Jöris: "Ich sehe mich als Ermöglicher"

Dramaturg, Regisseur - und nun auch Chef von Focus Europa: Stephan Jöris. Foto: privat Foto: red

Focus Europa steht unter neuer Führung: Der Dramaturg und Opernregisseur Stephan Jöris, langjähriger Mitarbeiter von Wolfgang Wagner bei den Bayreuther Festspielen, hat Lutz-Benno Kracke an der Spitze des Kunstvereins abgelöst. Wohin steuert der Verein, der Kunstaustausch in Europa auf seine Fahnen geschrieben hat? Wir sprachen mit Jöris über Neue Medien, Künstlernetzwerke - und darüber, wie Künstler in der Region auf den europäischen Umbruch reagieren könnten.

 
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Kunst ist schön, macht aber Arbeit, vor allem, wenn’s um Kunst im Verein geht. Warum tut man sich den Vorsitz eines Vereins an?

Stephan Jöris: Als ich gefragt worden bin, ob ich mir vorstellen könnte, Vorsitzender von Focus Europa zu werden, habe ich erstmal geschaut: Was machen die eigentlich? Und vor allem: Was steht in der Satzung? Der Verein besteht seit 2005, und wenn man den Vereinszweck liest, steht da nicht als erstes Ausstellungen machen und Bilder an die Wand hängen, sondern die Förderung des kulturellen Austauschs in Europa. Ich bin geprägt durch meine langjährige Arbeit für die Festspiele. Das was Richard Wagner als sein Ziel ausgab, beschrieben im Begriff des so genannten Gesamtkunstwerks, dass alle Formen und Elemente der Künste zusammenwirken, um eine bestimmte Geschichte, ein bestimmtes Problem darzustellen – dass dieser Verein sich das zum Ziel gemacht hat, auf allen Feldern der Kunst zu spielen, fand ich interessant. Satzung und Geschäftsordnung kann man übrigens im Internet nachlesen.

Hehre Ziele, aber sonst? Focus schien in der Vergangenheit auch mal ganz schön zu dümpeln.

Jöris: Aufgrund der vielen, vielen Angebote hier im Raum Bayreuth verliert man den Überblick Ich selber habe Focus in den zurückliegenden Jahren nicht registiert. Focus Europa ist nicht darauf ausgerichtet, dass unbedingt hier in der Region alles stattfindet. Das Programm, auch der zurückliegenden Jahre  kann man ja im Internet anschauen. Und 2017 gingen die meisten Symposien und Ausstellungen im Ausland über die Bühne, und nicht in Neudrossenfeld. Ziel ist, dass sich die Künstler austauschen. Beim diesjährigen Artfestival  zu den Europatagen im Mai hat es Benno Kracke hinbekommen, dass 30 Künstler aus neun Nationen in Neudrossenfeld eine Woche lang gearbeitet, sich ausgetauscht und die Ergebnisse dieses Austauschs dann auch präsentiert haben.

An Außenwirkung fehlte es dennoch. Lag es an der immer gleichen Schar von Protagonisten?

Jöris: Das kann man so  nicht sagen. Focus Europa findet ja auch in Italien, Serbien. Litauen, Polen, Malaga statt. Es geht nicht nur um Ausstellungen, sondern auch um Zusammenarbeit und Austausch der Künstler.

So weit man sehen konnte vor allem auf dem Gebiet der Bildenden Kunst.

Jöris: Das ist aber nicht zwingend.

Was haben Sie vor?

Jöris: Die Satzung beim Wort zu nehmen.

Hört sich schon mal gut an….

Jöris: Klingt trocken, aber so ist es geplant.  

Also: Was können wir uns darunter vorstellen?

Jöris: Das, was man darstellen und reflektieren will, bestimmt das Medium, nicht das Medium bestimmt den Inhalt. Mit einem Netzwerk wie Focus kann man reagieren. Dass eben die Künstler auf ihren entsprechenden Feldern zu einem bestimmten Thema etwas reflektieren. Wenn wir uns Umbrüche wie die des Ersten Weltkriegs und der Umwälzungen in seinem Gefolge vorstellen, ist eine Menge denkbar. Ich bin kürzlich von Estland nach Wien gereist, hab in Polen, Tschechien, Slowakei und Österreich Halt gemacht.

Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

Jöris: 2018 wird in all diesen Ländern, durch die ich gekommen bin, das Jahr 1918 gefeiert; von Estland bis runter nach Ungarn wurden die ersten Republiken gegründet. 1918 zerbrachen mehrere große Imperien, und dieses Machtvakuum nutzten Linke wie Rechte, um die Vorherrschaft zu kämpfen. Heute sind gewisse Strukturen erneut bedroht. Wenn wir auf Europa blicken, sehen wir den Nationalismus stramm auf dem Vormarsch. Auf zwei Ebenen können wir uns damit beschäftigen: Mit dem Rückblick auf diese Zeit des Umsturzes, der Umwälzung vor 100 Jahren. Und mit der Frage, wie Kunst mit den heutigen Umbrüchen umgehen kann. Es geht also um die Kunst von vor hundert Jahren ebenso wie um die zeitgenössische Kunst von heute. Wie geht die Kunst von heute mit den heutigen Umwälzungen um, wie reflektiert sie darüber? Vor hundert Jahren war es so: Die einen reflektierten diese Zeit des Umbruchs bis in die letzte Faser ihrer Existenz. Die anderen zogen sich in die innere Emigration zurück und malten sich eine eigene Welt schön. Kirchner hatte 1914 vom großen Krieg als Chance zur Erneuerung und Reinigung der erstarrten Gesellschaft gesprochen. Wirklich überstanden hat er das aber wie so viele andere auch nicht. Er erlitt einen psychischen Zusammenbruch, zog sich nach Davos zurück und widmete sich fortan erst einmal Darstellungen des Lebens der Bergbauern und der Landschaft.

Wir sprachen aber von verschiedenen Künsten, nicht alleine von Malerei…

Jöris: Richtig, das betrifft natürlich auch andere Darstellungsformen: Musik, Literatur, Drama – alles mögliche. Ich komme aus einem Metier, da wird zwar wahnsinnig lange vorbereitet, und dann wird‘s in einer Stunde verkonsumiert. Bei der bildenden Kunst ist es eher umgekehrt – und dieses Zusammenspiel von bleibenden, aber schweigenden Kunstwerken und Kunst des Augenblicks fasziniert mich. Aber: Ich will hier keine Oper machen. Das muss man den großen Dampfern vorbehalten, die das leisten und bewerkstelligen  können.

Was dann?

Jöris: Ich lege es auf das Zusammenwirken Aufeinanderprallen von verschiedenen Künsten an, auf Bildende Kunst ebenso wie auf Neue Medien, Musik und Theater.

Neue Medien? Das klingt interessant. Wo denn zum Beispiel?

Jöris: Das wunderbare Ensemble von Neudrossenfeld hat viele, kleine Spielorte, bestens für Experimente geeignet. Der Eiskeller zum Beispiel wäre ideal für Lichtinstallationen und Neue Medien und auch Musik. Das Zusammenwirken verschiedenster Künste, mit Künstlern aus vielen Ländern: Was an Netzwerk und Erfahrung nötig ist, gibt wiederum Focus Europa her. Wie Lutz Benno Kracke in den letzten Jahren vor allem die bildenden Künstler von Focus Europa vornehmlich aus Osteuropa und Deutschland durch Symposien und  Ausstellungen zu einem lebendigen Austausch gebracht hat, ist vorbildlich für mich.

Ein bisschen konkreter dürften Sie werden…

Jöris: Mein Ziel ist die Erweiterung und das Aufeinandertreffen all der anderen Kunstparten die Focus Europa im Köcher vorgibt. Eins nach dem anderen, und lassen wir uns überraschen, einschließlich mich, denn ich sehe mich eher als Ermöglicher, der die ausführenden Künstler zusammenbringt, ganz im Sinne meines Berufs des Musiktheater-Regisseurs, der selbst höchst selten auf der Bühne zu sehen ist.

Das Gespräch führte Michael Weiser

INFO: Am Sonntag, 26. November, geht in der Galerie im Eishaus in Neudrossenfeld das Finale der "Lingo Art for Refugees" über die Bühne. 21 Asylsuchende und 14 Sprachpaten haben sich Kunst erarbeitet - und die in Workshops entstandenen Arbeiten sind ab 13.30 Uhr zu besichtigen - und zu ersteigern.

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