Goebbels' Sekretärin ist tot

Brunhilde Pomsel, ehemalige Sekretärin bei NS-Propagandaminister Goebbels, im Juni 2016. Pomsel ist im Alter von 106 Jahren in der Nacht auf Samstag in München gestorben. Archivfoto: Matthias Balk/dpa Foto: red

Brunhilde Pomsel lebte gut in Nazi-Deutschland. Konzentrationslager und Judenvernichtung? Davon will die Sekretärin von Joseph Goebbels erst nach dem Krieg erfahren haben. «Wir haben nichts davon gewusst», beteuerte sie. Nun ist sie im Alter von 106 Jahren gestorben.

 
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Brunhilde Pomsel konnte sich nicht beklagen: Sie hatte eine gut bezahlte Arbeit, nette Kollegen und genug Geld für Extravaganzen. Und einen in ihren Augen angenehmen, höflichen Chef: Joseph Goebbels. Ab 1942 war sie Sekretärin in seinem NS-Propagandaministerium in Berlin. Sie arbeitete einem Mann aus dem Innersten des Terrorregimes zu, der als einer der schrecklichsten Demagogen in die Geschichte einging und mit Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Co. schlimmste Machtfantasien grausame Realität werden ließ. Pomsel behelligte das nicht, sie habe davon nichts mitbekommen, erklärte sie stets. Erst nach dem Krieg sei ihr das Ausmaß der Schrecken klar geworden. Nun ist Pomsel im Alter von 106 Jahren in München gestorben.

Im Film kann man sie noch erleben

Das Vermächtnis der betagten Dame: Der Dokumentarfilm «Ein deutsches Leben», in dem Pomsel dem Wiener Produzenten Christian Krönes und drei anderen Regisseuren fast zwei Stunden lang aus ihrem Leben erzählt und der am 6. April ins Kino kommen soll. Während des Drehs war sie bereits 103 Jahre alt. Sie wirkt zerbrechlich, das Gesicht ist von Falten zerfurcht. Doch ihr Verstand ist hellwach.

Da mutet es eigenartig an, dass sie vor mehr als 70 Jahren so wenig mitbekommen haben will: Wie Juden gedemütigt wurden und verschwanden, darunter ihre Freundin Eva Löwenthal. Die Pogromnacht von 1938, die alltäglichen Grausamkeiten und vor allem die Propaganda, mit der die Nazis die arische Herrenrasse beschworen und Juden, Sinti, Roma und Andersdenkende als minderwertig brandmarkten.

Noch 2016 beteuerte sie: "Wir haben nichts gewusst!"

Doch Pomsel blieb dabei: «Das schwöre ich Ihnen, wir haben nichts davon gewusst», bekräftigte sie anlässlich der Deutschlandpremiere im Sommer 2016 auf dem Filmfest München im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei höchstens zwei Mal in das Büro von Goebbels gerufen worden. «Wenn da gerade eine Besprechung war und jemand gesagt hat, das muss festgehalten werden, dann ging die Tür auf und eine von uns ging rein und hat irgendetwas mitgeschrieben und ging wieder raus. Das war alles.»

Preußisches Pflichtbewusstsein

«Gehorchen und ein bisschen schwindeln dabei oder lügen und die Schuld auf jemand anders schieben», so sei sie als Kind in Berlin erzogen worden, sagt sie im Film. «Preußisches Pflichtbewusstsein, ein bisschen auch dieses Sich-Unterordnen.» Die Folge: «Wenn ich an einem Platz stand, dann hatte ich ihn auszufüllen.» Diese Einstellung zahlte sich aus, in barer Münze, schon bei ihrer vorherigen Stellung beim Rundfunk. Während Juden nach und nach alle Habseligkeiten verloren, freute sich die junge Frau mit dem Spitznamen «Pomseline» über ein üppiges Gehalt, ließ sich schöne Kleider maßschneidern, traf Freundinnen und war glücklich über die «nettangezogenen, freundlichen Menschen» im Büro. «Das habe ich schon sehr genossen.» Politik? «Bin ja auch 'ne Frau, muss ja nicht.»

"Dachte, KZ sei zur Umerziehung"

Als Konzentrationslager für unliebsame Zeitgenossen gegründet wurden, bekam Pomsel das mit, aber: «Man wollte sie ja auch nicht gleich ins Gefängnis tun, die kamen in ein KZ zur Umerziehung, keiner hat sich Gedanken darüber gemacht.» Offene Kritik? «Das war nicht möglich, oder man musste sein Leben dafür einsetzen.» So wie die Mitglieder der «Weißen Rose». «Es war jedoch dumm von ihnen, dass sie solche Dinge taten.

Wenn sie den Mund gehalten hätten, dann lebten sie heute noch», ist sich Pomsel sicher und bedauert das grausame Urteil gegen die Studenten, die Flugblätter gegen das Naziregime verteilt hatten und deshalb hingerichtet wurden, «wegen eines scheiß Papiers».

1943: "Alle waren behext"

Dass die Nazis furchterregend waren, musste aber auch der Sekretärin gedämmert haben, spätestens als sie Goebbels 1943 in Berlin bei der Rede im Sportpalast erlebte, wo er die Masse aufpeitschte mit der Frage «Wollt ihr den totalen Krieg?». Ein Saal voller rasender, hysterischer Menschen, die nach Einschätzung Pomsels «behext» waren von diesem «tobenden Zwerg». «Es war ein Naturereignis, die ganze Menge konnte nichts dafür und er selber wahrscheinlich auch nicht.»

Da ist wieder das Gefühl, unschuldig verführt worden zu sein. Als sie nach den Nürnberger Prozessen fünf Jahre lang in russische Gefangenschaft kam, empfand sie dies als zutiefst ungerecht, «weil ich ja nichts getan hatte, als bei Herrn Goebbels getippt und was dahinter steckte, wusste ich ja alles gar nicht, jedenfalls nur wenig». Schuldig sei sie nur, wenn man dem ganzen deutschen Volk vorwerfe, Hitler zur Macht verholfen zu haben. «Das sind wir alle gewiss gewesen, auch ich.»

"Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen"

Wie lebte es sich mit den Erinnerungen und mit dem Wissen, welche Gräuel Goebbels, Hitler, Göring und Konsorten angerichtet haben? «Wenn man durch so eine Zeit gegangen ist, (...) und letzten Endes doch nur an sich gedacht hat, da habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen.» Die Erinnerungen seien täglich präsent gewesen, «so wie jeden Morgen die Sonne aufgeht», beschrieb sie im vergangenen Sommer. «Das hat sich natürlich in mein Leben eingefressen, was alles an Schrecklichem passiert ist.»

dpa

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