Eine Wildscheuche gegen den Mähtod

Von Moritz Kircher

Was Johannes Scherm vor vielen Jahren in seiner Ausbildung passiert ist, erlebt wahrscheinlich jeder Landwirt irgendwann einmal. Beim Mähen hatte er ein Rehkitz erwischt, und das Tier war ums Leben gekommen. „Das geht mir immer noch nach“, sagt er. Heute ist Scherm Geschäftsführer beim Maschinenring Bayreuth. Und als solcher setzt er sich dafür ein, dass Wildunfälle bei der Mahd möglichst selten passieren. Eine Wildscheuche, entwickelt von einem Bayreuther Unternehmen, soll Abhilfe schaffen.

 
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Derzeit ist Reinhard Sendelbeck mit seinem Mähwerk auf seinen Wiesen rund um seinen Hof im Creußener Ortsteil Gottsfeld unterwegs. Rehkitze, so sagt der Vorsitzende des Maschinenrings, begegnen ihm in seinen Wiesen kaum noch. Dafür sorgt ein Gerät, das er ein bis zwei Tage vor dem Mähen aufstellt. Die Wildscheuche fällt kaum auf. Das zwei Meter lange Teil wird in den Boden gesteckt, ein Eimer mit einer blauen Mülltüte darüber imitiert einen menschlichen Oberkörper. Darüber pendeln schwarz-weiße Bilder eines menschlichen Gesichtes im Wind. Die Augen blinken in der Nacht blau.

Geräusche aus einem Zufallsgenerator gegen einen Gewöhnungseffekt

Am ehesten fällt die Wildscheuche akustisch auf. In unregelmäßigen Abständen stoßen zwei kleine Lautsprecher Warnrufe von Rehen aus, menschliche Stimmen sind zu hören oder einfach nur Musik. Wann welches Geräusch abgespielt wird, steuert ein Zufallsgenerator. „Dann gewöhnen sich die Rehe nicht daran“, sagt Scherm.

Mit diesem Gerät, das ein Bayreuther Unternehmen entwickelt hat, will Sendelbeck verhindern, dass Geißen ihre Kitze in der Wiese ablegen. Denn das Problem ist: In den ersten Tagen nach der Geburt ducken sich die Kitze tief ins Gras, wenn sich eine Gefahr nähert. Mähmaschinen mit ihren meterlangen Mähwerken nehmen sie als solche Gefahr wahr. Und wo aufspringen und weglaufen genau das richtige wäre, kauern sich die Kitze dann immer tiefer ins Gras. Und genau deswegen übersehen sie die Bauern – mit fatalen Folgen für die Kitze.

Bis zu 90 Prozent weniger Kitze in der Wiese

Johannes Sendelbeck hat die Wildscheuchen seit drei Jahren im Einsatz. Mit Erfolg, wie er sagt. 80 bis 90 Prozent weniger Rehkitze habe er seitdem in seinen Wiesen. Eine Fläche, fast so groß wie 60 Fußballfelder, hat er heuer schon gemäht. Es waren Kitze da. Das belegen die leeren Nester, die Sendelbeck bei der Arbeit gefunden hat. Er ist erleichtert. „Es tut jedem Landwirt leid, wenn er ein Kitz erwischt“, sagt er.

Kreisjagdberater Hans Popp kennt verschiedene Arten der Kitzrettung. Die herkömmliche Methode: Jäger marschieren vor der Mahd mit ihren Hunden durch die Wiese. „Die Zusammenarbeit zwischen Jägern und Landwirten funktioniert wirklich gut“, sagt er. Vereinzelt kommen auch schon Drohnen mit Wärmebildkameras zum Einsatz. „Das wird sich in den nächsten drei, vier, fünf Jahren sicher noch weiter entwickeln“, sagt Popp. „Und es wird kostengünstiger.“ Auch private Kitzretter seien willkommen. Popp: „Es ehrt jeden, der sagt, ich mache da mit.“

Niemand weiß genau, wie viele Kitze jedes Jahr in Mähwerke geraten

Auch die Wildscheuche hält er für ein probates Mittel, Kitze vor dem Mähtod zu bewahren. Die Technik sei durchdacht. Das blaue Licht sei für Rehe tatsächlich ein Warnsignal. Und auch die nicht in einem bestimmten Rhythmus wiederkehrenden Geräusche würden vermeiden, dass sich die Tiere daran gewöhnen. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass man mit so einer Wildscheuche zwei Drittel weniger Kitze in der Wiese hat.“

Wie viele Kitze jedes Jahr bei der Mahd sterben, kann niemand sagen. Es gibt keine Meldepflicht. „Je früher der Landwirt mäht, desto weniger Geißen haben bereits gesetzt“, sagt Popp. Ob ein Bauer seine Wiese früh mähen kann oder nicht, hängt vom Wetter ab. Heuer war die erste Mahd relativ früh. Deshalb habe es noch wenig Kitze gegeben, schätzt der Kreisjagdberater.

Landwirt Reinhard Sendelbeck setzt auf die Wildscheuche, um möglichst keine Kitze vor sein Mähwerk zu bekommen. „Das hat sich im Vergleich zu anderen Maßnahmen einfach als sehr effektiv erwiesen“, sagt er. Er wirbt dafür, dass möglichst viele Kollegen die rund 400 Euro in die Hand nehmen, die das Gerät kostet. Es sei auch im Interesse der Jäger, die Scheuchen mitzufinanzieren, sagt Johannes Scherm.

Was Jäger den Landwirten raten

Der Bayerische Jagdverband (BJV) weist darauf hin, dass Landwirte als Verursacher der Gefahr nach dem Tierschutzgesetz gehalten sind, beim Mähen vermeidbare Tötungen und Verletzungen zu verhindern. „Es gibt viele Möglichkeiten, die Jungtiere zu schützen“, sagt BJV-Präsident Jürgen Vocke.

Er appelliert an die Landwirte, ihre Termine mindestens 24 Stunden vor der Mahd an die Jagdpächter zu melden, damit diese die Wiesen nach Jungtieren absuchen können. Auch das Aufstellen von Wildscheuchen sieht der BJV als geeignetes Mittel, um Unfälle zu vermeiden.

Der Jagdverband gibt den Landwirten auch Tipps, wie sie Wildunfälle mit verstümmelten Rehkitzen beim Mähen möglichst vermeiden können. So sollten sie Wiesen immer von innen nach außen mähen. In einer BJV-Broschüre heißt es, beim Mähen von außen nach innen würden die Wildtiere „wie in einer Insel“ eingefangen. Bei besonders großen Flächen könne auch eine Aufteilung sinnvoll sein in mehrere kleine Flächen, die dann jeweils von innen nach außen gemäht werden können. „Tierschonende Befahrmuster erleichtern den Tieren den Rückzug aus den noch ungemähten Flächen“, schreibt der Jagdverband. Und diese Befahrmuster seien „eindeutig nicht zeitaufwendiger“ als herkömmliche.

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