Die Musik der Apokalypse

Von Frank Piontek
Beeindruckend: Daniel Grimwood (Klavier), Sarah Oliver (Cello), Christoph Windisch (Klarinette), Nazrin Rashidova (Violine) bei Steingraeber. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Eine eigenartige Entstehungsgeschichte, ein einzigartiges Publikum bei der Uraufführung - Messieaens "Quartett auf das Ende der Zeiten" ist ein Stück Jahrhundertmusik. Bei Steingraeber war es nun zu hören. Mit eindrucksvoller Wirkung.

 
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Später, sehr viel später, erinnerte sich der Komponist ganz genau an diese eine Premiere: „Die Uraufführung fand in Görlitz, Schlesien, bei bitterer Kälte statt. Das Stalag war unter einer tiefen Schneedecke versunken. Die vier Interpreten spielten auf kaputten Instrumenten. Das Violoncello von Etienne Pasquier hatte nur drei Saiten und die Tasten meines Pianinos blieben stecken. Die Zuhörerschaft setzte sich aus allen sozialen Schichten zusammen: Priester, Ärzte, Kleinbürger, Berufssoldaten, Arbeiter und Bauern.“ Messiaen saß bei der Uraufführung am Klavier. Und der Violoncellist ergänzte das Bild: „Baracke 27B, unser Theater… draußen die Nacht, der Schnee und das Elend… hier, ein Wunder, das ’Quartett für das Ende der Zeit’ trägt uns in ein herrliches Paradies, hebt uns aus dieser entsetzlichen Welt.“

Wahrhaft außergewöhnliche Bedingungen

Unter wahrhaft außergewöhnlichen Bedingungen fand, vor angeblich 5000 Zuhörern, die Uraufführung von Olivier Messiaens komplettem „Quatuor pour la fin du temps“, einer absoluten Jahrhundertmusik, statt, nachdem in der Waschküche des Lagers bereits das Trio vor 400 Gefangenen gebracht worden war. Auf dem Programmzettel des vom Kulturamt der Stadt Schwabach veranstalteten Konzerts steht zwar bei Steingraeber das unbekannte Wort „Quartour“, aber die Stimmung im Kammermusiksaal dürfte – bei aller Abwesenheit von Elend und Kälte – vergleichbar gewesen sein: eine Stimmung der Spannung und der Konzentration.

Musik der Apokalypse

Messiaens achtsätziges, kontrastreiches Stück, in dem das graziöse Zwischenspiel einen betörend „weltlichen“ Akzent zu den metaphysische Gefühle provozierenden Sätzen setzt, wird von Daniel Grimwood (Klavier), der Geigerin Nazrin Rashidova, Sarah Oliver (Violoncello) und dem Klarinettisten Christoph Windisch nämlich delikat gebracht. Nicht nur der „Lobpreis der Ewigkeit Jesu“, der vom Violoncello über den ruhigen Klavier-Vierteln vibrierend gesungen wird, wird der aufs Innigste zielenden Glaubenskomposition des Katholiken Messiaen gerecht, als leuchtete da für einige selige Momente ein Gral auf: in den dunkelleuchtenden Farben und Farbakkorden, die der Synästhesist Messiaen so liebte. Die vier Musiker sind eingeschworene Ensemblespieler, sie bringen das Unisono-Gewitter des „Tanz des Zorns für die sieben Gewitter“ so lupensicher wie der Klarinettist sein Solo im „Abgrund der Vögel“ anstimmt: dunkel und einsam, versonnen und ein wenig wie der Hirte, der zu Beginn des dritten „Tristan“-Akts seine melancholische Weise anstimmt. Apokalyptische Musik eben, Musik der Sinnesöffnung…

Neue Klanglichkeit

Was ihr voranstand, war dem Messiaen würdig: Ernest Blochs „From Jewish life“ und Bartóks „Kontraste“, zweimal drei Sätze für Klavier und Violoncello und für Klavier, Violine und Klarinette. Blochs Zartheiten, die er in seinen elegischen, nach Dur tendierenden Sätzen 1924 dem Judentum abgewann, harmonieren gut mit Messiaens Innerlichkeiten, und Bartóks Extasen und Klangflächen, zumal im langsamen Satz (die vom Ensemble in Spannung gehalten werden), zeigen, dass die beiden großen Musiker Zeitgenossen einer neuen Klanglichkeit waren. Schon hier war das Publikum begeistert. Ganz ohne Schnee und Elend, gesegnet mit dem Bewusstsein, im tiefsten Sinne bedeutender Musik einer vollkommenen Interpretationen zu lauschen.

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