Festspiel-Premiere: Kein Anti-Lohengrin

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Der Komponist Klaus Lang. Foto: red Foto: red

Im Auftrag der Bayreuther Festspiele hat der österreichische Komponist Klaus Lang die Oper „Der verschwundene Hochzeiter“ geschrieben. Uraufführung ist am 24. Juli im Reichshof in Bayreuth. Im Kurier-Interview spricht Lang über Kompositionstechniken und den Umgang mit Vergangenheit.

 
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Die Handlung seiner Oper basiert auf einer alten Sage aus Österreich und erzählt von einem Bräutigam, der von einem Fremden auf dessen Hochzeit eingeladen wird. Dort solle er sich vergnügen und tanzen, aber niemals länger, als die Musik spiele, warnt der Fremde. Jedoch: Der Hochzeiter missachtet das Gebot. Kann man in dieser Übertretung unterschwellig eine Parallele zu Lohengrin erkennen? Klaus Lang, der Komponist der Oper „Der verschwundene Hochzeiter“ betont im Kurier-Interview die Eigenständigkeit seines Werkes.

 

Herr Lang, in einer biografischen Notiz über Sie steht: „Was er nicht mag, sind Rasenmäher und Richard Wagner.“ Da kann man nur sagen: Willkommen in Bayreuth! Werden Sie mit Ihrer Oper „Der verschwundene Hochzeiter“ also eine Art Anti-„Lohengrin“ präsentieren?

Klaus Lang: Es ging bei dieser Auftragskomposition der Bayreuther Festspiele darum, eine neue Oper zu komponieren und nicht, einen Kommentar zu Richard Wagner abzugeben. Der Stoff hat nicht direkt etwas mit „Lohengrin“ oder einem anderen Werk von Wagner zu tun. Das Stück steht für sich und ist weder ein Anti-Wagner-Stück noch eine Apotheose von Wagner.

 

Man könnte aber annehmen, dass im Subtext doch ein Bezug zu „Lohengrin“ mitschwingt.

Lang: Das könnte man. Aber das ist nicht meine Intention. Es ist ein Märchen, das ich schon seit ewigen Zeiten kenne, aber ich habe das damit nicht bewusst verknüpfen wollen. Es ging einfach darum, ein neues Stück zu schreiben, das versucht, sich auf die Welt, in der wir heute leben, zu beziehen. Darin sehe ich die Hauptgemeinsamkeit mit Richard Wagner.

 

Dennoch nehme ich an, dass Sie sich die „Lohengrin“-Partitur schonmal angeschaut haben.

Lang: Kunst bezieht sich immer auf Kunstvergangenheit. Dass man mit der Vergangenheit arbeitet, ist das tägliche Brot von Kunst.

 

Inwiefern spielt die auch von Richard Wagner gepflegte Leitmotivtechnik in Ihrer Oper eine Rolle?

Lang: Das ist schwer zu sagen. Es ist in allen meinen Musiktheaterstücken so, dass es eine sehr starke Verknüpfung von bestimmtem musikalischem Material mit bestimmten Figuren gibt. Jetzt könnte man sagen, dass das leitmotivisch ist. Aber das gibt es auch in der Ikonographie. Wenn man einen Kaiser gemalt hat, dann hat er immer bestimmte Insignien getragen, die ihn als spezielle Figur charakterisiert haben. Diese Art von Technik, bestimmten Figuren bestimmte Klänge zuordnet, gibt es natürlich auch in meinen Arbeiten, aber die gab es auch schon vor Wagner. Es hat nie jemand etwa komplett neu erfunden.

 

Das Vorspiel zu „Lohengrin“ könnte man als Klangflächenkomposition bezeichnen. Ist das eher interessant für einen zeitgenössischen Komponisten?

