Der durchgeknallte Diktator Erstklassig: George Taboris „Mein Kampf“ in der Studiobühne

BAYREUTH. Es ist sicher George Taboris erfolgreichstes Stück. Noch 23 Jahre nach der Wiener Uraufführung wird es gespielt, was für ein „neueres“ Stück keine Selbstverständlichkeit ist – und noch immer entfaltet der Text seinen grotesken wie bewegenden Zauber. Er entfaltet diesen aber nur, wenn Schauspieler, wahre Schauspieler, wie Wolfram Ster auf der Bühne stehen. Und w...

 
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Er entfaltet diesen aber nur, wenn Schauspieler, wahre Schauspieler, wie Wolfram Ster auf der Bühne stehen. Und wenn ein Regisseur diese Schauspieler klug über die Bühne führt.

Sogar in Bayreuth war „Mein Kampf“ schon einmal zu sehen, in den frühen 90ern, als Peer Schüssler und Peter Kampschulte dieses seltsame, ewige, unvergessliche Pärchen spielten: Schlomo Herzl und Adolf Hitler. Nun haben sie unter der Regie von Marcus Leclaire endlich Station gemacht in der Studiobühne, der jüdische, sozial unterprivilegierte Intellektuelle und der verkrampfte, asoziale Aufsteiger. Sie sind angekommen – auch beim Publikum, das am Dienstagabend bei der Premiere der zweieinhalbstündigen Farce mit größter Spannung, mit Spaß an den jüdischen Witzen wie am jüdischen Witz des großen George Tabori zuschaute.

„Mein Kampf“ – nein, damit ist nicht Hitlers „Kampf“ gemeint. „Es ist unser Kampf, nicht ,der‘ Kampf“, sagte der Autor, der die Nazizeit und die Vernichtungspolitik in den USA überlebte. Schlomo und Hitler leben, wir schreiben finsterste Vorkriegszeit, im Keller eines gleichsam historisch rekonstruierten Wiener Männerwohnheims, aber „Mein Kampf“ ist kein historisches Drama über die Frühzeit des Adolf H.

Tabori nannte sein Stück eine Farce, der Abend ist in der Tat sehr komisch – und sehr grausam und denn doch sehr ernst. Er konfrontierte die zwei Figuren, um die Katastrophe und die Komik sich paaren zu lassen. Was herauskam, war ein Stück für Schauspieler, die die Parabel über die Liebe und den Hass auch in Bayreuth mit der Liebe zur gewiss nicht einfachen Sache erstklassig spielen. Allen voran natürlich Wolfram Ster, in Bayreuth wohl die Idealbesetzung für Schlomo Herzl, den Buchhändler und Lügner, den Davongekommenen und „In-dieTod-Schauenden“, den traurigen Märchenerzähler und heiteren Menschenliebhaber. Schon Sters Stimme, dieses nachlässig schwebende, dieses gespannt singende Organ, ist eine wahre akustische Freude. Physiognomisch schenkt er uns alles, ohne zu übertreiben. Stimmt: der „Kampf“ spielt sich auch auf seinem Gesicht ab. Wie nennt man das? „Subtil.“

Mehr als eine Karikatur

Glücklicherweise hat er einen Gegenpart, der Frank Kolb die Chance gibt, in einer reich instrumentierten, wenn auch meist karikaturistischen Hauptrolle zu agieren. Vom hoffnungsvollen, aber schon hybriden „Kunstjünger“ zum durchgeknallten Diktator: Kolb erspielt sich die Sympathien des Publikums, aber im Sinne des „You love to hate him“. Trotzdem: Auch dieser Hitler ist am Ende mehr als eine Karikatur, denn das Stück düstert sich am Ende denn doch merklich ein, wenn selbst Herzls Herzschatz, das „unschuldige“ Gretchen (Gretchen! „Die letzte Jungfrau über 14 in Wien, sozusagen ein Wesen zwischen den Arten, ohne die evolutionäre Kluft zwischen dem Frosch und dem Homo sapiens“), wenn also selbst Gretchen sich zu preisverdächtigen siebenbürgischen Schimpfwörtern – und das ist nicht das Schlimmste – hinreißen lässt. Lara Marlou-Metzlaff macht das wirklich gut; auch hier merkt der Hörer, dass viel über die Stimme und ihren Ausdruck geht, die man nicht anders denn als „rein“ bezeichnen kann.

Schlomo hat einen Freund, er heißt Lobkowitz und ist gleichfalls durchgeknallt, gleichfalls auf jüdischste Weise witzig. Horst Möller macht das sehr, sehr trocken, also komisch, und schließlich wäre ein Stück über Hitler und unsere „Kämpfe“ unvollständig ohne den Tod, der hier die Tod ist. Beate Sturm spielt sie wie eine elegante Dame der Jahrhundertwende, vornehm und weise. Wer Annie Lennox’ Weihnachtsvideo „God Rest Ye Merry Gentlemen“ kennt, könnte sich ein bisschen an sie erinnert fühlen. Bleibt noch Himmlischer, der fürchterliche Hühnerbrater: Frank Ammon gibt ihn eher unauffällig, was vielleicht auch daran liegt, dass er Mizzi, das Huhn (gespielt von Mizzi, dem ausgestopften Huhn), nicht live brät, nur verbal.

Völlig egal – denn die Studiobühne hat mit diesem erstklassigen, komischen wie intelligenten Stück der Theatermoderne eine ebenso erstklassige Inszenierung herausgebracht, die permanent ausverkauft sein sollte.

INFO  Nächste Vorstellungen am 28. und 30. Dezember.

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