Beim Kurier-Hate-Slam liest Ralf Heimann aus Lokaljournalismus-Satire Die fiesen Seiten des Lokaljournalismus

Von Florian Zinnecker

"Die tote Kuh kommt morgen rein“ – so heißt Ralf Heimanns Roman, der sich um Freuden und Leiden eines Lokalreporters auf dem Land dreht. Heimann ist einer von zwei Ehrengästen des diesjährigen Kurier-Hate-Slams, der am 4. Februar im Zentrum stattfindet. Was Heimann am Lokaljournalismus so sehr stört und warum er ihn trotzdem nicht loslässt, erklärt er im Interview.

 
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Kurier-Leser hatten bereits im vergangenen Jahr die Gelegenheit, einen kleinen Einblick in diesen Wahnsinn zu nehmen: Beim Festival „Leselust 2014“ lasen Redakteure bei einem Hate-Slam die fiesesten Leserbriefe und die merkwürdigsten eigenen Texte vor – mit so großem Zuspruch des Publikums, dass es auch dieses Jahr einen Hate-Slam gibt: am 4. Februar im Europasaal des Zentrums.

Die Ehrengäste des Abends: Der Journalist und Berater Christian Jakubetz – und Ralf Heimann, der aus der „toten Kuh“ vorlesen wird. Der Roman ist satirisch, Heimann musste für das Buch nicht übermäßig viel recherchieren: Bis 2014 arbeitete er als Redakteur der Münsterschen Zeitung – er kündigte wenige Wochen bevor die örtliche Konkurrenzzeitung „Westfälische Nachrichten“ den Titel übernahm und die Redaktion entließ. Davon handelt das Buch nicht. Sondern vom ganz normalen Wahnsinn in einer Lokalredaktion.

Vorab schildert Heimann, was ihn am Lokaljournalismus so sehr stört – und warum er ihn trotzdem nicht loslässt. Ein Gespräch unter Kollegen.

Ralf, wir duzen uns, denn wir sitzen ja auf derselben Seite des Schreibtischs. Deine erste öffentliche Kritik an den Zuständen im Lokaljournalismus passierte eher aus Versehen – wegen eines kaputten Blumenkübels. Was war da los?
Ralf Heimann: Das war im Sommer 2010. Mitten im Sommerloch ist in einer kleinen Stadt in der Nähe von Münster ein Blumenkübel zerstört worden, vor einem Altenheim. Weil nichts anderes los war, wurde eine Praktikantin geschickt, um darüber zu schreiben. Sie hat dann mit den Heimbewohnern gesprochen, wie man das eben so macht bei einer Lokalzeitung – und dann ist der Text erschienen, extrem dramatisch geschrieben, vielleicht mit ein bisschen zu wenig Distanz. Das hat dem Ereignis eine viel zu große Form gegeben – es war wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt. Der Text stand auch im Internet, ich habe den Link getwittert, einige Leute haben das verbreitet, und dann ist es durchs Internet gegangen. Wahrscheinlich hat das auch deshalb einen Nerv getroffen, weil am Wochenende vorher die Loveparade-Katastrophe in Duisburg passiert war – mit vielen sehr großen Schlagzeilen. Der Blumenkübel war das genaue Gegenteil.

Was kann man von diesem Blumenkübel über den Lokaljournalismus lernen?
Heimann: Ich hatte damit gerechnet, dass sofort eine Diskussion beginnt über den Zustand des Lokaljournalismus. Aber die Meldung ist einfach nur belächelt worden, so, wie man vielleicht auch einen netten Opi belächelt. Natürlich sind an diesem Fall gleich mehrere Dinge charakteristisch. Was in diesem Dorf passiert ist, wurde besser dargestellt, als es war. Oder eher: dramatischer. Dahinter stecken gute Absichten, aber für Außenstehende wirkt das eben auch ein bisschen lächerlich. Das kennt man ja aus vielen Veranstaltungsteilen: „Der Saal platzte aus allen Nähten“, „Die Leute tanzten auf den Tischen“ – und in Wirklichkeit saßen da einfach ein paar Leute und haben sich gelangweilt. Diese Langeweile, die da vielleicht herrscht, wird nicht beschrieben. Sondern beschönigt.