Lang: Es ist eine Form von Klanglichkeit, auf die man sich beziehen kann. Wobei ich auch eine 16-stimmige Motette aus dem 16. Jahrhundert als Klangflächenkomposition finden kann. Aber auch das ist für mich kein direktes Zitat aus einem Werk.

 

Sie haben einst geschrieben, dass Sie mit Ihrer Musik keine außermusikalische Inhalte transportieren wollen. Worauf kommt es Ihnen an?

Lang: Für mich ist ein ganz zentraler Punkt in jeder kompositorischen Arbeit die Wahrnehmung von Zeit und die Frage, wie Zeit durch Klang hörbar gemacht wird. Das Arbeiten mit verschiedenen Ebenen von Zeitlichkeit ist ein großes Zentrum von meinen Kompositionen. Das ist auch das, was für mich an der Geschichte vom „verschwundenen Hochzeiter“ so interessant ist. Es geht zum einen um die Alltagszeit, dann um einen entrückten Ort, wo die Zeit quasi stehen bleibt. Und am Ende rasen 300 Jahre innerhalb von einer Sekunde vorbei.

 

Richard Strauss lässt in seinem „Rosenkavalier“ die Marschallin singen: „Die Zeit die ist ein sonderbar Ding“. Ist dieser Monolog für Sie von Belang?

Lang: Das ist die gleiche Thematik. Natürlich ist das relevant. Ich würde aber, wenn ich meine wichtigsten Einflüsse sehen würde, sicher zurückgehen in die vortonale Zeit, die Zeit der modalen Strukturen des 15. und 16. Jahrhunderts.

 

Bei Strauss ist an der genannten Stelle ja auch für den ungeschulten Hörer nachvollziehbar, dass die Zeit stehen bleibt. Machen Sie’s dem Hörer auch so leicht?

Lang: Bei der zitierten Stelle könnte man sagen, dass sich das sehr an der Oberfläche bewegt, in dem Sinne, dass es ein sprachlich sehr leicht beschreibbarer Vorgang ist. Für mich ist es interessanter zu versuchen, kompositorische Strukturen so zu schaffen, dass das eben nicht beschreibbar ist, sondern dass das erlebbar wird. Dass man da sitzt und plötzlich für sich selber eine andere Wahrnehmung von Zeit erlebt und sie nicht nur beschrieben findet. Das ist für mich der zentrale Punkt.

 

Welche stimmlichen Anforderungen stellen Sie an die Solisten?

Lang: Die Stimmanforderungen sind so ähnlich, wie man sie von einer barocken Stimme erfordern würde. Sehr leicht und klar, ohne Vibrato, ohne Masse an Stimme. Auch das Orchester ist nicht riesengroß, die Sänger müssen also nicht brüllen, um sich durchzusetzen.

 

Geht es dabei in den Falsett-Bereich?

Lang: Der Fremde ist tatsächlich ein Countertenor, insofern gibt es auch da einen Bezug zur barocken Stimmtechnik, was bei dem Stück ja auch sehr naheliegend ist, weil es vor 300 Jahren spielt. Das ist die Zeit um 1700.

 

Das hätte ja perfekt ins Markgräfliche Opernhaus gepasst, wo die Uraufführung ja auch ursprünglich geplant war. Haben Sie das Stück für diesen Raum komponiert?

Lang: Ich finde, wir haben einen tollen Raum gefunden, wo man das sehr schön machen kann. Aber bestimmte Aspekte haben sich schon auf diese barocke Theatersituation bezogen, aber das ging aus verschiedenen Gründen nicht. Es gibt in dem Stück Bezüge zum Barock, die natürlich sinnfälliger geworden wären, wenn sie in einem barocken Haus aufgeführt worden wären. Aber man kann die Partitur auch unabhängig von dem barocken Raum aufführen.

 

Schaut man sich Ihr Werkverzeichnis an, so stößt man auf Titel wie „rindenmotette“ oder „C. meinte der Rock wäre aus blau gefärbter von den Hebriden stammender Schafwolle gemacht“. Da staunt man nicht schlecht.

