Jeder Liter Regen, jeder Zentimeter Schnee

Von Andrea Pauly

Wenn Familie Prey beim Frühstück aus dem Fenster schaut, blickt sie genauer hin als andere: Sind das Knospen da am Baum? Hat es in der Nacht geregnet? Liegt frischer Schnee? Marlies Prey führt seit 16 Jahren ein Niederschlags-Tagebuch für den Deutschen Wetterdienst. Ihre Tochter Iris beobachtet den Verlauf der Jahreszeiten anhand der Pflanzenwelt.

 
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Angefangen hat das Familienhobby, als ein älterer Herr, der jahrelang die Niederschläge in Plech aufgezeichnet hatte, eine Nachfolgerin suchte. Er sprach Marlies Prey an, ob sie die Wetterbeobachtung für den Deutschen Wetterdienst (DWD) übernehmen würde. Nach kurzem Überlegen sagte sie zu. Schließlich ist sie durch die Vermietung von Ferienwohnungen und den landwirtschaftlichen Betrieb eigentlich immer zu Hause. Und das ist entscheidend - denn die Aufzeichnungen müssen lückenlos sein.

Mess-Station nimmt Arbeit ab

Zu Beginn war die Dokumentation noch komplizierter als heute: Täglich musste Marlies Prey nicht nur die Niederschläge, sondern auch die Sonnenstunden und den Bodenzustand festhalten. „Das war ganz schön umfangreich.“ Im Lauf der Jahre wurde der Aufwand immer geringer: Nach einigen Jahren baute der DWD eine Mess-Station in ihrem Garten auf, die die meisten Faktoren automatisch aufzeichnet. Die Aufgabe von Marlies Plech ist es, diese Station zu warten. Sie schreibt aber trotzdem noch in ihre DWD-Tagebücher, wie viel Regen gefallen ist.

Auch kein Schnee ist eine Meldung wert

Zwischen dem 1. Oktober und dem 30. April kommt die Frage nach dem Schnee hinzu. Liegt keiner, meldet sie genau das dem DWD: „Kein Schnee“. Falls es doch geschneit hat, muss sie jeden Morgen um 7.30 Uhr nachmessen, wie tief die Schneedecke ist. Außerdem nimmt sie eine Probe und wiegt sie – das gibt Aufschluss darüber, ob es sich um lockeren Pulverschnee oder nassen Schnee handelt. „In Arbeit artet es nur aus, wenn lange Schnee liegt.“ Dann muss sie jeden Tag eine Probe ausstechen und wiegen, und zwar immer zur gleichen Zeit, damit die Daten vergleichbar sind. Für die Mühe zahlt ihr der DWD eine Aufwandsentschädigung – etwa 800 Euro im Jahr sind es laut Marlies Prey.

Ein trockenes Jahr, aber kein extremes

Ehrenamtliche Wetterbeobachter messen unterschiedliche Faktoren: Bei Marlies Prey geht es um den Niederschlag. Das Jahr 2015 war ein trockenes, aber kein extremes, sagt sie: Etwas über 800 Millimeter Wasser pro Quadratmeter hat die 55-Jährige gemessen - das entspricht 800 Litern. „Ich dachte nicht, dass wir die 800 erreichen. Das haben wir erst im November und Dezember aufgeholt.“ Das Vorjahr war mit 740 Millimetern sogar noch trockener. Das Jahr 2003, das mit einem „Jahrtausendsommer“ in die Geschichte einging, hatte mit 702 Millimetern nicht viel weniger Niederschlag.

Getreide und Obst mögen keine Nässe

Regenreiche Jahre waren zum Beispiel 2001 mit 1200 Millimetern und 2002 mit 1310 Millimetern pro Quadratmeter. „Trockene Jahre sind besser als nasse“, sagt die Landwirtin. Getreide und Obst könnten mit Trockenheit besser umgehen als mit zu viel Nässe.

