Beratungsstelle Oberfranken: Zahl der Neuinfektionen stabilisiert sich auf hohem Niveau Aids: Wenn die Zeitbombe im Körper tickt

Peter Rauscher
 Foto: red

BAYREUTH/BAMBERG. In Oberfranken können sich HIV-Infizierte und Ratsuchende an die Aids-Beratungsstelle der Diakonie in Bayreuth und Bamberg wenden. Peter Rauscher sprach mit dem Leiter Hermann Schuster.

 
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Frage: Gibt es mehr oder weniger HIV-Infizierte als früher?Hermann Schuster: Nach meinem Eindruck ist zumindest die Zunahme gestoppt. Wir haben in Oberfranken im vergangenen Jahr 86 HIV-Positive betreut, in den Jahren davor waren es auch schon mal mehr als 90. Bundesweit gibt es eine Stabilisierung auf hohem Niveau. Das Robert-Koch-Institut erwartet für das laufende Jahr 2700 Neuinfektionen, in den Vorjahren waren es jeweils rund 3000.

Frage: Ist das Thema Aids heute noch im Bewusstsein der Menschen?Schuster: Aids wird tatsächlich nicht mehr so stark als Bedrohung wahrgenommen. Wenn HIV-Infektionen rechtzeitig erkannt werden, gibt es die Chance, dass sie verläuft wie eine chronische Erkrankung. Die Infektion ist behandelbar, aber die Ursache ist nicht heilbar. Große Sorge bereitet uns die hohe Dunkelziffer. Vermutlich wissen 14 000 Menschen in Deutschland gar nicht, dass sie sich schon angesteckt haben. Manche erfahren es erst, wenn sie an Aids erkranken. Dann ist wertvolle Zeit verstrichen.

Frage: Wann wird aus einer HIV-Infektion eine Aids-Erkrankung?Schuster: Wenn die Helferzellen im Blut einen bestimmten Grenzwert unterschreiten und gleichzeitig eine spezielle Art von Lungenentzündung auftritt zum Beispiel. Allerdings ist die Grenze heutzutage nicht mehr so leicht zu ziehen wie früher. Bei erfolgreicher Behandlung kann sich der Verlauf von Erkrankungen oder können sich Laborwerte wieder so weit verbessern, dass man nach früheren Maßstäben gar nicht mehr von Aids sprechen würde.

Frage: Wann würden Sie zu einem Aidstest raten?Schuster: Ich würde bei Vorliegen eines konkreten Risikos generell zum HIV-Test ermutigen. Ein Risiko liegt vor nach ungeschütztem sexuellen Kontakt mit Personen, von denen unklar ist, ob sie infiziert sind. Je eher man über seine eigene Infektion informiert ist, desto besser ist man therapierbar und desto wirksamer kann man Vorsorge treffen, um nicht andere Personen anzustecken.

Frage: Haben es Infizierte auf dem Land schwerer als in Großstädten?Schuster: Das würde ich generell so nicht sagen. Großstädte sind zwar anonymer und haben oft bessere Selbsthilfe-Netzwerke, aber auf dem Land ist der soziale Zusammenhalt häufig besser.

Frage: Wie groß ist die Überlebenschance mit HIV?Schuster: Ehe Mitte der neunziger Jahre eine Kombinationstherapie entwickelt wurde, ging man davon aus, dass nur jeder zweite Infizierte nach zehn Jahren noch lebt. Heute hat man, wenn die Infektion rechtzeitig erkannt wird, die Option, eine weitgehend normale Lebenserwartung zu erreichen. Hinter dem Wort ,Option‘ stehen allerdings viele Fragezeichen. Und natürlich ist die Lebensqualität eingeschränkt. Einmal wegen der Nebenwirkungen von Medikamenten, zum anderen wegen der enormen psychischen Belastung. Ein Betroffener sagte mir einmal, es fühle sich an wie eine kleine Zeitbombe, die in ihm ticke. Wer das nicht bewältigen kann, dem droht ein Abgleiten in eine depressive Spirale.

Frage: Ist in absehbarer Zeit mit einem Impfstoff zu rechnen?Schuster: Beim Thema Impfstoff bin ich sehr pessimistisch. Vielleicht kann man in zehn bis 15 Jahren nahezu eine Heilung erreichen.

Foto: Ritter

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