Ein Gesellschaftsbild: Weltbekannter Fotograf Michael Wesely schenkt MWG ein Projekt - 650 Kinder ergeben ein Gesicht Wesely fotografiert MWG-Schüler

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Der Kunsterzieher Stefan Mayer und der weltbekannte Berliner Fotograf Michael Wesely (rechts) kennen sich seit dem Studium an der Kunstakademie in München. Wesely hat jetzt ein Fotoprojekt von 1990 wiederholt. Mit Schülern des MWG. In der Mitte: Wilhelmine, ein Foto aus 650 Schülerfotos. Foto: Eric Waha Foto: red

Seine Bilder hängen im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, in der Staatsgemäldesammlung in München. In bedeutenden Privatsammlungen. Und im Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium (MWG). Der Fotograf Michael Wesely, weltbekannt durch seine Langzeitbelichtungen, hat dem MWG ein Projekt geschenkt. Eine Gesellschaftsstudie. Eine Wiederholung einer Arbeit, die er 1990 im Gymnasium Grafing gemacht hatte.

 
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25 Jahre nach der ersten Arbeit wollte Wesely wieder nach Grafing. "Wiedervereinigung, die Migration. Da war so viel Bewegung in der Republik in den vergangenen 25 Jahren. Ich wollte wissen, wie schauen die Schüler heute aus. Wie hat sich das Bild der Deutschen verändert", sagt Michael Wesely am Montagnachmittag im Gespräch mit unserer Zeitung. Jedoch: "Die haben es nicht auf die Reihe bekommen." Auch hier hat sich viel geändert. Persönlichkeitsrecht, zum Beispiel. Genehmigungen, die es braucht, um die Kinder abzulichten. "Hier, am Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium, hat es geklappt. Die Arbeit war einfacher umzusetzen", sagt der Fotograf, der in Berlin und Sao Paulo lebt. 

Kontakt über Kunstlehrer Stefan Mayer

Der Kontakt zu Wesely kommt durch die Freundschaft mit Stefan Mayer zustande. Der Fotograf und der Kunsterzieher haben gemeinsam in München an der Akademie der bildenden Künste studiert. "Wir sind immer lose in Kontakt geblieben", sagt Mayer. "Einmal habe ich sogar seinen Assistenten gespielt. Wir haben damals am Amazonas Langzeitbelichtungen gemacht. Für uns ist das ein Glücksfall, dass er gesagt hat, er will die Aktion von vor 25 Jahren wiederholen. Und bei uns machen." 

Alle 650 Schüler fotografiert

Im Juli vergangenen Jahres fotografiert Michael Wesely alle rund 650 Schüler des MWG. Klassenweise, aber jeden einzelnen. "Wir hatten einen Raum oben in der Schule ausgesucht. Ein Eckzimmer, von zwei Seiten beleuchtet, grauer Hintergrund", sagt Mayer. Die Portraits der Schüler werden übereinander gelegt. Um das zu schaffen, hat Wesely ein Programm entwickelt, das es ermöglicht, aus den Einzelportraits ein Gesamtportrait zu formen, ausgerichtet an den Augen der Schüler. "In Photoshop wäre das gar nicht möglich", sagt Wesely. 30 Fotos von den 30 Klassen hängen seit Montag im ersten Stock. Dazu sechs Gruppen: das Orchester, die Fußballmannschaft der Jungs, der Mädchen, die Basketballer, die Schach-AG, der Multimedia-Kurs.

Ergebnis: Auf den ersten Blick eine Enttäuschung für den Einzelnen

Das Ergebnis: "Ist natürlich erst mal enttäuschend", sagt Wesely. Enttäuschend für den Einzelnen. "Die Schüler schauen sich die Bilder an. Fragen: wo bin ich? Ich sehe mich gar nicht! Aber letztendlich erkennen sie: So sieht die Gruppe aus, in der ich mich bewege." Das sei auch die Botschaft, die hinter dem Projekt, hinter den Bildern, steckt. "Das wird die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein. Die Botschaft, dass man sich nicht mehr abgrenzen kann. Das ist die Seitenlinie, die die Arbeit hat. Die Idee, dass da eben nicht 30 Ich-AGs zu sehen sind, sondern eine Gemeinschaft", sagt Wesely.

Anderer kultureller Kontext als andernorts

Ganz vergleichbar mit 1990 ist das Ergebnis allerdings nicht, wie Wesely sagt. "Damals war das eine gemischte Schule eines Münchner Vororts. Hier haben wir einen Mädchenüberhang, entsprechend sind die Bilder auch weiblich angehaucht. Das Ergebnis ist weit entfernt von jeder politischen Aussage. In Neukölln, zum Beispiel, würde man ganz andere Bilder bekommen. Aus einem ganz anderen kulturellen Kontext." Am MWG, sagt der Künstler, treffe man auf Kinder "aus der oberen Mittelschicht, deren Eltern eine Ader für Muße haben und deshalb ihre Kinder hierher schicken. Das ist gar keine Wertung. Aber so spaltet sich das natürlich im Vorfeld auf. Gerade in Bayreuth, wo es fünf Gymnasien gibt. Man müsste das Projekt an den anderen Schulen machen, um einen Vergleich zu haben".

Dazu wird aber kein Raum bleiben. "Das hier hat schon einen Haufen Zeit und Geld gekostet. Letztlich war das ein Versuchsballon, eine Art Pilotprojekt für das 21. Jahrhundert." Das die Schüler im Idealfall selber weiterspinnen können. "Ich lasse ihnen ein Laptop da, mit dem sie ihre eigenen Gruppierungen schaffen und ausdrucken oder weiterschicken können."

Diesmal keine Langzeitbelichtungen

Auf die Langzeitbelichtung, sein Markenzeichen, hat Wesely dieses Mal allerdings verzichtet, aber den gleichen Effekt durch die Überlagerung erzielt. "Ich habe 1988 das erste Portrait in Langzeitbelichtung gemacht. Fünf Minuten lang. Eine bewusste Entscheidung gegen den vermeintlich richtigen Augenblick. Denn für mich war der entscheidende Augenblick einfach nicht enträtselbar", sagt Wesely.

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