Inklusion Gehörloser Patient kämpft um Reha

Peter Rauscher
Dieter Hellmann berät sich mit Gebärdensprache am Bildschirm mit Heidi Tschauner. Eine geeignete Reha für den Krebspatienten konnten beide in eineinhalb Jahren noch nicht finden. Foto: Peter Rauscher

Die schwächsten in der Gesellschaft trifft die Pandemie oft besonders hart. Das Beispiel eines gehörlosen Krebspatienten, der sich seit fast eineinhalb Jahren vergeblich um einen Reha-Platz bemüht.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Kulmbach/Bayreuth -

Von Peter Rauscher

Seit fast eineinhalb Jahren kämpft Dieter Hellmann aus Kulmbach nach einer schweren Krebserkrankung um eine geeignete Reha, damit er die Folgen seiner Krankheit bewältigen kann. Doch in den Untiefen zwischen Bürokratie und Pandemie bleiben die Mühen vergeblich. Sein Handicap: Er ist gehörlos.

Wirbelsäule geschädigt

Es ist Sommer 2019, als sich das Leben von Dieter Hellmann von Grund ändert. Bei einer MRT-Untersuchung im Klinikum Kulmbach stellen die Ärzte bei ihm poröse Brustwirbel fest. Die Diagnose: Ein Lymphom, das seine Wirbelsäule schwer geschädigt hat. Wieder Krebs, nachdem er bereits acht Jahre zuvor einen Befall im Oberschenkel hatte. Seine Hausärztin gibt ihm noch sieben Monate zu leben. Doch die Ärzte nehmen den Kampf auf. Stammzellentherapie, Chemotherapie, Strahlentherapie – das volle Programm.

Psychologische Hilfe gesucht

Der Kampf gegen den Krebs kostet Hellmann alle Kraft. Er bemüht sich um psychologische Unterstützung, will das Gespräch und die Beratung, um mit der Belastung fertig zu werden. Weil gehörlose Menschen nicht einfach so telefonieren können, wendet er sich an die Informations- und Servicestelle für Menschen mit Hörbehinderung in Oberfranken, die beim Paritätischen in Bayreuth angesiedelt ist. Dort arbeitet Heidi Tschauner, mit deren Hilfe er am 20. Dezember 2019 bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern einen Antrag auf eine Reha-Maßnahme stellt.

Monatelanges Gezerre

Was folgt, ist ein monatelanges Gezerre, das Tschauner dem Kurier wie folgt schildert: Zwei Wochen nach dem Antrag wird die Reha bewilligt – allerdings in einer Klinik, deren Personal der Gebärdensprache nicht mächtig ist. Sinnlos für einen gehörlosen Menschen, der die Hilfe von Psychologen sucht. Heidi Tschauner recherchiert für ihren Klienten, findet eine Klinik in Bad Berleburg als einzige in Deutschland, in der das Personal Gebärdensprache kann und die gleichzeitig r onkologische Nachsorge anbietet. Doch die DRV teilt telefonisch mit, diese Klinik werde Hellmann nicht aufnehmen. Tschauner ruft selber an und hört etwas ganz anderes. Dann kommt das schriftliche O.K der Rentenversicherung, das aber eine Woche später bereits widerrufen wird. Die Klinik nehme Hellmann wegen seiner Krebserkrankung nicht, heißt es jetzt plötzlich.

Zusagen und Absagen

Also wird eine andere Lösung gesucht. Im Mai erhält Hellmann die Zusage für einen Aufenthalt in der Herzoghöhe in Bayreuth. Aber: In drei Wochen sind nur ganze vier Gespräche im Beisein von Gebärdendolmetschern bewilligt – die restliche Zeit könnte er sich überhaupt nicht verständigen. Darin sehen Tschauner und Hellmann keine Hilfe, legen Widerspruch ein und hören erst mal nichts mehr. Im August fragen sie nach – doch von einem Widerspruch ist bei der DRV nichts bekannt. Im September nimmt die Herzoghöhe wegen Corona und der Maskenpflicht keine Patienten mehr auf, und schon gar nicht mehr sind externe Dolmetscher in der Klinik erlaubt.

Hindernis Maskenpflicht

In der verfahrenen Lage wendet sich Tschauner direkt an die Chefärztin der Bad Berleburger Klinik und erhält prompt eine Zusage, die die Rentenversicherung am 28. Oktober bestätigt. Doch drei Wochen später wieder die kalte Dusche per Telefon: Die Klinik lehnt nun doch ab. Inzwischen läuft das Krankengeld aus, die Firma, für die Hellmann seit 23 Jahren arbeitet, droht mit Kündigung. Tschauner hat alle Hände voll für ihren Klienten zu tun. Sie telefoniert viel für ihren gehörlosen Klienten, verhindert das Schlimmste. Am 10. März schließlich, 16 Monate nach dem ersten Reha-Antrag, zieht die Rentenversicherung die Zusage vom Oktober mit der Begründung zurück, wegen der Maskenpflicht stehe keine geeignete Reha-Einrichtung zur Verfügung.

Recht auf Teilhabe suspendiert

„Ich war so sauer“, sagt Tschauner. „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, steht in Artikel drei des Grundgesetzes, die Behindertenrechtskonvention der UN stellt klar, dass Menschen mit Behinderung das uneingeschränkte und selbstverständliche Recht auf Teilhabe besitzen. „Der Fall Hellmann zeigt, dass das nicht funktioniert, besonders in der Corona-Zeit“, sagt Tschauner. Es sei ein besonders krasses Beispiel dafür, dass Gehörlosen eben nicht ermöglicht wird, gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft zu sein.

Quälende Sorgen

Die gute Nachricht ist: Nach der Untersuchung vor einigen Tagen sind die Ärzte mit Hellmanns Blutwerten zufrieden, er scheint krebsfrei zu sein. Doch seit Ausbruch der Krankheit quälen ihn die Sorgen, negative Gedanken, Schmerzen im Rücken wegen der Verschraubungen an den Wirbeln. Tschauner macht sich Sorgen, er könnte eine Depression entwickeln. „Ständig die neuen schlechten Nachrichten wegen der Reha, das zog ihn zusätzlich runter.“ Hellmann hat die Hoffnung auf eine Reha nicht aufgegeben und erneut Widerspruch eingelegt. Über Gebärdensprache teilt er mit: „Ich brauche professionelle Hilfe, um wieder Kraft zu schöpfen. Wenn ich wieder fit bin, würde ich so gern wieder arbeiten.“

Das sagt die Rentenversicherung

Zum konkreten Fall sagt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Nordbayern nichts, doch sei es generell nicht so, dass wegen der Maskenpflicht gehörlose Versicherte derzeit keine Reha bei der DRV erhalten können, teilte Sandra Skrzypale, Sprecherin der DRV Nordbayern, auf Anfrage mit. Allerdings gebe es in allen Kliniken wegen der Pandemie Hygienekonzepte, die vorsehen könnten, dass alle, Personal und Patienten, Masken tragen müssen und weder Begleitpersonen noch externe Gebärdendolmetscher zugelassen sind. Üblicherweise seien in einer Reha von gehörlosen Patienten drei bis sechs Einsätze eines Gebärdendolmetschers ausreichend. Sollte höherer Unterstützungsaufwand nötig sein, „suchen wir in Abstimmung mit dem Versicherten eine Lösung – entweder die Auswahl einer geeigneten Einrichtung oder die Kostenübernahme für eine Begleitperson. In den Reha-Kliniken DRV Nordbayern verfüge das Personal nicht über ausreichend Kenntnisse der Gebärdensprache.

Bilder