Der Anwalt der Familie des Opfers ist sich da nicht so sicher: „Ich frage mich, ob das Gleiche passiert wäre, wenn es der Täter mit einem Italiener oder einem Amerikaner zu tun gehabt hätte.“ Ob er in diesem Fall das Opfer wegen des „banalen Streits“ auch gleich getötet hätte.
Passanten filmen, statt zu helfen
Seitens der Politik ist die Ermordung des Straßenhändlers einhellig verurteilt worden. „Was in unserer Stadt passiert ist, ist eine beispiellose Gewalttat, die uns geschockt hat“, sagte der Bürgermeister von Civitanova Marche, Fabrizio Ciarapica, der einem Mitte-rechts-Gemeinderat vorsteht. Mehr als einen Tag dauerte es, bis Lega-Chef Salvini sich meldete: „So darf man nicht sterben. Ein Gebet für das Opfer und seine Familie. Für den Mörder die verdiente Strafe bis zum Ende“, twitterte er.
Die Chefin der postfaschistischen Fratelli, Giorgia Meloni, verurteilte die Tat ebenfalls, bezeichnete allerdings einen TV-Journalisten, der eine etwas raschere Distanzierung erwartet hätte, als „Schakal“. Meloni gilt als derzeit aussichtsreichste Kandidatin für die Nachfolge von Mario Draghi an der Regierungsspitze.
Conte entsetzt über Voyeurismus
Im Wahlkampfgetöse fast untergegangen ist die Untätigkeit der Passanten, die der Anwalt der Familie des Opfers als „schaudererregend“ bezeichnet. „Man muss sich schon fragen, wo diese schamlose Gleichgültigkeit herkommt: Es scheint, als gebe es in unserer Gesellschaft keinen Bürgersinn, kein Mitgefühl, keine Solidarität mehr.“ Und natürlich müsse man sich auch fragen, warum die Politik bei diesem allgemeinen Wegschauen ebenfalls wegschaut. Online kursierte ein Video, auf dem zu sehen war, wie der Angreifer sein Opfer am Boden liegend attackierte. Im Hintergrund sind Menschen zu hören, die „hör auf“ oder „rufe jemand doch die Polizei“ schreien.
Der einzige prominente italienische Politiker, der sich entsetzt über den Voyeurismus der Passanten zeigte, war der frühere Regierungschef und heutige Führer der Fünf-Sterne-Protestbewegung, Giuseppe Conte. „Was für eine Gesellschaft wollen wir den Jungen eigentlich hinterlassen?“, fragte der Ex-Premier. Der Angreifer ließ über seine Anwältin mitteilen, dass es ihm Leid tue. Laut „La Repubblica“ will die Anwältin ein Gutachten anfordern, weil ihr Mandant psychische Probleme haben soll.