Ball auf Schloss Thurnau Ein soziales Spiel ohne Worte

Wie einst wohl der Thurnauer Landadel getanzt haben mag? Das wiederentdeckte Tanzbüchlein aus der Giech’schen Bibliothek lässt es erahnen: Studierende der Universität Bayreuth erweckten die Zeit der Grafen auf Schloss Thurnau wieder zum Leben.

 
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Paar eins und Paar zwei stehen sich gegenüber. Dame und Herr zwei drehen sich einmal um sich selbst, gehen um Paar eins herum und laufen durch es hindurch. Dasselbe macht Paar eins, nur in die andere Richtung. Dann kreuzen die schräg gegenüber stehenden Damen und Herren miteinander. Alle fassen sich an den Händen, tanzen einen Kreis. Paar zwei rückt nach oben auf und beginnt den Tanz mit einem neuen Paar von vorne.

Wie soll man sich das bloß merken?

Die zur historischen Tanzstunde im Theatersaal Gekommenen blicken sich ratlos an. Wie soll man sich das bloß merken? Julia Schutt und Kira Himmelsbach stellen alle paarweise in einer Gasse auf. Geduldig wiederholen sie die einzelnen Positionswechsel. Als der Kontratanz einigermaßen klappt, setzt dazu noch die Musik ein. „Hole in the Wall“ heißt der englische Gesellschaftstanz. Und er ist einer der leichteren Tänze, bei denen alle Ballgäste zum Mittanzen eingeladen sind.

Dass am Samstag auf Schloss Thurnau seit Jahrhunderten überhaupt wieder zum Tanz geladen wurde, ist einem kleinen, historischen Fundstück zu verdanken. Das sogenannte Thurnauer Tanzbüchlein aus dem 18. Jahrhundert war im vergangenen Semester Gegenstand eines Seminars an der Universität Bayreuth. Silvia Bier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Musiktheater in Thurnau, befasst sich intensiv mit historischen Tänzen. Den Studierenden ihres Seminars schlug sie als Abschlussprojekt vor, selbst einen historischen Ball zu organisieren. „Wir haben ein Repertoire an Kontratänzen und historischen Tänzen erarbeitet“, sagt sie. Die Tänze waren damals Teil eines sozialen Spiels, in dem es um nonverbale Kommunikation ging und sich Unbekannten zu präsentieren.

Schautänze und Tänze zum Mitmachen, Gesangseinlagen, eine Fechtszene, Spiele und ein pompöser Kehraus: An alles hatten die Studierenden gedacht, um den Besuchern das höfische Leben von einst mit seiner Festkultur und Tanzpraxis nahe zu bringen.

Von der Musiktheorie in die höfische Tanzpraxis

Die historischen Tänze findet Julia Schutt faszinierend. Im langen Kleid mit Spitzenärmeln und hochgesteckten Haaren ist sie kaum wiederzuerkennen beim Ball. „Das ist einfach einmal was Neues und völlig anderes“, sagt die Studentin, die Musiktheaterwissenschaft studiert. „Erst haben wir uns theoretisch damit befasst und lernten die Notation zu lesen und dann auch praktisch.“ In die Tänze selbst arbeitete sie sich recht schnell ein, wie sie erzählt. Die Gasse werde einmal durchgetanzt, das Paar am Ende macht Pause. „Grundsätzlich kommt man schnell rein, aber man braucht ein Gefühl dafür.“

Mit selbstgeschneidertem Abendkleid auf dem Parkett

Viele elegante Kleider mit ausladendem Rock und engem Oberteil mit Korsett sind an diesem Abend zu sehen. Einige haben sich aus dem Kostümverleih bedient, andere kleideten sich in Tracht oder zeitgenössische Abendgarderobe. Ihr blaues Kleid selbst geschneidert hat Kira Himmelsbach. „Ein halbes Jahr hat das schon gedauert“, sagt sie. Von zwei Büchern, die sie als Vorlage benutzte, ließ sie sich inspirieren. Über einem grünen Rock, der unten drunter getragen wird, kommt das eigentliche zweiteilige Kleid. Das eng anliegende Oberteil ist mit Rüschen besetzt. Kleine Stecknadeln blitzen hervor, „was tatsächlich historisch ist“. Sogar an einen „false rump“ hat sie gedacht – zwei umgeschnürte Pölsterchen, welche die Hüften ausladender erscheinen lassen.

Drehungen, Achter, Hüpfer, Räder und Ketten

Durch den gelungenen Abend führt Jonas Würdinger, Vorsitzender des Vereins Schaulust, als Hofmeister. Mit einem Glöckchen mahnt er die Besucher immer wieder zur Aufmerksamkeit. Zu Beginn zeigen vier Paare eine französische Gavotte, die am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. populär war. Noch weitere Kontratänze führen sie vor – mit klingenden Namen wie La Bonne Amitié, Les Manches Vertes, La Gasconne, New Whitehall, The Indian Queen sowie eine Anglaise und ein Cotillon La Anspach aus dem Thurnauer Tanzbuch .

Das bedeutet: Komplizierte Schrittfolgen, Drehungen, Achter-Formen, Hüpfer, Räder, Ketten, Dos à Dos und vieles mehr. Wer nicht schon geübt hat, wagt sich kaum auf die Tanzfläche. Selbst die erfahrenen Tänzer kommen zusammen mit Ungeübten und Kindern ins Schwitzen. Denn schon beim Zuschauen wird manchem so leicht schwindelig. „Das ist nichts für uns“, winkt ein Paar ab, das den Ball dennoch genießt. Andere sind so begeistert, dass sie sich noch mehr solcher historischer Tanzabende wünschen.

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