Justin (zwölf) hat Diabetes - Immer mehr Kinder erkranken daran Diabetes: Eine Pumpe rettet Justins Leben

von Katharina Wojczenko

Es fing damit an, dass Justin Remitschka (heute zwölf) auf eimal nicht mehr essen wollte. Er hatte unheimlichen Durst. Bald darauf stellte sich heraus: Justin hat Diabetes, wie immer mehr Kinder in Deutschland. Mit der Krankheit kann er heute gut leben. Seine Mitmenschen weniger.

 
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Seit vier Jahren produziert Justins Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr. Seitdem muss er sich Insulin zufügen. Sonst kann das lebensbedrohlich werden. Damit das nicht passiert, trägt Justin ein rettendes Päckchen mit sich. Unten am Rücken, oberhalb vom Gesäß, steckt ein Katheter. Diese Sonde ist verbunden mit seiner Insulinpumpe, die er in der Hosentasche stecken hat. Alle drei Minuten gibt die Pumpe Insulin ab. Zum Essen muss er die Dosis manuell einstellen.

In einem Täschchen stecken sein Blutzuckermessgerät, Teststreifen, Notfall-Traubenzucker, Nadeln, Pflaster. Zwischen sechs und zehn Mal am Tag muss er sich in den Finger pieksen und den Wert kontrollieren, erzählt er. Er kann das alles allein. Nur beim Wechseln der Nadel an seinem Rücken helfen ihm seine Eltern.

Justin muss ständig Kopfrechnen

"Die Diagnose war ein Schock", sagt Mutter Yvonne Remitschka. Der ist längst überwunden. Auch weil Diabetesberaterin Sandy Petermann die Familie seit Jahren begleitet und ihr gezeigt hat, wie sie mit der Krankheit umgehen soll. Als sie entdeckt wurde, war Justin erst einmal eine Woche im Klinikum.

Stundenlang haben sie zusammen an Puppen geübt, bis nicht nur bei Justin, sondern auch bei den Eltern jeder Handgriff saß, gerechnet, wie viele Kohlenhydrateinheiten Lebensmittel enthalten, wie man ein Blutzuckertagebuch führt und wie viel Insulin Justin sich dann spritzen muss. Heimlich naschen ist tabu. Bis er die Insulinpumpe bekam, musste sich Justin mindestens vier Mal am Tag eine Spritze geben.

Pädagogen haben Berührungsängste

Im Alltag kommt er mit dem Diabetes gut zurecht, geht Fahrradfahren und Schwimmen wie andere Jungen auch. "Manchmal hat er Wutanfälle und schimpft auf die Krankheit", sagt seine Mutter. "Aber das ist selten." Was ihn mehr einschränke, seien die anderen. Gern würde Justin im Verein Fußball spielen. "Aber wir haben keinen Trainer gefunden, der sich das zutraut." Auch an der Schule gibt es Probleme. Manche Mitschüler kämen nicht damit klar, dass sich Justin regelmäßig pieksen muss. Auf Schulausflüge konnte Justin nicht mitfahren, weil den Lehrern die Verantwortung für Justin zu groß war, sagt seine Mutter.

Kein Einzelfall, sagt Diabetesberaterin Sandy Petermann. "Den Umgang mit dem Blutzuckermessgerät und Spritzen beherrschen nach dem Intensivtraining sogar Kindergartenkinder", sagt sie. Aber immer wieder hätten Eltern Probleme, für ihre Kinder einen Kindergarten oder eine Schule zu finden, weil die Mitarbeiter sich das nicht zutrauten. Petermann hat deshalb schon "so ziemlich jeden Kindergarten in Stadt und Region" besucht, um die Mitarbeitern zu erklären, was sie im Umgang mit Diabetes-Kindern beachten müssen.

Wird Justin albern, wird's ernst

Yvonne Remitschka weiß, wann sie aufpassen muss: Wenn Justin aggressiv oder albern wird. Ein Zeichen, dass sein Blutzucker nicht stimmt. "Dann wird das Gehirn nicht richtig durchblutet, hat uns die Ärztin erklärt." Und noch etwas weiß sie: Bei Stress schwanken Justins Werte. Dann misst sie sogar um 2 Uhr nachts den Blutzucker ihres schlafenden Sohns.

Mit einer Insulinpumpe mit integriertem Blutzuckermessgerät, wie sie sich auch Justin wünscht, hätten es Patienten leichter, sagt Steffen Mühldorfer, Chefarzt der Gastroenterologie. Sie haben weniger Einstichstellen, und das Insulin kann noch besser dosiert werden. "Das ist medizinisch sinnvoll, weil die Patienten seltener in den Unterzucker kommen", sagt Mühldorfer. Aber die Krankenkassen bezahlen das normalerweise nicht." Die Geräte kosten etwa 1000 Euro mehr. "Das ist die Zukunft", ist Mühldorfer überzeugt.

Die wird für Justin und seine Eltern schon in ein paar Jahren spannend. "Dann kommt die Pubertät und die Kinder rebellieren", sagt Chefarzt Mühldorfer. Das kann gefährliche Folgen haben, wenn Jugendliche zum Beispiel an ihrem Blutzucker drehen, um abzunehmen. Diabetesberaterin Petermann schult dann erneut. Die Eltern, damit sie lernen, loszulassen. Und die Jugendlichen, damit sie für alterstypische Situationen gewappnet sind. Dazu gehört auch eine Cocktailschulung, damit sie trotz Krankheit mit ihren Altersgenossen feiern können.

Hintergrund: Immer mehr Kinder mit Diabetes

Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland werden wegen Diabetes behandelt. 1,3 bis 2,2 Millionen Betroffene wissen nach Schätzungen laut Deutscher Diabetes-Gesellschaft noch nichts von ihrer Erkrankung. Bei Kindern ist die Krankheit selten, nimmt aber ebenfalls zu - um etwa 200 Fälle pro Jahr. Im Klinikum Bayreuth kamen im vergangenen Jahr 20 Kinder mit neuer Diagnose oder wegen Therapieänderung in Behandlung - drei mehr als im Vorjahr.

90 Prozent aller Diabeteskranken haben Typ zwei, früher bekannt als Altersdiabetes, sagt Dr. Steffen Mühldorfer. Zusammen mit der Erbanlage sind Bewegungsmangel und Übergewicht die Ursache. Bei ihnen wirkt das Hormon Insulin nicht mehr richtig. 

Bei Kindern überwiegt der Typ eins. Die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse werden vom eigenen Immunsystem zerstört, der Körper kann das Hormon ein Leben lang nicht produzieren. Insulin ist wichtig, damit Zucker aus dem Blut in Körperzellen gelangt. "Warum die Erkrankungen bei Kindern zunehmen und was sie auslöst, darüber wird immer noch spekuliert", sagt Mühldorfer. Wenn sie nicht behandelt wird, hat das Jahre später ernste Folgen: Schlaganfall, Herzinfarkt, Nierenleiden, Amputationen oder Erblindungen.

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