„Denkmäler, Gedenkstätten, Museen, Gedenktage und Gedenkfeiern sind beständige Elemente der sogenannten Holocaust-Erinnerungskultur in Deutschland.“ International werde dies als vorbildhaft angesehen. Aber in Deutschland selbst werde über Widersprüche und Leerstellen der Erinnerungskultur diskutiert. „Dabei rücken Fragen der historischer Schuld und Verantwortung der dritten und vierten Generation nach dem Holocaust sowie der nationalen Identitätsbildung in einer demografisch sich durch Migration stark transformierenden Gesellschaft in den Vordergrund“, sagte Baer.
Holocaust und Kolonialgeschichte
In Deutschland drehe sich die Debatte verstärkt um die eigene Kolonialgeschichte. Zum Beispiel um den Genozid der deutschen Militärs an den Nama und Herrero in Deutsch-Westafrika, heute Namibia. Ein europäischer Herrschaftsstil sei importiert worden, der die ursprünglichen Bewohner durch Siedler ersetzte. Gleiches könnte Israel vorgehalten werden, das zugleich eine Sicherheitsgarantie für Juden abgibt, die ihnen in Europa genommen worden sei. Eine andere Erinnerungskultur macht Baer in Osteuropa aus. Hier konkurriere das Holocaust-Gedenken mit der Erinnerung an die stalinistischen Verbrechen des Kommunismus.
Ukraine-Krieg fordere ein Umdenken
Der Ukraine-Krieg habe neue Bewegung in die Debatte gebracht. Da die Erinnerung an den Holocaust von ukrainischer Seite mit dem Kampf gegen den Nazifaschismus auf europäischem Boden verbunden werde. Das Lied „Bella Ciao“, das populäre italienische Volkslied und Hymne des antifaschistischen Widerstands, werde gegen den russischen Aggressor angestimmt. Sowohl russische als auch ukrainische Kämpfer verwendeten den Slogan der belagerten Spanische Republik „No Pasarán“
Daher sei die öffentliche Erinnerung neu zu überdenken. „Gedenken kann handeln ersetzen, anstatt es anzuregen, es kann von der Vergangenheit distanzieren anstatt ihre Unmittelbarkeit zu bewahren.“ Der Ukraine-Krieg zwinge dazu, das „Nie wieder!“ auf die Gegenwart zu beziehen. Daher werde sich zeigen, ob die Demokratien widerstandsfähig und wehrhaft gegenüber präsenten Bedrohungen bleiben. „Wie wir gemeinsam, und nicht gegeneinander oder aneinander vorbei, erinnern, wird in dieser Frage zentral sein.“