Ehernes Gesetz fällt weg: Altersgrenze nach oben verschoben Singen nun bis 75 in der Kantorei Pegnitz

Von Thomas Knauber
Die Stimme ist im Alter weniger das Problem. Schwierig wird es für die Sänger mit dem Stehvermögen: Hält ihr Rücken die Stunden der Hauptprobe und der Aufführung aus? Foto: Archiv/Trenz Foto: red

Unbemerkt von der Öffentlichkeit fiel in der Kantorei leise ein ehernes Gesetz, das viele Sänger geärgert hatte: die Altersgrenze. Denn bisher mussten sie mit ihrem 70. Geburtstag raus aus dem Chor, ob sie wollten oder nicht. Und die meisten waren leidenschaftlich gern dabei. Ihnen war es kein Trost, jetzt klangvoll ein „Ehrenmitglied“ zu sein. Aber seit neuestem können alle bis zum 75. Geburtstag mitmachen. Und schon strömen die Sänger zurück, die vor kurzem noch mit 70 abgehen mussten.

 
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Diese Altersgrenze mit 70 war im Jahr 1976 beschlossen worden, um elegant solche Sänger verabschieden zu können, die nicht aufhören konnten, auch nicht mit 80 und 85 Jahren. Der damalige Kantor Roland Weiss winkt nur ab, wenn das Gespräch auf diese Probleme kommt. Ein zäher Fall ist ihm noch in düsterer Erinnerung, der damals mit ausschlaggebend war für die Einführung der Altersgrenze. Aber er schweigt: „Ich will mich zu dem Thema nicht äußern.“

"Man muss Mut haben"

Sein Nachfolger Jörg Fuhr kippte nun diese Grenze. „Man muss den Mut haben, was Altes umzuwerfen“, sagt er, „in der Kirche gibt es ja viel Altes.“ Im Chor sei schon länger drüber gesprochen worden. Es sei aber nicht so, wie Inge Kroder sagt – eine der jetzt mit Freuden zurückkehrenden Sängerinnen – , dass man auf 75 Jahre ging, um die Herren länger halten zu können. „Da tun wir uns mit dem Nachwuchs schwer, da hätte es einen rechten Männerschwund gegeben“, sagt sie. Nein, betont Jörg Fuhr, Nachwuchssorgen gibt es nicht. Die 75-Jahres-Grenze ist allein deshalb sinnvoll, weil die Senioren heutzutage fitter sind als noch vor 20 Jahren. „Die Lebenserwartung hat sich ja auch erhöht. Es war die Konsequenz, darüber nachzudenken.“

Aber sind auch die Stimmen mit 75 Jahren noch fit? Kommt es nicht zum Krächzen? Jörg Fuhr wischt das weg. Die Stimme ist nicht das Entscheidende. Die hält meistens durch. Es geht um die körperliche Kondition. Denn die 70 Sänger der Kantorei müssen erstens „aufs Podest raufkommen und auch wieder runter“, und zweitens stundenlang stehen können. So ein Dvorak-Konzert bietet ihnen nämlich keine Chance zum Sitzen. Rheinberger auch nicht. Und das neueste Werk, das für Ostern geplant ist, fordert 80 Minuten Stehvermögen. „Das muss ein Sänger durchhalten, genauso in den Hauptproben davor.“

Gerne dabei

Jetzt ist es interessant, dass die Damen und Herren der Kantorei trotz dieses Stresses so unendlich gern dabei sind. Sie lieben die Montagsproben von 20 bis 21.30 Uhr. „Da sehen Sie mal, ein gutes Zeichen“, sagt Fuhr. „Und es kann sogar sein, dass einer von ihnen in jungen Jahren dieser Grenze von 70 Jahren zugestimmt hat, aber nicht damit gerechnet hat, dass er mal in 50 Jahren selber davon betroffen ist.“ Generell sei diese Grenze gar nicht schlecht. „Sie bietet eine bessere Situation, als jemandem sagen zu müssen: Du kannst nicht mehr singen.“

Betroffen von dieser Altersgrenze war Apothekerin Inge Kroder, ein Urgestein des Chors. Sie musste vor zwei Jahren gehen. War sie traurig? „Ja. Ich hab das sehr vermisst.“ Jetzt kehrt sie für die nächsten drei Jahre beglückt zurück. „Ich genieße es noch einmal, ich bin wieder richtig daheim.“ Jörg Fuhr drückte ihr auch gleich die Noten in die Hand für „Gethsemane und Golgatha“, das Osterkonzert von Friedrich Schneider (1786-1853). Denn Inge Kroder begleitete über Jahrzehnte alle Proben am Cembalo. „Das mach ich jetzt wieder.“

Auch anspruchsvoll

Aber wie viele Ex-Kantoreisänger war sie mit ihrem Ausscheiden woandershin ausgewichen, in ihrem Fall zum Chor „Lingua Musica“. Sie bleibt dort auch. „Jetzt bin ich halt in zwei Chören.“ Dort sei es genauso anspruchsvoll, zum Beispiel bei der „Krönungsmesse“. Momentan wird für „Jesus Christ Superstar“ geprobt. „Für mich eine neue Erfahrung, mal was Modernes.“

Eine Rückkehrerin in die Kantorei ist auch Ulrike Ziegler. Sie sang 42 Jahre mit, dann kam ihr 70. Geburtstag. Mit dem Ausscheiden wandte sie sich dem St.-Thomas-Chor in Trockau zu. „Ich bin dort sehr freundlich aufgenommen worden, es macht viel Spaß.“ Das klassische Repertoire ähnelte dem der Kantorei. Sie war mit diesem Chor schon in Assisi und sang beim Jubiläumskonzert. Gerade wird das Requiem von Mozart geübt, das Ulrike Ziegler schon oft in der Kantorei gesungen hat. Trotzdem schloss sie sich sofort wieder der Kantorei an, parallel: „Ich will das zweigleisig machen. Ich versuch’ s. Mal sehen, ob es klappt – von der Zeit her und vom Stehvermögen. Man muss ja lange stehen können.“

Lohnt sich nicht mehr

Ein früherer Kantoreisänger, der trotz der neuen 75er-Grenze seinem alten Chor fern bleibt, ist Heinz Roth. Er wird im nächsten Jahr 75, sagt er, da lohnt es sich nicht mehr. Zudem kam er inzwischen beim Gospelchor der St.-Bartl-Singers unter, wo es ihm sehr gut gefällt. Und mit zwei Chören will er nicht proben – „ich hab ja auch noch was anderes vor“.

Heinz Roth mutmaßt, dass Chöre wie die Kantorei in Zukunft ihre Probleme haben, weil es weniger Kinder gibt und diese Kinder von Jugend an andere Interessen haben. Aber Jörg Fuhr spürt noch nichts davon. „Wir sind immer offen für neue Leute, und es kommen regelmäßig neue.“ Keiner muss bei ihm vorsingen, wie es in den Kantoreien der Großstädte üblich ist. Schnellentschlossenen empfiehlt er eine sofortige Anmeldung, weil sie dann gleich beim Gethsemane-Oratorium dabei sind. „Das ist ein Stück, das wahrscheinlich keiner kennt. Friedrich Schneider war weit nach Bach der Thomaskontor in Leipzig und später Kapellmeister in Dessau. In der Zeit hat er es geschrieben.“ Schneider war ein umtriebiger Tausendsassa, sogar in New York bekannt – der „Händel seiner Zeit“.

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