Der genaue Blick in die Pflanzenwelt

Auch ihre Tochter Iris (28) dokumentiert, was draußen passiert: Sie beobachtet die phänologische Entwicklung in der Natur, also den Beginn und den Verlauf der einzelnen Jahreszeiten anhand der  Pflanzen- und Tierwelt rund um Plech. Im Jahr 2011 hat sie damit begonnen – auf eine Suchanzeige im Landwirtschaftlichen Wochenblatt hin. Dreimal in der Woche wirft sie einen prüfenden Blick auf Wild- und Kulturpflanzen. Wann beginnt die Blüte? Wann sind die ersten Früchte reif? Zwar hat sie einen dicken Ordner mit Fotos und Anweisungen, worauf sie achten muss. Aber: „Man braucht schon eine gute Kenntnis der heimischen Flora“, sagt sie. Forsythien, Kastanie, Eberesche – dafür reicht ein Blick vor die Haustür. Alle anderen Pflanzen, die Iris Prey übers Jahr beobachtet, finden sich in unmittelbarer Nähe des Hofes in Plech. „Außerdem kennt sie jeden Strauch im Umkreis von Kilometern“, sagt Marlies Prey über ihre Tochter.

Vater, Opa und Oma helfen mit

Iris hat die ganze Familie eingespannt: Vater Ludwig als Landwirt schaut, wie sich das Getreide entwickelt, der Opa ist Imker und hat deshalb die verschiedenen Blütenstadien im Blick. Auch die Tierwelt beobachtet die Familie. Die ersten Schwalben fallen auf dem Bauernhof auf: „Die sind bei uns im Stall“, sagt Marlies Prey. Und die Oma achtet darauf, wann die ersten Zitronenfalter ums Haus flattern.

Jahreszeiten haben sich verschoben

„Der Vergleich seit 1995 hat gezeigt, dass sich die Jahreszeiten um mehrere Tage verschoben haben“, sagt Iris Prey. Die Beobachtungen der Pflanzenwelt geben aber nicht nur Aufschluss über den Klimawandel. Die Daten helfen dabei, Allergiker vor Pollenflug zu warnen, Landwirten Ratschläge zum optimalen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und zum Erntezeitpunkt zu geben. Aber auch für Jäger sind die Daten wichtig. „Die Brunftzeit orientiert sich an der Vegetation“, begründet Iris Prey. Auch der Tourismus profitiere, weil sich Kirsch- oder Heideblüte genauer vorhersagen ließen.

Das Wetter-Jahr 2015

Deutschlandweit war 2015 das zweitwärmste Jahr seit Beginn flächendeckender Messungen, mit exakt dem gleichen Durchschnittswert wie 2000 und 2007. Zehn von zwölf Monaten waren zu warm,  November und Dezember waren sogar die wärmsten seit 1881. Im unterfränkischen Kitzingen erreichten die Temperaturen am 5. Juli sowie am 7. August mit jeweils 40,3 Grad gleich an zwei Tagen einen neuen deutschen Rekord. Die kälteste Nacht registrierte der DWD am 4. Februar in Merklingen auf der Schwäbischen Alb mit minus 20,4 Grad. Die Niederschlagsmenge blieb im Jahr 2015 mit 688 Litern pro Quadratmeter um 13 Prozent unter dem Soll von 789 Litern. Die Mess-Station in Plech lag also leicht über dem Durchschnitt.

Bayern als kühlstes Bundesland

Bayern war mit einer Durchschnittstemperatur von 9,5 Grad das kühlste Bundesland. Die Sonne schien knapp 1785 Stunden lang. Am 10. Januar meldete Piding nordöstlich von Bad Reichenhall mit 20,5 Grad plus einen neuen deutschen Temperaturrekord für den Januar. Ein Tornado hinterließ am Abend des 13. Mai nördlich von Augsburg eine Spur der Verwüstung.

Wetterdienst sucht ehrenamtliche Helfer

Der Wetterdienst ist auf der Suche nach neuen Wetterbeobachtern für Bischofsgrün und Kulmbach-Burghaig. Wer Interesse hat, meldet sich beim DWD unter Telefon 069/8062-9243 oder per E-Mail an Rmg.Muenchen@dwd.de