Das Leben der Gefreeser vor 500 Jahren

Von Andreas Gewinner
Monumentalwerk: Mehr als 400 kopierte Seiten mit 500 Jahre alter Handschrift hat Markus Thoma – hier vor seinem Haus an der einstigen Via Imperii – für sein neues Buch übertragen und ausgewertet.⋌⋌Foto: Andreas Gewinner Foto: red

Markus Thoma sitzt vor seinem alten Haus an der einstigen Via Imperii in Gefrees und hält sein neuestes Buch in den Händen. Es handelt weder von der Zeit, als die Via Imperii eine der wichtigsten europäischen Routen war, also dem Mittelalter. Noch von der Zeit als sein Haus gebaut wurde, vor 200 Jahren. Sondern von der Zeit vor fast 500 Jahren. Als alte Ordnungen zerbrachen. Einer unruhigen Zeit, in der Glaube und Macht wechselten, alte Gewissheiten zerbrachen und die Menschen sich mühten, zumindest im Alltag die Ordnung aufrecht zu erhalten.

 
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Thomas Quelle war eine Art Kassenbuch. Ein Werk, dem viele Informationen über das tägliche Leben der Menschen zu entnehmen war. Bis hin zu so erstaunlichen Informationen, dass damals jeder dritte Mann im Raum Gefrees den Vornamen Hans hatte. Doch zuvor musste sich Thoma durch mehr als 400 handgeschriebene Seiten mühen. Und dafür eine Handschrift entziffern, die mit der heutigen Schreibweise wenig gemein hat.

Alltag als Randnotiz

Im Staatsarchiv Bamberg liegt das Landbuch der Ämter Berneck, Gefrees und Goldkronach von 1536. Ein Lehensverzeichnis, man könnte sagen: das Kassenbuch des Landgrafen, in dem Abgaben und Einnahmen der Untertanen verzeichnet sind. „Eigentlich stinklangweilig, erst mal nur für Ahnenforscher interessant“, so Thomas zunächst verblüffendes Urteil. Doch buchstäblich am Rand der Seiten, in Randnotizen, hat der Schreiber Vorgänge teils detailliert beschrieben, die den Alltag schildern, „den Alltag der einfachen Leute, nicht des Adels“, betont Thoma.

Doch bevor sich der Autor vom Historischen Forum Gefrees in das Leben der einfachen Menschen vor fast 500 Jahren vertiefen konnte, war jede Menge Fleißarbeit angesagt. Vor genau 90 Jahren hatte sich schon mal jemand mit den mehr als 400 handgeschriebenen Seiten des Lehensbuches befasst und es in stark gekürzter Form neu aufgelegt. Für Thoma nicht gut genug. Er wollte das ganze Landbuch. Im Staatsarchiv liegt es in Microficheform vor. Das heißt, es war in miniaturisierter Form abfotografiert und kann an einem Lesegerät vergrößert gelesen und Seite für Seite ausgedruckt werden. „Wenn die gewusst hätten, dass wir über 500 Seiten kopiert haben wollten ...“, sagt Thoma über seinen Besuch in Bamberg. Denn außer dem Lehensbuch von Berneck, Gefrees und Goldkronach wollte er auch noch das etwas dünnere von Stein – machte zusammen über 500 Seiten.

Handschrift entschlüsselt

Doch dann begann erst die eigentliche Arbeit. Thoma arbeitete sich mühsam in die Handschrift ein, entzifferte sie und transkribierte den Text. Eine Schrift, die nur ganz entfernt an die heutige Schreibschrift erinnert. Vier Monate nahm allein diese Arbeit in Anspruch. Dafür enthält das Buch nun einen alphabetischen Schlüssel.

Der Lohn der Mühe war reich. Welche Tiere hielten die Menschen? In Ackermannshof gab es damals 700 Schafe. Die Probleme machten, weil sie alles in der Nachbarschaft zusammenfraßen. Wie viele Brauhäuser gab es? In Goldkronach allein fünf, so viele, dass das Holz nicht reichte. Wie viel steuerpflichtige Personen gab es? 520, von denen ein Drittel Hans hieß, die nächsthäufigen Vornamen waren Cunz (Konrad) und Heinz. Wie sahen die militärischen Reserven aus? 235 der 520 Steuerpflichtigen mussten im Ernstfall Kriegsdienst leisten, zwei Kanonen und sechs Rüstwägen waren im Arsenal.

Eine Gerichtsverhandlung war eine mit großem Ernst betriebene Veranstaltung und hatte viel Ähnlichkeit mit heutigen Verfahren, obwohl sie durchwegs von Laien abgehalten wurde. Unterlegene hatten die Möglichkeit, sich an höhere Instanzen zu wenden.

Doch weder niedrige noch hohe Instanzen halfen, wenn der Lehensherr den Frondienst einforderte. Das geschah oft ohne Rücksicht auf die Belange der einfachen Leute, die in dieser Zeit eigene Felder und Arbeit liegen lassen mussten.

Bisher unbekannte Siedlung

Auch bisher nicht Bekanntes konnte Thoma dem alten Landbuch entnehmen. Zum Beispiel, dass es 1536 bei Lützenreuth eine bisher unbekannte Wüstung (also eine aufgegebene Siedlung) namens Droschenreuth gegeben hat, die um 1500 verlassen worden war. Auch die Vielfalt der Währungen, die in und um Gefrees früher galten, war neu für Thoma: das Spektrum reichte von sächsischem bis Würzburger Geld. Markus Thoma ist überzeugt, dass auch ein Fachbuch heute nur noch sein Publikum findet, wenn auch Abbildungen darin sind. Zusätzlich hat sein neues Werk zahlreiche Karten und interessante Tabellen. Einer kann man zum Beispiel entnehmen, dass vor 500 Jahren Metzlersreuth größer war als Bischofsgrün. Auf den Karten sind unter anderem alle Mühlen vor einem halben Jahrtausend verzeichnet, alte Straßenverläufe oder die Grenzen der Herrschaftsgebiete im Mittelalter.

Auch ein Personenregister enthält das Buch – mit vielen auch heute noch in der Region verbreiteten Nachnamen. So taucht unter den gut 600 Personen allein zwölf Mal der Name Ruckdeschel in unterschiedlichen Schreibweisen auf. Flurnamen sind nach Orten untergliedert ebenfalls gezielt in dem Buch zu finden.

Info: „Das Landbuch der Ämter Berneck, Gefrees und Goldkronach von 1536“, DIN A 4, 280 Seiten, etwa 30 Bilder und Karten, 29,90 Euro. Erhältlich ab 29. September in Gefrees: Schreibwaren Müller, Raiffeisenbank, Sparkasse; in Bad Berneck: Schreibwaren Münch, Tourist Info; in Bischofsgrün: Tourist Info; in Goldkronach: Rathaus; Bayreuth: Markgrafenbuchhandlung.

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