Bestsellerautorin in Coburg „Eine Prise Pessimismus kann helfen“

Die Fragen stellte Benedikt Dellert, vhs
Politologin, Journalistin und Bestsellerautorin: Juliane Marie Schreiber. Foto: privat

Juliane Marie Schreiber rebelliert gegen den „Terror des Positiven“. Auf Einladung der VHS erklärt die Autorin in Coburg, warum zwanghaftes Glück und Selbstoptimierung nerven und die politischen Ursachen der Probleme nur kaschieren.

 
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Juliane Marie Schreibers neues Buch „Ich möchte lieber nicht“ ist ein Aufruf zum Widerstand gegen die Ideologie unserer Zeit: den Zwang des Glücks. Am 31. Januar kommt die Bestsellerautorin, Politologin und Journalistin nach Coburg und erklärt, warum uns positives Denken nicht weiter bringt und warum Social Media in ihren Augen ein Brandbeschleuniger ist.

Hallo Frau Schreiber, Ihr Buchtitel vermittelt den Eindruck, dass Sie nicht gerne glücklich sind?

Das ist natürlich nicht so, und darum geht es mir auch nicht. Im meinem Buch geht es vielmehr um einen neuen gesellschaftlichen Zwang, andauernd positiv sein zu müssen. Ratgeber, Coaches, Werbung und die Nachbarn fordern einen auf: Sei glücklich! Sei nicht so negativ! Sei die beste Version deines Selbst! Das nervt nicht nur viele Menschen, es hat auch eine gesellschaftliche Dimension, um die es im Buch geht: Wir verlagern zu vieles auf eine individuelle, psychologische Ebene. Als wäre alles nur eine Frage der vermeintlich „richtigen Perspektive“, oder eines richtigen „Mindsets“. Das sehe ich kritisch. Denn es führt dazu, dass wir Probleme zu oft psychologisch betrachten, die aber eigentlich gesellschaftlich oder politisch sind und auch so gelöst werden müssen. Viele Dinge in der Welt widerfahren uns völlig unabhängig von unserer inneren Einstellung.

Der Franke gilt als Pessimist und schimpft schon gerne einmal. Leben wir Franken damit besser als andere?

Tatsächlich gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass Schimpfen hilfreich ist, weil es wie ein natürliches Schmerzmittel wirkt. Man kann also ruhig mal vor sich hin schimpfen. In unserer optimierten Welt ist Schimpfen eines der letzten Tabus, dabei liegt darin eine eigene Kunst, man denke nur an Thomas Bernhard.

Im Buch geht es auch darum, dass Optimisten eher an der sogenannten „Optimismusverzerrung“ leiden und sich und ihre Umwelt öfter unrealistisch einschätzen. Eine kleine Prise Pessimismus kann helfen, seine Probleme kritischer und vor allem realistischer anzugehen. Demnach sind die Franken den anderen wohl ein Stück voraus.

In die Sozialen Netzwerken sieht man viele sehr glückliche Menschen, die freudig mit uns ihre Urlaubsvideos, Essensbilder und eigentlich immer nur glückliche Momente teilen. Was halten Sie von Social Media und von dem, was uns dort vermittelt wird?

Soziale Medien sind ein Brandbeschleuniger für eine Entwicklung, die ich „Glücksprestige“ nenne. Zum ersten Mal können wir unser Leben kuratieren und uns dort als außergewöhnlich glücklich darstellen, mit einem außergewöhnlichen Leben voller toller Momente. Denn: Glück ist zum Statussymbol geworden. Heute ist es nicht mehr nur Reichtum, der zum Gradmesser eines erfolgreichen Lebens geworden ist, sondern vor allem ein außergewöhnliches, aufregendes, besonderes Leben: Der tolle Urlaubsmoment, das perfekte Abendessen.

Das Problem dabei ist: Es verschiebt den Normalstandard für alle. Und dann gerät man leicht in einen Zwang, glücklich wirken zu müssen, eine Selbstverstärkungsspirale. Dieses „Kreisen ums Selbst“ ist eine schwierige Entwicklung, denn woher weiß man, ob man schon glücklich genug ist? Mein Buch sagt: Ich möchte nicht andauernd die beste Version meines Selbst sein. Ich möchte einfach nur hier sitzen.

Lesung am 31. Januar, 19 Uhr, Gemeindezentrum St. Augustin. Karten gibt es in der Buchhandlung Riemann, der Volkshochschule Coburg und www.vhs-coburg.de.as

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