Bundestagspräsident a.D. an der Universität: „Neue deutsche Mischung entsteht“ Bayreuth: Weihnachtsvorlesung von Wolfgang Thierse

Von Norbert Heimbeck
Wolfgang Thierse sieht die deutsche Einigung vor dem Hintergrund eines europäischen Prozesses. Foto: Peter Kolb Foto: red

„Die Nacht ist bald endgültig zu Ende“ – diese Hoffnung bekräftigte Wolfgang Thierse (SPD) bei der Weihnachtsvorlesung im Audimax der Universität Bayreuth. Der Bundestagspräsident a.D. sprach über 25 Jahre deutsche Einheit. Und richtet dabei den Blick nach vorn.

 
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Im Herbst des Jahres 2014 erinnern sich viele Menschen besonders intensiv an 1989: die Montagsdemos in Leipzig, die daraus folgende friedliche Revolution in der DDR, der Fall der Berliner Mauer, die Wiedervereinigung Deutschlands. Thierse bezeichnete diesen Umbruch als „historischen Glücksfall“, der gleichwohl auch „größere Erwartungen an Deutschland“ gebracht habe: „Wir müssen uns neu verständigen über die Grundlagen der deutschen Politik in einer sich ändernden Welt.“

Die Änderungen der vergangenen 25 Jahre zogen sich wie ein roter Faden durch Thierses Rede, die stark von persönlichen Erlebnissen durchsetzt war: „Mein Vater hat sein ganzes Leben lang keine freien Wahlen erlebt. Im Januar 1933 wurde er 21 Jahre alt, kurz bevor Hitler an die Macht kam.“ Solche Erlebnisse prägen die Menschen, prägen die Familien. Trotzdem haben sich viele Menschen in der DDR auch während der Jahre der Diktatur nicht entmutigen lassen. „Wir sollten uns daran erinnern, wie wenig selbstverständlich das ist, was wir in diesem Herbst gefeiert haben.“

Der Tag der Wiedervereinigung sei kein bloßes Geschenk gewesen, sagte Thierse, „er war hart errungen.“ Der Untergang der DDR sei die erste Revolution in Deutschland gewesen, die „in ganz Europa mit Sympathie begleitet“ wurde. Der Ruf der Montagsdemonstranten „Wir sind das Volk!“ sei Ausdruck des neu erwachten Selbstbewusstseins gewesen. Er, Thierse, sei verärgert, dass dieser Ruf, der sich gegen eine diktatorische Macht richtete, heute für ganz andere Zwecke missbraucht werde.

Die Geschichte der DDR sei Ausdruck enttäuschter Hoffnungen und Niederlagen gewesen. 1989 sei neue Hoffnung entstanden, der Zugewinn an Selbstvertrauen habe politische Energien freigesetzt. Das „atemberaubende Tempo des deutschen Einigungsprozesses“ sei vor der europäischer Perspektive zu sehen. Die deutsche Einigung wurde vollendet in dem Bestreben, einen Beitrag zur Einigung Europas zu leisten.

Der im Grundgesetz verankerte Auftrag, gleichwertige Lebensbedingungen in den Regionen herzustellen, sei schwieriger als erhofft und versprochen. Aber – und Thierse setzte es quasi als Schlusspunkt seines eindringlichen Vortrages – die Tatsache, dass in den vergangenen 25 Jahren vier Millionen Ostdeutsche in den Westen und 2,5 Millionen Westdeutsche in den Osten gezogen seien, zeige, dass hier eine „neue deutsche Mischung entsteht. Wir haben die Mauer nicht zu Fall gebracht, damit wir unter uns bleiben.“ Lang anhaltender Beifall.

Info: Die Weihnachtsvorlesung an der Universität Bayreuth ist öffentlich. Sie wird von Uni und Univrsitätsverein veranstaltet, Organisator ist Prof. Eckhard Nagel, geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Uni. In früheren Jahren waren beispsielsweise Joachim Gauck, Gerhard Schröder und Wolfgang Schäuble zu Gast. Das Kurier-Interview mit Wolfgang Thierse lesen Sie hier.

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