patienten zur Änderung von Lebens- und Ernährungsgewohnheiten durch die vorrangige Berücksichtigung individueller Präferenzen und sozialer Kontexte motiviert werden.

Ziel sei es, den Kontakt zu Betroffenen herzustellen, um so lebenspraktische Empfehlungen zu bekommen und teilen zu können. „Wir schaffen Wissen“, so von Schau, die heuer erst in die neue und ins Begegnungszentrum in Marktleugast integrierte Hausarzt-Praxis eingezogen ist

Beitrag zur Versorgungsforschung

Dr. Reiner Hofmann, Leiter des Projektgeschäftsstelle des Medizincampus an der Uni Bayreuth, zeigte sich stolz. „Es gilt, ländliche Versorgungslücken zu schließen“, sagte er. Staatsminister Holetscheck nannte das neue Modell ein Leuchtturmprojekt und ein Gewinn für die Betroffenen. Es würde einen wesentlichen Beitrag für weitere Fortschritte bei der Versorgungsforschung leisten. Wesentlicher Aspekt sei die Nachhaltigkeit des Vorhabens und damit die langfristige Verbesserung der Gesundheit der Betroffenen. „HAPpEN verbindet wissenschaftliche Ansätze mit technologischen Möglichkeiten.“ Wichtiger Baustein sei die Einbindung der Hausärzte als erster Ansprechpartner.

Beispielhaft sei dabei die Rolle des Medizincampus Oberfranken für die Verknüpfung von wissenschaftlicher Forschung und praktischer Versorgung vor Ort. Die ambulante vertragsärztliche Versorgung sei in der Region grundsätzlich auf hohem Niveau. Die wohnortnahe Versorgung sei von zentraler Bedeutung. „Nicht nur für jeden erreichbare, sondern auch qualitativ hochwertige ambulante ärztliche Versorgung in allen Teilen Bayerns – das müssen wir hinkriegen.“

Förderprogramm für Landärzte

Dazu habe der Freistaat ein Förderprogramm auf den Weg gebracht, das auf den zwei Säulen Landarztprämie und Stipendienprogramm für Medizinstudierende aufgebaut sei. „Vom Hausarzt über Jugendpsychiater bis hin zum Orthopäden.“ Bisher habe man damit 938 Niederlassungen, davon allein 662 für Hausärzte, gefördert.

Medizinstudenten, die sich verpflichten, die fünfjährige Weiterbildung auf dem Land zu absolvieren und mindestens fünf weitere Jahre dort zu praktizieren, erhalten maximal vier Jahre ein Stipendium von 600 Euro. Bisher hätten dies 279 Studierende genutzt. „Damit bieten wir auch jungen Menschen ohne Einserabitur die Möglichkeit des Medizinstudiums“, so der Minister. Ein Ausbildungsprogramm habe zum Ziel, angehenden Ärzten während des gesamten Studiums eine enge Beziehung zum Fach Allgemeinmedizin und zu ländlichen Regionen zu vermitteln. „Es geht nur so.“

„Branche steuert auf ein Riesenproblem zu“

Für Professor Dr. Thomas Kühlein von der Uni Erlangen dauert es seine Zeit, bis die jungen Leute so weit sind und Praxen übernehmen können. Und trotz aller Anstrengungen, müsse man auch so ehrlich sein, dass die Branche auf ein Riesenproblem zusteuere, wenn die Ärzte aus der Babyboomer-Zeit in den Ruhestand gehen. Für Prof. Dr. Eckhard Nagel von der Uni Bayreuth sind Projekte wie das nun vorgestellte wichtig, damit die Versorgung im ländlichen Raum funktioniert. Dies würde nicht ohne Förderung und Strukturmittel gehen. Landrat Klaus-Peter Söllner erklärte, dass mit diversen Förderprogrammen schon 71 junge Ärzte am Klinikum Kulmbach unterstützt werden konnten. Sechs bis acht Allgemeinärzte würden dort ausgebildet.

Über 30 angehende junge Allgemeinärzte hätten sich zuletzt wieder ein Wochenende am Klinikum informiert. „Wir hoffen, dass wir den einen oder anderen gewinnen können“, so Söllner, der noch auf einen anderen Punkt hinwies: Die vermeintliche Überversorgung mit Hausärzten im Raum Kulmbach. So weist die Statistik im westlichen Bereich des Landkreises eine Überversorgung von 105 Prozent aus, für den östlichen gar von 112 Prozent.

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