Thema aktueller denn je
Dann hatte Christl Schemm das Wort, und zwar das „nordbairische“: Als lebenslange Dialektsprecherin („Dialektsprechen hat noch nie jemandem geschadet!“) habe sie sofort Ja gesagt, als sie um die Übertragung ins „Sechsämterische“ gebeten worden sei. Zumal das Thema Flucht und Vertreibung aktueller sei denn je. Und so brachte Schemm die jüdische Familie Jesuran den Zuhörern so nahe, als seien sie tatsächlich unsere Nachbarn gewesen: „Söllt ma uns am End a Mietshaus kaafm?“, fragt Joseph seine Frau Bella, als sie sich mit ihrer Textilmanufaktur in Nürnberg etabliert haben und Platz für die wachsende Familie brauchen. Das geräumige Gebäude in der Volprechtstraße wird ihr neues Zuhause: „Daou, Kinner, werma öitz wohna!“ Die Freude währt allerdings nicht lange: Von Tag zu Tag werden die Nazis stärker, hetzen erfolgreich vor allem gegen jüdische Geschäftsleute. Als am Eingang zum Park das Schild „Betreten für Hunde und Juden verboten“ auftaucht, wird den Jesurans schmerzhaft klar, dass sie in Gefahr sind. „Mir sölltn furtgäih und as Haus vakaafn!“ Weit unter Wert muss Joseph das 1933 tun, reist zunächst alleine nach Belgien und bereitet in Brüssel alles für die Ankunft seiner Familie vor. Tatsächlich gelingt Bella mit den drei Söhnen, der kleinste von ihnen ist erst ein Jahr alt, später der Grenzübertritt. „Daou sets ja! Ich bin oich erleichtert!“ – „Und ich äijerscht!“ Obwohl Palästina, die nächste Etappe der Flucht, ein sicherer Aufenthaltsort wäre, wird Joseph dort durch die schwere Arbeit – er hilft bei der Trockenlegung von Sümpfen – so krank, dass die Familie nach Belgien zurückkehrt, wo die Nazis mittlerweile ebenfalls die Macht übernommen haben. Eine alte Frau versteckt die Jesurans in ihrem Erdkeller, wohl wissend, dass sie sich damit selbst großer Gefahr aussetzt. Während Sohn Julius sich bei der Sammelstelle für Juden meldet, um damit von der Familie abzulenken, und der Kleinste, Simon, unter falschem Namen in einem Internat versteckt wird, tritt der mittlere Sohn Ismar der belgischen Résistance bei. Er erfährt es als Erster: „Die Allierten hom Frankreich befreit. Die Truppn, waou in Frankreich glandt sen, kumma aaf Belgien zou. Die Engländer stenga vor da Tür!“ Die Familie Jesuran hat den Nazi-Terror überlebt, alle, bis auf Julius: Er starb in Auschwitz.