Etwa jeder zehnte Bayreuther ist überschuldet So sieht der Alltag eines Gerichtsvollziehers aus

Von Norbert Heimbeck
Vorladung, Zur Zahlung angewiesen - Hauptgerichtsvollzieher Reinhard Schramm braucht viele Stempel für die Dokumente, die im Kampf um fällige Schulden ausgefüllt werden müssen. Foto: red

Die meisten Menschen freuen sich, wenn sie Besuch bekommen. Wenn Reinhard Schramm an der Haustür klingelt, ist die Freude allerdings nicht sehr groß. Denn er hat Mahnungen, Zahlungsaufforderungen und gelegentlich sogar einen Haftbefehl in der Tasche. Reinhard Schramm ist Gerichtsvollzieher.

 
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Das Handy kostet mehr als geplant, die Raten fürs Auto wachsen über den Kopf und der Strom wird auch immer teurer: Etwa jeder zehnte Erwachsene in Bayreuth ist überschuldet. Im Bereich des Amtsgerichts Bayreuth sorgen derzeit neun Gerichtsvollzieher (darunter zwei Frauen) dafür, dass offene Rechnungen beglichen werden. Reinhard Schramm ist seit Mitte der 80-er Jahre mit der Aufgabe betraut. Er beschreibt seinen Auftrag so: „Wir sind Mittler zwischen Gläubiger und Schuldner. Der Gerichtsvollzieher soll eine gütliche Einigung anstreben.“

So steht es im Gesetz. Doch im richtigen Leben ist das nicht so einfach. Wenn der Gerichtsbeamte beim Besuch eines „Kunden“ Schwierigkeiten befürchtet, kann er Polizisten zur Unterstützung anfordern. Gleich vier starke Männer mussten Reinhard Schramm helfen, als er einem Mann einen Vollstreckungsbescheid überreichte, der sich weigerte, Unterhalt zu zahlen: „Er war der Meinung, das Kind sei nicht von ihm, also wollte er nicht zahlen.“ Einmal wurde er – ebenfalls in einer Unterhaltssache – von einem Schuldner aufs Derbste beschimpft und beleidigt. Das Gefährlichste, das Schramm im Dienst erlebte: „Ich war mit einem Vollstreckungsauftrag in der Wohnung, als der Mann das Zimmer verließ. Als er wiederkam, richtete er plötzlich eine Pistole auf mich. Da weißt Du erst einmal nicht, was Du tun sollst.“ Die Frau des Schuldners beruhigte ihren Mann schließlich, die Waffe entpuppte sich als Schreckschusspistole. Der Schuldner bekam als Quittung für sein Ausrasten eine Strafanzeige.

Solche Attacken kommen zum Glück nur selten vor, sagt Schramm: „In der Regel kennt man seine Kundschaft“. Den typischen Schuldner gibt es nicht: „Oft sind es Geschäftsleute mit kleinen Betrieben. Die leisten zwar handwerklich saubere Arbeit, aber mit der Verwaltung und dem Schreiben von Rechnungen sind sie überfordert.“ Bei Privatleuten kennt der Gerichtsvollzieher zwei große Gruppen: Die einen haben alle Briefe, Rechnungen und Mahnungen wild durcheinander in einer Schublade und müssen einzelne Dokumente erst lange suchen, andere haben ihre Unterlagen sorgfältig abgeheftet und können exakt belegen, wem sie wie viel Geld schulden.

Es kommt immer wieder vor, dass Schuldner nicht öffnen, wenn Schramm an der Tür klingelt. Da er und seine Justizkollegen allerdings in ihren Bezirken ziemlich bekannt sind, hat er auch schon erlebt, dass ein hilfreicher Nachbar durchs Treppenhaus brüllt: „Der is fei dahaam!“

Gar nicht wenige Schuldner bemühen sich, monatliche Raten aufzubringen und stottern die ausstehende Summe direkt über den Gerichtsvollzieher ab. Und wenn einer partout nicht zahlen will oder kann? Dann greifen Schramm und seine Kollegen zum Pfandsiegel. Das spöttisch auch Kuckuck genannte Siegel  wird auf Möbel, Autos, Schmuck oder Elektrogeräte geklebt. Welche Gegenstände  der Gerichtsvollzieher pfänden darf, ist in Paragraf 811 der Zivilprozessordnung genau festgelegt. Manchmal lohnt es sich auch gar nicht, den Kuckuck aufzukleben sagt Schramm: „PCs zum Beispiel veralten sehr schnell. Und wenn Drucker nur noch 50 Euro kosten, ist die Pfändung teurer als das Gerät.“  Oft muss Schramm zum „letzten Mittel“ greifen, wie er sagt: „Dann besuche ich den Arbeitgeber eines Schuldners.“ Dann veranlasst der Justizbeamte eine Lohn- oder Gehaltspfändung.

Das setzt den Schuldner zusätzlich unter Druck, verfehlt aber in vielen Fällen seine Wirkung nicht. Im Jahr 2012 haben elf Gerichtsvollzieher im Amtsgerichtsbezirk Bayreuth die stolze Summe von 2 754 000 Euro an Gläubiger ausbezahlt. Um an das Geld zu gelangen, waren rund 11 400 Zwangsvollstreckungen nötig, 5691 Menschen mussten den Offenbarungseid leisten. Die Zahlen bewegen sich nach Schramms Erfahrung ungefähr auf dem Niveau des Jahres davor. Mehr geworden sind Zwangsräumungen wegen der sogenannten Mietnomaden. Deutlich weniger geworden sind Versteigerungen von gepfändeten Sachen: „Die Leute haben einfach nichts mehr“, sagt Schramm.

Das Elend, dem er täglich begegnet, berührt den Mann der Justiz trotz jahrzehntelanger Erfahrung: „Mancher Schuldner ist schon schwer krank, dann kommst du auch noch daher und forderst Geld ...“ Obwohl Reinhard Schramm manchmal von besonders dramatischen Fällen träumt, möchte er „keinen anderen Beruf ausüben“. Er habe zwar keinen Achtstundentag, sei aber bei der Arbeit weitgehend sein eigener Herr.

Eine letzte Frage: Hat der Gerichtsvollzieher selbst Schulden? Schramm lacht: „Einmal habe ich einen Steuerbescheid der Stadt vergessen. Dann zahlst Du halt gleich zehn Euro mehr.“

Info: Bundesweit beträgt die Schuldnerquote exakt 9,81 Prozent, hat die Wirtschaftsauskunftei Creditrefom ermittelt. Wie der Kurier am 7. November berichtete, hat in Oberfranken der Landkreis Forchheim mit einer Quote von 5,88 Prozent die wenigsten Schuldner.  Die meisten Menschen mit einem enormen Schuldenberg wohnen in der Stadt Hof, die mit einer Quote von 13,39 Prozent nicht nur Schlusslicht im Regierungsbezirk ist, sondern damit auch weit über dem gesamtbayerischen Wert von sieben Prozent liegt.

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