Spanien ist ein Land bezaubernder Kathedralen, der von Burgos, der von Santiago de Compostela, der von Sevilla, der von Cádiz, der von Granada, der von Palma oder denen von Roda de Isábena (einem 47-Einwohner-Dorf in den Vorpyrenäen) oder El Burgo de Osma (einem kastilischen 5000-Einwohner-Städtchen). Aber keine hat diese massenmagnetische Wirkung der Sagrada Familia, einer einfachen Votivkirche zur Verehrung der Heiligen Familie, erbaut ganz aus Spenden-, Erbschafts- und schließlich Eintrittsgeldern, die endlich, ihres Erfolges wegen, im Jahr 2010 vom Papst Benedikt XVI. zur Basilika erklärt wurde, was ein Ehrentitel ist, nicht mehr. „Eine wunderbare Synthese aus Technik, Kunst und Glauben“, nannte Benedikt den Bau. Vor allem aber ist er der wahrgewordene Traum seines Architekten, Antoni Gaudís (1852–1926).
Sagrada Familia im Geist von Antoni Gaudí
Gelegentlich reibt sich der eine oder andere Architekt an der Sagrada Familia. George Orwell, der Schriftsteller war kein Architekt, nahm sich heraus, das ganze Werk in Bausch und Bogen zu verwerfen, Gaudís Architekturkollegen ziehen es vor, den Weiterbau nach Gaudís Tod zu kritisieren. Die verantwortlichen Weiterbauer sehen das anders. „Wir empfinden uns als Mitarbeiter Gaudís“, sagt der derzeitige Chefarchitekt Jordi Faulí. „Alle haben wir den Anspruch gehabt, die Ideen Gaudís weiterzuführen.“
Der tiefgläubige Gaudí starb 1926 in Barcelona unter den Rädern einer Straßenbahn. Zehn Jahre später zündeten Anarchisten zwar nicht seine Kirche, aber seine Werkstatt an, schändeten das Grab des Kirchengründers Josep Maria Bocabella und ermordeten später einige der dort Beschäftigten, darunter den ersten Kaplan der Sagrada Familia, Gil Parés, der zehn Jahre zuvor den Leichnam Gaudís nach dessen Straßenbahnunfall identifiziert hatte. Im Feuer der Werkstatt am 20. oder 21. Juli 1936, zum Beginn des Spanischen Bürgerkriegs, gingen wertvolle Pläne für den Weiterbau verloren, aber andere blieben erhalten. An denen haben sich Gaudís Nachfolger bis heute orientiert. Wahr ist, dass sie Gaudís Ideen zu konkretisieren und damit zu interpretieren hatten. Seinem Geist sind sie treu geblieben.