Bach zum Staunen
So spielte Glemser die so genannte Englische Suite von Johann Sebastian Bach sehr zurückgenommen, behutsam, dabei farbenreich, mit leicht ausgewogener Hand, die jeden Lauf, jede Linie als etwas Selbständiges erscheinen ließ: Über- und gegeneinander laufende Linien, in der jeder Ton und sein Gegenpart im Kontrapunkt sein eigenes Gewicht hatte. Das auch noch bei hohem Tempo, wohlgemerkt. So transparent spielte Florian Glemser, dass Bach erst recht rätselhaft wirkte: So glänzend bekommt man die unfassbare Meisterschaft des Eisenachers eben nicht immer vorgeführt. Je mehr man hört, desto mehr staunt man.
Man stelle sich eine reizärmere Zeit vor. Kein Fernsehen, nicht mal Radio, erst recht kein Internet. Claude Debussys „Pour le piano“ soll 1902 schon, beim ersten Mal in der Öffentlichkeit gespielt, richtig eingeschlagen haben. Glemser spielte das Werk mit deutlich romantischer Färbung, in die sich Debussys neue Mittel, die Chromatik, die Quartschichtung, das Nebeneinander unterschiedlichster Tonleitern, wie selbstverständlich einfügten. Damals war's eine Sensation. Warum – das konnte man nach diesem Vortrag nachvollziehen. Wieder eine Sensation. Man musste ja nur reizbefreit zuhören.
Später am Abend: die "Gesänge der Frühe"
Florian Glemser mag Schumann. Wer nicht? Weswegen man Robert Schumann auch sehr oft hört. In dieser Qualität aber? Eher selten. Die „Kreisleriana“ sind eines der wichtigsten Werke der romantischen Literatur. Und, auch das kann man nach diesem Abend sagen, eines der schönsten. So wie auch die rätselhaften „Gesänge der Frühe“. Wir belassen es dabei, da darf man Rätsel einfach auch mal Rätsel bleiben lassen. Ganz am Ende kann man sich doch mal davontragen lassen, es war, einfach und ohne Pose, - schön.
Kurz: Dieser Florian Glemser spielt ganz fabelhaft. Schon in der Gegenwart. Für die Zukunft sei ihm dennoch eines gewünscht: noch viel mehr Zuhörer.
Info: Das nächste Konzert der Kulturfreunde ist am Mittwoch, 12. Oktober, 20 Uhr, im Zentrum. Das Stuttgarter Kammerorchester spielt unter der Leitung von Matthias Foremny, mit Alexandra Conunova, Violine, als Solistin Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Pēteris Vasks und Franz Schubert.