Auf der Suche nach einem Bett: Zustände im Flüchtlingslager in Zirndorf sind dramatisch

Nikolas Pelke
Das Flüchtlingslager platzt aus allen Nähten. Selbst in den Containern, die man zu kleinen Häusern aufgetürmt hat, ist kein Platz mehr. Foto: Pelke Foto: red

In der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf leben mehr als doppelt so viele Menschen wie ursprünglich geplant. Das führt dazu, dass manche Neuankömmlinge zwar eine Decke, aber kein Bett mehr bekommen. AJ aus Indien etwa muss sich sein Bett nun selber suchen.

 
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Viel hat AJ nicht dabei, als er in Zirndorf (Landkreis Fürth) ankommt. Seine paar Habseligkeiten passen in einen kleinen Rucksack. In der Hand hält der junge Mann aus Indien einen weißen Zettel. Darauf steht sein vollständiger Name und das Datum seiner Ankunft im Flüchtlingslager. Hinter dem Stichwort „Zimmer-Nummer“ haben die Mitarbeiter der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) einen großen Strich gemalt. Ein Bett muss sich der Asylbewerber selber suchen, haben sie ihm zu verstehen gegeben. Immerhin ein Bettlaken und eine dünne Decke für die Nacht hat er bekommen. Nur mit einer Matratze hätten sie nicht mehr dienen können. AJ merkt schnell, warum.

Die blauen Schaumstoff-Matratzen liegen wie Sardinen in den Zimmern, der Boden ist schmutzig. Die ehemalige Kaserne bietet Platz für 650 Asylbewerber, derzeit hausen dort 1600 Menschen. Selbst in den Containern, die man wie Lego-Steine zu kleinen Häusern aufgetürmt hat, ist kein Platz mehr. „Hier leben vier Familien in einem Raum“, erzählt eine Frau mit Kopftuch.

Viele der Flüchtlinge sind Männer. Die Stimmung ist angespannt. „Sie sagen uns jeden Tag: Morgen! Morgen! Morgen!“, sagt Ali aus dem Irak. Alle hier klammern sich an ihren Zetteln fest. Alle wollen so schnell wie möglich weg aus Zirndorf. „Deutschland ist gut, aber hier ist es schlecht“, sagt ein junger Syrier und zeigt auf seinen kargen Schlafplatz.

In einem großen Zelt, das eigentlich für Partys gebaut ist, steht sein Feldbett. Die Luft ist schlecht. Überall starren Menschen mit sorgenvollen Minen durch das Wirrwarr. Eine Frau aus Eritrea hält Wache neben ihrem Baby. „Das Kind muss zum Arzt“, sagt der Mann. Anstatt schnell vor Ort zu helfen, hat man der Familie zwei Zettel ausgedruckt. Eine Wegbeschreibung aus dem Internet und die Adresse einer Kinderärztin in Zirndorf. „Wir müssen jetzt zum Arzt und nicht erst morgen“, sagt die Frau.

Derweil läuft AJ mit seinem Bündel unter dem Arm durch die endlosen Reihen der Feldbetten. Wer an den Spruch glaubt, in der kleinsten Hütte sei genügend Platz, dem werden diese Zelte eine Lehre sein. Personal ist weit und breit nicht zu sehen. In dem Kabuff mit den Wasserlachen und den Waschmaschinen findet AJ einen Hausmeister. „Ich kann leider auch nicht helfen. Wir sind sieben Hausmeister für 1600 Leute. Wir schauen, dass wir den Laden einigermaßen am Laufen halten.“ Mehr sei nicht drin. Alle seien mit dem Andrang überfordert.

Das System, das es vielleicht einmal gab, ist zusammengebrochen unter der Last des Zustroms. Die Hilferufe der Politiker vor Ort werden immer verzweifelter. „Ich fordere die Einrichtung eines Krisenstabes auf bayerischer Ebene“, sagt beispielsweise der Fürther Landrat Matthias Dießl (CSU). Sein Kollege aus Roth geht noch einen Schritt weiter. In einem offenen Brief droht Herbert Eckstein (SPD) damit, Kasernengebäude notfalls zu beschlagnahmen, um Flüchtlinge unterbringen zu können.

Vorwürfe, man habe das Problem verschlafen, weist das Sozialministerium zurück. Man habe in den vergangenen Jahren neue Kapazitäten in der Erstaufnahme geschaffen und Plätze in der Anschlussunterbringung massiv ausgebaut, sagt eine Sprecherin. An den Missständen seien die Masern schuld. Weil man die Erstaufnahmeeinrichtung in München wegen der ansteckenden Krankheit vorübergehend schließen musste, wurden die Asylbewerber nach Zirndorf umgeleitet. Man arbeite mit Hochdruck daran, die Lage dort und anderswo zu entschärfen. Dem jungen Asylbewerber aus Indien hilft das derzeit freilich wenig. Er irrt weiter umher auf der Suche nach einem Fleckchen Erde zum Schlafen.

Als er sich gerade auf den blanken Boden sinken lässt, hat eine Familie aus dem Irak Erbarmen und nimmt den jungen Mann zumindest für diese Nacht in ihrem überfüllten Zimmer auf. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Am Morgen wird der Alptraum für die Flüchtlinge weitergehen.

Mehr zum Thema Asyl und Flüchtlinge lesen Sie in unserem Dossier "Flucht nach Bayreuth".

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