Kein Streit zum Fest der Liebe

Von Andrea Pauly
Sprecherzieherin Andrea Kreuzer vom Lehrstuhl Psychologie an der Universität Bayreuth. Foto: privat Foto: red

Von wegen Harmonie: Ausgerechnet an Weihnachten, wenn die ganze Familie aufeinandertrifft, gibt es oftmals Streit und Unstimmigkeiten. Sprecherzieherin Andrea Kreuzer vom Lehrstuhl Psychologie der Universität Bayreuth gibt Tipps: Was tun, wenn's knallt?

 
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Frau Kreuzer, woran liegt es, dass es ausgerechnet zum Fest der Liebe gerne mal Streit gibt?

Andrea Kreuzer: Einerseits sind viele vielleicht einfach noch gestresst, vom Weihnachtsshopping, vom Herrichten und Vorbereiten. Andererseits wünscht man sich ein perfektes Familienfest. Dann kann es schnell mal zu Missverständnissen kommen, weil ein Satz anders wahrgenommen wird, als er gemeint war. Wenn zwei Leute im Auto sitzen und der Beifahrer sagt „Die Ampel ist grün“ kann das eine ganz einfache Sachauskunft sein. Man kann sie aber auch als Selbstoffenbarung wahrnehmen: Der Beifahrer hat es eilig. Oder als Appell an den Fahrer: Jetzt fahr endlich los! Auf dem Beziehungsohr kann es so ankommen, als ob der Beifahrer den Fahrer für einen schlechten Autofahrer hält. Manchmal, gerade unter Stress, hört man Vorwürfe heraus, die der andere gar nicht gemacht hat.

Welche Themen sind die größten Harmonie-Killer?

Kreuzer: Aus meiner Sicht sind es weniger bestimmte Themen, sondern eher das Wie, das den Ausschlag für einen Streit gibt. Ich würde einerseits versuchen, mir Mühe beim Zuhören zu geben. Das heißt, dass man sich Zeit nimmt für ein Gespräch, dass man zeigt, dass man dem anderen zuhört, also den Blickkontakt hält, ab und zu mal nickt oder mal „mhm“ macht. Man kann auch ruhig nachfragen, ob man richtig verstanden hat, was für den anderen das Problem ist. Einfach nochmal kurz zusammenfassen, was bei einem selbst angekommen ist. Und ich würde darauf achten, wie ich es selbst formuliere, wenn mir etwas nicht passt. Pauschale Vorwürfe sind schlecht. „Immer machst du das, jedes Jahr das gleiche“ – wenn man sowas sagt, ist man ganz schnell mittendrin im Weihnachtsstreit. Es ist besser, wenn man eine konkrete und aktuelle Situation anspricht und nicht eine ganze Liste an Sachen auspackt, die mich seit 20 Jahren ärgern.

Was kann ich tun, um Streit gar nicht erst aufkommen zu lassen?

Kreuzer: Nicht sagen, was der andere falsch macht, sondern Ich-Botschaften aussenden und aus der eigenen Perspektive sprechen. „Für mich ist das stressig, wenn ich keine Zeit zum Vorbereiten habe“ ist viel besser als „Immer kommst du auf den letzten Drücker an“. Eine gute Testfrage ist immer: Wäre ich selbst sauer, wenn jemand anderes das zu mir sagt? Und es ist gut, wenn man überlegt, ob es der richtige Zeitpunkt für ein bestimmtes Thema ist. Wenn man selbst schon auf 180 ist, geht das bestimmt schief.

Wenn ich merke, dass ein Gespräch eine gefährliche Richtung einnimmt oder der Streit schon im Gange ist – wie sollte ich reagieren?

Kreuzer: Öl ins Feuer zu gießen, ist nie hilfreich. Feedback sollte man nur geben, wenn der andere bereit ist, es auch aufzunehmen. Wenn der andere nicht reden will, macht es sowieso keinen Sinn. Weihnachten ist lang genug, da gibt es bestimmt noch eine bessere Gelegenheit. Je nach Situation kann es helfen, anzusprechen, dass es ein Problem gibt, es aber später in Ruhe klären. Und dann ist ja auch die Frage, ob die Diskussion alle Anwesenden betrifft oder ob es reicht, wenn man es später zu zweit klärt. Vielleicht hilft es auch, verschiedene Ideen zu sammeln, was man wie regeln könnte, zum Beispiel wenn es darum geht, wann wer bei wem zu Besuch sein muss. Manchmal gibt es Ideen, die für alle das Beste wären, aber auf die man selbst einfach nicht kommt.

Was hilft, einen Streit zu beenden?

Kreuzer: Es gibt einen guten Satz von Hans-Georg Gadamer: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.“ Bei einem Streit kommt es immer auf beide Seiten an, aber es ist einen Versuch wert, den Anfang zu machen. Es gibt nie die Garantie, dass man im nächsten Jahr wieder zusammensitzen und sich streiten kann oder die Chance hat, Dinge aus der Welt zu räumen. Gerade auf Weihnachten bezogen könnte mal nicht „alle Jahre wieder“ gelten, sondern „dieses Jahr was Neues“.

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