Drei Fans und ihre Suche nach EM-Flair

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Außerirdische? Nein, Fans im Trikot. In Annecy ist das eine Seltenheit, wie (von links) Stephan Dirks, Gerd Ziegler und Olaf Zahn berichten. Foto: privat Foto: red

Sie waren ausgezogen, um ein neues Sommermärchen aufzuspüren. Zurückgekommen sind Gerd Ziegler, Olaf Zahn und Stephan Dirks mit bleibenden Eindrücken und der Gewissheit, noch einmal in dieses faszinierende Land zurückzukehren. Aber dieses Sommermärchen? Diese Euphorie, diese Mischung aus Gastfreundschaft, Fröhlichkeit und Bescheidenheit, die Deutschland vor zehn Jahren ein noch immer anhaltendes Sympathiehoch bescherte – in Frankreich haben sie vergeblich danach gesucht.

 
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Was nach ihrer Rückkehr übrigblieb, war die Erkenntnis: Mit Fußball im Allgemeinen und der Europameisterschaft im Speziellen haben die Franzosen augenscheinlich so viel zu tun wie Wattwandern mit dem Röhrensee.

„Das war schon ein bisschen enttäuschend. Dass EM war, hat man kaum gemerkt. Bei uns ist da aktuell wesentlich mehr los“, zieht Gerd Ziegler ein doch etwas ernüchterndes Fazit seines Trips ins Nachbarland. Der 49-jährige Nemmersdorfer hatte sich zum EM-Start in sein Wohnmobil gesetzt, seine beiden Freunde in Aschaffenburg eingeladen und war über die Schweiz gen Frankreich gefahren – mit dem Ziel: „EM-Atmosphäre aufsaugen.“ Aber eben nicht in großen Städten, nicht in Stadien, sondern draußen auf dem Land, in Dörfern, Kleinstädten, abseits des Fußballtourismus. Das fußballbegeisterte Trio wollte emotional anknüpfen an das deutsche Sommermärchen 2006.

Erinnerungen an das deutsche Sommermärchen 2006

Damals waren sie auch losgefahren, kreuz und quer durch Deutschland. „Das war so überragend“, schwärmt Gerd Ziegler. „Was wir da für Leute kennengelernt haben. Alle fröhlich, offen. Überall war die Hölle los.“ Er erinnert sich an einen kleinen Campingplatz im Ruhrgebiet, auf dem sämtliche Nationalitäten vertreten waren. „Wir sind sofort ins Gespräch gekommen, wir haben zusammen gefeiert – es war überragend.“

Mit der Erwartungshaltung, das auch in Frankreich erleben zu dürfen, sind sie einen Tag vor dem Eröffnungsspiel über die Grenze gefahren. Erste Station: Annecy, die Bayreuther Partnerstadt. Aber schon hier die erste Ernüchterung: „Eine unglaublich schöne Stadt, aber keine Fahnen, keine EM-Symbole, geschweige denn Menschen in Trikots oder mit Schminke im Gesicht“, sagt der 38-jährige Stephan Dirks. „Als wir drei mit unseren Trikots durch die Stadt gelaufen sind, haben uns die Leute angeschaut wie Außerirdische.“

Tote Hose in Annecys Kneipen

Selbst am Tag des Eröffnungsspiels, als Frankreich Rumänien besiegte, änderte sich am Stimmungsbild nur wenig. „Ziemlich tote Hose, kein Public Viewing, in den Kneipen kaum Leute beim Fußball schauen. Eine Bedienung im Frankreich-Trikot war schon das höchste der Gefühle“, sagt Gerd Ziegler. Woran das wohl liegt? „Fußball hat dort wohl einfach nicht den Stellenwert wie bei uns“, sagt der Nemmersdorfer.

In der Tat deckt sich Gerd Zieglers Vermutung mit dem Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts BVA. Auf die Frage „Welchen Mannschaftssport lieben Sie?“ sprachen sich 39 Prozent der Befragten für Rugby aus, nur 29 Prozent für Fußball, 23 Prozent für Handball. Ganz zu schweigen vom Radsport. „Die Tour de France versetzt das Land alljährlich in Ausnahmezustand“, sagt Olaf Zahn.

Der 50-jährige Polizist aus Goldmühl, der jetzt in Unterfranken lebt und arbeitet, war schon oft in Frankreich, war nun aber selbst überrascht davon, wie groß das Desinteresse der Franzosen an der EM abseits der Spielstätten ist. „Im Vergleich zur Tour ist die Stimmung echt Kindergeburtstag.“

Franzosen mit verquerem Verhältnis zur Nationalmannschaft

Vielleicht liegt die vornehme Zurückhaltung der Franzosen auch an deren verquerem Verhältnis zur Nationalmannschaft. „Bei uns wird zwar auch diskutiert und kritisiert, aber letztlich steht doch das ganze Land hinter unserer Nationalmannschaft. In Frankreich, so mein Eindruck, ist das nicht so“, vermutet Gerd Ziegler. Die jüngsten Rassismus-Vorwürfe an die Adresse von Nationaltrainer Didier Deschamps, die Erpressungsaffäre um die Nationalspieler Karim Benzema und Mathieu Valbuena, aber auch die Erinnerung an die Spielerrevolte bei der Weltmeisterschaft in Südafrika haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die französische Nationalmannschaft ihre identitätsstiftende Wirkung verloren hat.

Die drei Fußballfans sind dann übrigens weitergefahren in Richtung Provence. Auf einem Campingplatz nahe der Schlucht von Verdon haben sie ihr Quartier aufgeschlagen. „Das war überragend, landschaftlich ein Traum“, erinnert sich Gerd Ziegler. Aber auch hier nur rudimentäre EM-Stimmung. „Das Deutschlandspiel gegen die Ukraine haben wir zusammen mit ein paar anderen deutschen Fans geschaut. War ganz okay.“

Ihre große EM-Erweckung hatten sie aber dann doch noch. Allerdings erst nachdem sie die Grenze längst wieder passiert hatten. Gerd Ziegler: „In Niedernberg bei Aschaffenburg haben wir uns das zweite Deutschlandspiel angeschaut – in einer Kneipe mit rund 150 deutschen Fans. Überragend. Geile Stimmung. So muss das sein.“

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