Lang: Ich versuche Titel zu finden, die dem Hörer nichts Konkretes vorgeben. Mir geht es darum, die Klänge die ich gefunden habe, als solche zu hören. Das ist der Versuch, die Klänge zu befreien von diesen Titeln, denn ein Titel färbt natürlich sofort die Wahrnehmung ein. Je mehr der Titel unentschlüsselbar bleibt, desto freier sind die Klänge, die in dem Stück vorkommen.

 

Dann wäre Ihnen vermutlich der Zuhörer der liebste, der als völlig unbeschriebenes Blatt und ohne Wissen um Musikgeschichte, in die Aufführung Ihrer Oper geht.

 

Lang: Genau. Aber den gibt es natürlich nicht.

Ich glaube, den gibt es zu Hauf, aber er wird nicht den Weg zu Ihrer Uraufführung finden.

 

Lang: Das beeindruckendste Musiktheatererlebnis, das ich jemals hatte, war ein No-Theaterstück, das ich in Japan gehört habe. Ich habe absolut nichts verstanden. Ich konnte einfach dasitzen und hatte nichts anderes als die sinnliche Wahrnehmung von dem, was da passiert ist: die Klänge, den Raum, die Bilder. Ich habe die Sprache natürlich nicht verstanden, hatte aber trotzdem ein unglaublich tiefes Erlebnis. Das ist es, worum es mir im Grunde geht.

 

Dann dürften Sie sich vermutlich auf einem Experten-Festival wie den Donaueschinger Musiktagen nicht besonders wohlfühlen.

Lang: Es ist wichtig, dass es das Festival in Donaueschingen gibt. Das Problem ist das, was seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts das Problem ist: Dass sich der Standardmusikbetrieb so eingekapselt hat, und immer die gleichen 20 bis 30 Stücke gespielt werden. Dass das, was an Grundlagenforschung passiert, nie eine Chance hat, in die geschlossene Welt des 19. Jahrhunderts einzudringen, die den Konzertbetrieb auszeichnet. Das Problem ist, dass nicht alle Intendanten nach Donaueschingen fahren, sich Stücke anhören und sich überlegen, wem sie einen Kompositionsauftrag geben. Stattdessen überlegen sich die Intendanten, welche Oper von Mozart sie wieder machen.

 

Der abgekapselte Ort par exellence, der überdies über einen scheinbar für alle Zeiten eingeschreinten Spielplan verfügt, ist ja Bayreuth. Was bedeutet es Ihnen, dass gerade Sie von den Bayreuther Festspielen den Auftrag zur Komposition einer Oper erhalten haben?

Lang: Ich finde das ganz wichtig und toll, dass das passiert. Dass ist ja auch im Sinne von Wagner, der ja genau das versucht hat: Etwas Neues zu schaffen. Es trat dann die seltsame Situation ein, dass sich das Neue so verkapselt hat. Deshalb finde ich wirklich toll, dass jetzt grundsätzlich möglich ist, wieder den Kontakt zur Gegenwart aufrechtzuerhalten und nicht nur fest im 19. Jahrhundert zu bleiben.

 

Empfinden Sie es möglicherweise auch als Bürde, an dem Ort wo Richard Wagner gewirkt hat, als Komponist in Erscheinung zu treten?

Lang: Das hat mich nicht so wahnsinnig beschäftigt. Für mich ist der Punkt, zu sagen: Wir haben jetzt die Chance, hier ein neues Stück zu machen, und das ist für mich das Zentrale. Ich habe keine extrem große Bürde empfunden. Der Fokus liegt für mich nicht darauf, wie das historisch eingeordnet wird, sondern in der Qualität der Arbeit, die ich versucht habe, hier zu machen. Das ist die eigentliche Verknüpfung mit der Geschichte: Der Versuch, diese große Qualität herzustellen.

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