Heilige auf einem Leichenberg

Von Michael Weiser

Ein Klassiker in eineinhalb Stunden, nicht in unserer Gegenwart und doch modern: Kann das gut gehen? Kann es. Wie Sapir Heller mit ihrer "Jungfrau von Orleans" am Theater Hof zeigt.

 
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Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch, das behauptete Bert Brecht in seinem „Arturo Ui“. Er meinte damit eine Art von faschistischem Gangstertum.

Aber derlei gilt natürlich auch für andere, Verirrungen und Ismen, für religiösen Fundamentalismus etwa, oder für Nationalismus. So, wie’s Sapir Heller am Theater Hof vormacht, mit Friedrich von Schillers „Jungfrau von Orleans“: Da wird die Jungfrau unbefleckt schwanger – und gebiert ein Kind, vielleicht ist es Marianne, vielleicht eine neue Johanna auf jeden Fall ein einfaches Mädchen, das Frankreich verkörpert: eine Heilige als Seele der Nation. Johanna schwebt zu diesem Zeitpunkt an Stahlseilen schon über der Szene, ein bisschen wie gekreuzigt.

Oder besser: wie entrückt. Aber immerhin lebend und nicht – wie bei Schillern als schöne Leich’ unter Fahnen begraben.

Zwei Personen plus ein Chor

Sapir Heller reduziert den Text und das Personentableau radikal. Sogar der von Johanna geliebte Lionel ist gestrichen, nur zwei Figuren lässt Heller identifizierbar übrig – den Dauphin und die Jungfrau. Beide sind persönlicher Eigenschaften entkleidet, sie sind vergröbert bis zur Karikatur und stehen schließlich für politische Grundzustände: Johanna als die gefährliche Verführerin der Massen. Der Königsanwärter als schwacher und zugleich zynischer Herrscher. Der Staat kann noch so auf den Hund gekommen sein, zum Missbrauch ist er allemal fähig.

Oliver Hildebrandt spielt den Thronerben als Grenzdebilen auf einem hohen Podest (Bühne und Kostüme: Ursula Gaisböck), seinem Volk in Sprache wie Höhe entrückt, keiner Ermahnung oder Forderung zugänglich. Seine Sphäre berührt nie die Umgebung der Johanna, die Marina Schmitz bei gelegentlicher Neigung zum Deklamieren als mädchenhafte und doch sehr harte Kriegerin anlegt. Gut getroffen: die historische jungfräuliche Kriegerin war erst 17 Jahre alt, als sie ins Grauen der Schlacht um Orleans zog.

Archaische Inszenierung

Ein Problem der Inszenierung ist das Reden im Chor: Mitunter verlässt den einen oder anderen Schauspieler die Konzentration, es leiden der Gesamteindruck der an sich gleichförmigen Masse und natürlich die Verständlichkeit. Von der Köhlerszene gar bekommt man kaum ein Wort mit.

In ihrer Holzschnittartigkeit ist diese Inszenierung archaisch. Was an Personen neben Herrscher und Heerführerin übrigbleibt, wird vom Kollektiv der Orangegewandeten mit den grotesken Riesenperücken gemeinsam gesprochen. Ein Chor, der das Geschehen kommentiert, aber auch als Manövriermasse dient: Die Reihen schreiten nach einer geradezu schon geometrischen Choreographie mit- und durcheinander, von Johanna mit Zurufen ermuntert, die auch aus dem Mund einer Pornodarstellerin kommen könnten. Menschen ziehen in den Krieg, Menschen sterben, Gesicht, Hände und blaues Gewand der Gotteskriegerin werden immer mehr mit Blut besudelt, während sich um ihr Podest herum Körperteile ablagern, bis es aussieht, als ob sie auf einem Berg von Leichen stünde. Wie kann so jemand zur Heiligen werden?

Vorbild? Welches Vorbild?

Diese Frage stellt Heller in einer insgesamt sehr strengen Form, sehr konzentriert. Was Schiller sonst noch interessiert haben könnte – Johanna als moderne, mitunter recht selbstbestimmte Frau, ihre Zerrissenheit zwischen Mission und Emotion – lässt Heller beiseite. Denn dass dieses blinde Werkzeug Johanna zum Vorbild tauge, dass an ihren Idealen ein Staat gesunden könne – das mag sie Schiller nicht abnehmen.

Vielleicht nimmt sie ihm diesen idealistischen Imperativ sogar übel. Wie um sich am Verfasser der „Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ zu rächen, macht Sapir Heller Johanna zum Ende hin zur Bannerträgerin der französischen Tricolore – der Fahne der französischen Revolution, die der kühle Klassiker Friedrich Schiller so verabscheute.

INFO: Friedrich Schiller, „Die Jungfrau von Orleans“, Regie: Sapir Heller, Nächste Termine am Theater Hof am 8., 9. und 30. April, sowie am 8. Mai. Am 14. April in Selb

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