Großübung "Winterreise" von Terror-Spezialeinheiten vor 40 Jahren Terror: Großübung vor 40 Jahren

Von Richard Reinl und Kurt Tauber
Vor 40 Jahren stürmte eine Terroreinheit der GSG 9 den Pegnitzer Ortsteil Buchau. Foto: Archiv/Konrad Raum Foto: red

Terrorwarnungen in München sorgten zum Jahreswechsel 2015/16 für Beunruhigung. Anschläge und Geiselnahmen beschäftigen die Polizei aber schon viel länger – auch hier in der Region – wie ein Blick in das Archiv verrät. Vor genau 40 Jahren fand in Buchau eine Großübung von Terror-Spezialeinheiten statt, auch die GSG 9 war mit von der Partie.

 
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Der Pegnitzer Ortsteil am Rande der Bundesstraße 2 fristet ein eher beschauliches Dasein. Vor genau 40 Jahren allerdings brach die geballte Polizeimacht über den 400-Seelen-Ort herein. 350 Mann aus verschiedenen Spezialeinheiten, allen voran die legendäre GSG 9, stürmten das Dorf, um bei der Großübung "Winterreise“ Bankräuber und Geiselnehmer zu jagen.

Mehr als drei Hundertschaften von Polizei und Bundesgrenzschutz rückten im frühen Morgengrauen an, darunter etwa 80 Mann speziell für Terroristenbekämpfung ausgebildete Männer des Polizeipräsidiums Nürnberg und die mit Hubschraubern aus Bonn-Hangelar eingeflogene Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9).

Früh um 6.30 Uhr ging es los

Die Bewohner der Ortschaft waren tags zuvor über die zu erwartenden Aktivitäten unterrichtet worden. Die Übungsannahme: Gegen 6.30 Uhr am Morgen überfielen bewaffnete, maskierte Täter des politisch motivierten "Kommando Lutz Staufer“ den 36-jährigen Kassenleiter der Raiffeisenkasse in dessen Wohnung und zwangen ihn unter Waffenandrohung, mit zur Kasse zu kommen, den Tresor zu öffnen und etwa 120 000 Mark herauszugeben.

Um 6.45 Uhr gelang es einer zur Bank kommenden Angestellten, die Alarmanlage auszulösen, bevor sie zusammen mit dem Kassenleiter in den Tresor gesperrt wurde. Die Besatzung eines Funkstreifenwagens der Landespolizei Pegnitz eilte zum "Tatort“ und lieferte sich mit der Gangstertruppe, die gerade die Flucht ergreifen wollte, ein Feuergefecht, bei dem ein Polizeibeamter lebensgefährlich verletzt, ein Täter leichter getroffen wurde. Die Verbrecher verschanzten sich in der "Bank“, einem alten Haus, forderten telefonisch bei der Landespolizei in Pegnitz den freien Abzug mit dem Kassenleiter in ihrem Fahrzeug, einen Arzt zur Versorgung ihres Freundes und ein weiteres schnelles Fluchtfahrzeug bis spätestens 9 Uhr. Bei Nichterfüllung der Forderungen wurde mit Erschießen der Geiseln gedroht.

Hunderte Polizisten aus Oberfranken

Die Polizeibeamten lösten Großalarm aus, der flugs gegründete Einsatzstab in Bayreuth setzte einige hundert Polizisten aus ganz Oberfranken nach Buchau in Trab, das mobile Einsatzkommando (MEK) in Nürnberg und die Grenzschutzgruppe 9 in Bonn, zwei speziell für die Bekämpfung solcher Gewalttaten gedrillte Eliteeinheiten wurden angefordert. In der Zwischenzeit führte Polizeiamtmann Rudolf Wirth, der Chef der Pegnitzer Landespolizeistation, die ersten Verhandlungen mit den offenbar politisch motivierten Tätern des „Kommandos Lutz Staufer“, bis ein Kriminalbeamter aus dem nach Buchau verlegten Einsatzstab die Gespräche um Fluchtauto und freien Abzug weiterführte.

Ein "Kriminaler“ aus Bayreuth spielte die Rolle des Obergangsters brillant, redete so „lebensnah“ und unbekümmert im Politjargon von und mit den "Bullen“, seinen Polizeioberen, dass die Szene echt schien. "Die Fragen stelle ich und die Zeit bestimme ich“, beschied der Anführer der Täter den Polizisten, die sich in Hinhaltetaktik übten.

Einige Ultimaten vergingen, bis schließlich zwei Täter mit dem Kassenleiter im Täterauto davonrasten und tatsächlich die observierenden Fahrzeuge südlich von Pegnitz abhängten. Während diese Gruppe nachmittags in Stierberg dingfest gemacht wurde, gehörte der Vormittag der Großübung ganz den Anstrengungen, die noch verbliebene Geisel zu retten und die Gangster unschädlich zu machen. Glücklicherweise unternahmen die übrigen Täter mit einem eigens angeforderten Fluchtfahrzeug einen Fluchtversuch, wobei sich die Geisel, eine Polizeiangestellte, programmgemäß befreien konnte, während Polizeibeamte die Gangster unter Beschuss nahmen.

Tränengasbomben ins Haus

Der Rest war Warten auf die Spezialeinheiten aus Bonn und Nürnberg. Als dann gegen Mittag die drei Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes endlich da waren – die Nürnberger Truppe wurde erst am Nachmittag in Stierberg gebraucht – benahm man sich so, wie man sich nach neueren Erkenntnissen in dieser Lage nicht verhält: nach vereinbarungsgemäß abschlägig beschiedenen Aufforderungen der Polizei an die verschanzten Täter, endlich aufzugeben, warfen GSG-Spezialisten aus einem Schützenpanzerwagen Tränengasbomben in das Haus, pirschten sich im Schutz des künstlich erzeugten Nebels an das "Objekt“ heran, warfen Übungshandgranaten und sammelten schließlich die desillusionierten Täter auf, die einer nach dem anderen mit erhobenen Händen keuchend und hustend aus dem Haus wankten.

Doch auf ein ernstfallmäßiges, psychologisch bis ins Letzte motiviertes Agieren und Reagieren war diese Übung ohnehin nicht angelegt. Man wollte in erster Linie die Stabsarbeit erproben, Erfahrungen für Zeitbedarf und Dienstwege ermitteln, auch für den Fall, dass die GSG 9 einmal bei einem wirklichen Verbrechen in Oberfranken anrücken müsste.

Im Ernstfall anders gehandelt

Im Ernstfall hätte man – das verhehlte niemand der Verantwortlichen – in dieser speziellen Situation wohl die GSG 9 nicht mehr eingesetzt, sondern schlicht gewartet, bis die Täter von selbst aufgegeben hätten. Der Tränengaseinsatz alleine hätte schon seine Wirkung gezeigt.

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