Du führst einen Blog – unter der Adresse operation-harakiri.de. Dort schreibst du über die Gründe deines Abschieds aus der Redaktion. Und beklagst auch die übertriebene Begeisterung vieler Texte.
Heimann: Ja, das kennt man ja auch aus dem Veranstaltungsteil. Da steht dann bei jedem Konzert, dieser und jener Sänger begeisterte in der Stadthalle. Alles begeistert irgendwie. Und dahinter steht auch wieder ein anderes Problem: Viele Lokalzeitungen werden von freien Mitarbeitern gefüllt, vor allem an Wochenenden. Da schreiben dann manchmal auch Leute, die nicht viel Hintergrundwissen haben und auch nicht damit vertraut sind, wie man über Veranstaltungen berichtet. Um etwas zu kritisieren, braucht man schon ein bisschen Ahnung. Es ist viel leichter zu schreiben, dass alles toll ist. Da wird einem nachher auch keiner auf die Füße treten. Und deshalb passiert das so oft. Das Problem besteht auch in anderen Teilen der Zeitung: dass vieles beschönigt wird. Wenn man sich intensiv mit einem Thema beschäftigen möchte, dann braucht das Zeit. Zeit ist nicht da. Vieles muss schnell gemacht werden, und dann ist die sicherste Variante, einfach irgendwas zu schreiben, womit man nicht aneckt. Das passiert dann.

Warum hast du gekündigt?
Heimann: Zum einen, weil sich doch abzeichnete, dass diese Lokalredaktion keine allzu große Zukunft mehr haben würde. Aber nicht nur deshalb. In einer Lokalredaktion hängt man in sehr vielen Zwängen und Denkweisen fest, auf die ich keine Lust mehr hatte.

Zum Beispiel?
Heimann: In der Zeitung dreht sich alles um die Zeitung. Wenn man heute die Nachrichtenlage im Blick behalten will, muss man sehr viele Medien anschauen – auch Facebook und Twitter. Aber trotzdem ist es in der Lokalredaktion so: Eine Nachricht konnte längst im Radio laufen oder im Internet zu lesen sein – aber solange es noch nicht in der anderen Zeitung vor Ort stand, war die Welt noch in Ordnung. Wenn die Konkurrenz noch keinen Wind davon bekommen hat, ist es neu. Es ist nicht so, dass alle meine Kollegen so gedacht hätten. Aber man wird dieses Denken nur schwer los. Und dann sind wir wieder beim Blumenkübel-Phänomen: Im Sommer ist nicht viel los, aber man kann ja nicht einfach sagen, wir schreiben jetzt mal nur einen Artikel. Obwohl das vernünftig wäre. Sondern man hat trotzdem sieben Seiten, die man vollmachen muss. Und dann steht vielleicht auf einer Seite noch interessanter Kram, und auf den anderen sechs Seiten nur Schrott.

Ähm. Nicht alle Zeitungen geben sich damit zufrieden.
Heimann: Ich freue mich immer wieder, wenn ich im Internet sehe, was für gute Sachen manche Lokalzeitungen machen. Bei vielen Zeitungen herrscht aber auch immer noch der Glaube, dass nicht weniger mehr ist, sondern mehr mehr. Wenn man feststellt, die Leute lesen keine Zeitung mehr, dann beschließt man in vielen Redaktionen: Gut, machen wir halt doppelt so viele Seiten. Um den Leuten mehr zu bieten. Ich glaube, eine Lokalzeitung sollte das besser nicht machen. Dazu kommt: Viele Zeitungen sind erpressbar, und manche Zeitungen lassen sich von ihren Lesern erpressen. Eigentlich müsste man ihnen klar machen, dass Erpressen nichts bringt. Aber das passiert zu selten. Und wenn dann die Drohung kommt, dass ein ganzer Verein wegen eines Berichts die Zeitung abbestellt, dann sagt man: Moment, Moment, dann kommen wir nochmal vorbei und machen die Geschichte aus Ihrer Sicht. Damit kann man zwar ein paar Abos retten, aber auf lange Sicht langweilt man damit seine Leser fürchterlich. Daher ist das keine langfristige Strategie.

INFO: Der Kurier-Hate-Slam „Best of Kurier-Leser“ findet am 4. Februar im Zentrum statt. Karten sind im Vorverkauf an der Theaterkasse, in der Kurier-Geschäftsstelle und unter www.leselust-bayreuth.de erhältlich. Hier sehen Sie das Kurier-TV-Video aus dem Jahr 2014:

Und wer die ganze knapp zweistündige Veranstaltung, bei der auch Stadtschreiber a.D. Volker Strübing mit auf der Bühne stand, noch einmal erleben will - hier der komplette Abend im Film:

Bilder