Jarass: Stromtrasse für den Kohlestrom

Von Moritz Kircher
"Beim letzten Mal war Amprion dumm genug, die Bürger aufzuschrecken und ihnen mitzuteilen, wo die Leitung liegen wird. Das werden sie diesmal nicht wieder machen", sagt Professor Lorenz Jarass von der Hochschule Rhein-Main. Foto: Bert Bostelmann / bildfolio Foto: red

Die Gleichstrompassage Süd-Ost dient dem Kohlestromexport und ist für die Versorgungssicherheit Bayerns nicht notwendig, sagt Professor Lorenz Jarass. Und so steht es auch in einem Gutachten, das der Wirtschaftswissenschaftler von der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden kürzlich veröffentlichte. Im Kurier-Interview spricht Jarass auch über eingeschränke Rechte der Bürger bei der Trassenplanung.

 
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Was sagt Ihr Gutachten aus, brauchen wir die großen Gleichstromleitungen durch Deutschland oder nicht?

Die Gleichstromleitungen sind ausschließlich für den Kohlestromtransport da. Für erneuerbare Energie brauchen wir sie nicht. Auch nicht für die Versorgungssicherheit Bayerns.

Was halten Sie vor diesem Hintergrund von dem politischen Kompromiss, die Gleichstromleitungen vorwiegend unterirdisch zu verlegen?

Das ist eben ein politischer Kompromiss, bei dem beide Seiten etwas zurückgehen. Man wird sehen, ob diese Leitungen überhaupt gebaut werden. Denn Verkabelung ist deutlich teurer als eine Freileitung.

Wenn Sie sagen, wir brauchen keine Gleichstromleitungen für die Versorgungssicherheit Bayerns, brauchen wir doch auch keine Erdkabel?

Es kommt auf die Zielsetzung an. Die geltende Rechtslage sieht vor, dass jedes deutsche Kohlekraftwerk zu jedem Zeitpunkt Strom einspeisen darf. Diese Vorgabe ist unsinnig. Da müssen die Gesetze geändert werden. Wir sehen ja, wie schwer es ist, Braunkohlekraftwerke abzustellen. Da sind all jene Politiker dagegen, deren Länder Arbeitsplätze in der Braunkohle haben. Aber noch einmal: Die jetzt geplante Gleichstrompassage Süd-Ost ist nicht für die Integration erneuerbarer Energien erforderlich, sondern nur für den Export von Strom aus Ostdeutschland. Und das ist im Wesentlichen Braunkohlestrom.

Die Bundesnetzagentur und die Übertragungsnetzbetreiber leugnen ja nicht, dass es momentan auch noch Kohlestrom im Netz gibt. Sie sagen aber wohl, dass der Kohlestrom auf lange Sicht, in 20 oder 30 Jahren aus dem Netz verschwinden wird.

Es gibt jetzt einen Netzentwicklungsplan mit dem Zieljahr 2025. Und da steht drin, dass die Leitungen bis zum Zieljahr fertig werden sollen. Das Argument, in 30 Jahren brauchen wir die Leitungen, zieht nicht, wenn die Leitungen bis 2025 schon stehen sollen. Und dann sind sie ausschließlich für den Kohlestromexport da. Die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber sagen, wir werden die Leitungen langfristig für die erneuerbaren Energien brauchen. Nur ist dieser Fall noch nie untersucht worden. Wenn das ein Argument ist, müsste man doch für das Jahr 2035 ein Szenario ohne Kohlestromeinspeisung bei Starkwindsituationen rechnen. Ich schlage das seit Jahren vor. Nur die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur weigern sich nachhaltig mit dem Argument, die Kohlestromkraftwerke haben auch dann noch einen Rechtsanspruch auf die Einspeisung. Man könne doch keinen Netzentwicklungsplan machen, der geltendem Recht widerspreche. Ich sage, man könnte trotzdem ein Szenario rechnen nach dem Motto: Nehmen wir mal an, es gibt 2035 keinen Rechtsanspruch mehr auf Kohlestromeinspeisung. Wie viele Leitungen bräuchten wir dann? Dieser Fall muss dringend untersucht werden.

Welches Ergebnis würden Sie erwarten?

Ich müsste wahnsinnig sein, wenn ich behaupten würde, ich wüsste, was rauskommt. Ich weiß es nicht, aber ich habe eine starke Vermutung. Wenn die Leitungen überwiegend auch ohne Kohlestrom erforderlich wären, dann würde das ja untersucht werden. Und dann hieße es: Sehen Sie, Jarass, ihr Argument ist unsinnig. Der entscheidende Punkt ist, für 2025 können wir beweisen, dass die geplanten Leitungen ausschließlich kohlestrombedingt sind.

Die Übertragungsnetzbetreiber machen Vorschläge zum Netzausbau, die Bundesnetzagentur prüft das, genehmigt die Leitungen oder lehnt sie ab. Ist das aus Ihrer Sicht das richtige System, um das Netz so ausgebaut zu bekommen, wie wir es für die Energiewende brauchen?

Die Netzentwicklungsplanung hat eine Vielzahl von Defiziten. Dieses Verfahren soll dazu dienen, dass dem Bürger die Klagerechte genommen werden. Denn zuerst wird eine grobe Vorgabe gemacht. Im Falle der Gleichstrompassage heißt es, vom Raum Magdeburg in den Raum Gundremmingen muss man eine Leitung bauen. Da gibt es erst einmal keine individuell Betroffenen. Und die Notwendigkeit der Leitung wird dann in ein Gesetz gegossen. Und dann kann man gegen die Notwendigkeit nicht mehr vorgehen. Der einzelne betroffene Bürger kann dann nur noch erreichen, dass die Leitung nicht links sondern rechts an seinem Haus vorbei geht. Das ist ein infames System dem Bürger gegenüber, dem man seine Betroffenheit erst mitteilt, wenn er ohnehin nichts mehr dagegen machen kann.

Der Bürgerprotest in Bayern hat doch sehr wohl gezeigt, dass man noch etwas machen kann. Nachdem Amprion Anfang 2014 seine Trassenpläne vorgestellt hatte, änderte der massive Protest noch einiges…

Solche Veranstaltungen der Übertragungsnetzbetreiber wird es künftig erst wieder geben, wenn die Notwendigkeit der Leitung im Gesetz festgelegt ist. Wenn die Fachplanung kommt. Beim letzten Mal war Amprion dumm genug, die Bürger aufzuschrecken und ihnen mitzuteilen, wo die Leitung liegen wird. Das werden sie diesmal nicht wieder machen.

Das Jarass-Gutachten zum herunterladen im Internet finden Sie hier.

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