Architektur aus einer Zeit, als alles immer größer wurde Karstadt in Bayreuth: Sinnbild des Wachstumswahns

Von Gordian Beck

Bayreuths Karstadt, gebaut in den 60er Jahren, wirkt heute ein paar Nummern zu groß.

 
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Die 60er Jahre: Kein anderes Jahrzehnt wird seitens der Architekturkritik so inbrünstig geschmäht, kein anderes zieht so viel Hass auf sich. Am liebsten würde man sie heute aus dem Stadtbild radieren. Allerdings, so viel sei angemerkt, einst galt auch der Barock als unverzeihliche Bausünde. Wie auch Fachwerkhäuser ehedem als scheußlich empfunden und abgerissen wurden, weil der Zeitgeist dagegenstand. Aus heutiger Sicht würde man gewiss anders urteilen, denn heute liegt das Ideal im Gestern. Also wird rekonstruiert, historische Substanz aufbereitet und der Glanz längst vergangener Zeiten bewundert. Die Architektur der 60er Jahre steht diesem bewahrenden Gedanken geradezu diametral gegenüber. Denn damals war der Blick voller Zuversicht nach vorne gerichtet. Und so sieht vieles, was in dieser Dekade gebaut wurde, nicht nur nach sattem Wohlstand aus, sondern eben auch so, als ob es auf Zuwachs geplant wäre. Bayreuths Karstadt macht da keine Ausnahme; auch dieses Gebäude wirkt heute, gerade im Kontext seines Umfeldes, als sei es ein paar Nummern zu groß geraten.

Dabei zähle dieser Karstadt mit seinen 8000 Quadratmetern Verkaufsfläche zu den Kleinen in der Familie der Kaufhauskette, sagt Janine Marz, die Geschäftsführerin der Bayreuther Filiale. Zum Vergleich: Der Düsseldorfer Karstadt – dort hat Marz zuvor gearbeitet – bietet sein Sortiment auf rund 20 000 Quadratmetern an und gehört damit im internen Ranking zur Kategorie der mittelgroßen Kaufhäuser. Auf Bayreuther Verhältnisse übertragen, wäre das in etwa die Verkaufsfläche des Rotmain-Centers.

Gleichwohl per Definition „klein“, macht das Gebäude des Bayreuther Karstadt einen ganz anderen Eindruck: Wuchtig und massiv, dominiert es den Markt und kündet in sandsteingekleidetem Beton von der Wahrhaftigkeit des bis dato Erreichten. So, als ob es der Welt sagen wollte: „Seht her, auch wir in Bayreuth haben es geschafft!“ Heute wirkt ein solches architektonisches Ausrufezeichen schlichtweg deplatziert.

Betritt man jedoch das Gebäude, verfliegt dieser Eindruck sofort. Von dem fast schon anmaßend anmutenden Selbstbewusstsein, das der kompakt kantige Kubus nach außen hin verströmt, ist drinnen nichts mehr zu spüren. „Heimelig“, so benennt es Marz und schwärmt von der familiären Atmosphäre im Kaufhaus: „Wir haben hier rund 1200 Quadratmeter Verkaufsfläche pro Etage, das heißt, ich kann hier noch alles gut überblicken. Und das wiederum schafft Nähe und Gemeinsamkeit.“ Der „Charme“ eines kleinen Kaufhauses. Das im Übrigen, was seine inneren Werte betrifft, auch aus heutiger Sicht gut konstruiert sei. Dazu gehöre beispielsweise der breit angelegte Haupteingang mit direktem Blick auf die Rolltreppe. „Die Grundform des Kubus ist das Ideal eines Kaufhauses“, so Marz, „denn diese garantiert die optimale Ausnutzung der Verkaufsfläche.“ Wobei der Bayreuther Karstadt nicht ganz die Erwartungen, die von seinem Grundriss ausgehen, erfüllen könne: „Kurioserweise haben wir hier einige krumme Wände, wie auch die ursprüngliche Wegeführung im Kaufhaus – sie ist am Bodenbelag noch ablesbar – aus heutiger Sicht nicht ganz makellos ist.“ Man behalf sich ringsum mit Trockenbauwänden, die Fenster zum Markt hin – ursprünglich durchsetzten sie die einzelnen Verkaufsetagen mit Tageslicht – wurden mit Lochblechen versehen. Denn die schmalen Streifen, die zwischen Wand und Trockenbau entstanden, werden heute als Lager genutzt und „die müssen nicht unbedingt vom Markt aus einsehbar sein“, so Marz. Die gesichtslosen Fensterhöhlen zieren im Sommer Blumenkästen. Die Pflanzen hierfür beziehe man im Übrigen von der JVA. Eine ebenso praktikable wie wirkungsvolle Maßnahme, um die Fassade „aufzuhübschen“, findet Marz.

Darüber hinaus gefällt Marz ihr Karstadt, so wie er ist und meint dabei vor allem die inneren Werte. „Spannend“ wird ihr zufolge der demnächst anstehende Umbau, der im Einklang mit der Neugestaltung des Kaufhauses Loher vonstatten geht. Denn Karstadt wird im Zuge dessen das Untergeschoss abgeben und im Tausch einen Teil des Erdgeschosses des Loher-Gebäudes bekommen. Des weiteren wird der Seiteneingang in der Schulstraße verschwinden. „Wir werden von der Verzahnung der beiden Gebäude mit Sicherheit profitieren“, meint Marz, „ich freue mich bereits heute schon auf die Eröffnung.“

Das sagt der Experte

Mit der Architektur der 60er Jahre könne er eigentlich überhaupt nicht, sagt Bernd Deyerling. „Die ist von einer Art, die meiner Ansicht nach nicht dem Menschen entgegenkommt.“ Man habe damals oft und gerne „Richtung Amerika geschielt“ und darüber vergessen, zu überlegen, ob das, was dort als erstrebens- und bauenswert galt, auch zu Bayreuth passt. „Das Karstadt-Gebäude ist mindestens um zwei Stockwerke zu hoch geraten und passt auch von seiner Form her überhaupt nicht in den Kontext seiner unmittelbaren Umgebung“, so Deyerling. Doch damit stehe dieser Bau in Bayreuth nicht alleine: „Auch das Kolpinghaus ist ein solcher Fall wie im Übrigen auch der Ringausbau.“ Und so sei man im unbedingten Glauben an eine amerikanisch geprägte Stadtvorstellung, die speziell die urbane Kleinteiligkeit in architektonische Großformen unterbringen wollte, auch in Bayreuth leider weit über das Ziel hinausgeschossen.

Gleichwohl erfülle der Karstadt auch heute noch die Aufgabe, die ihm die Erbauer – damals noch unter dem Namen „Hertie“ – zugedacht hätten. Sollte die trutzige Funktionsarchitektur doch im Bayreuth der 60er Jahre ein Einkaufszentrum schaffen, „Magnetwirkung für die ganze Stadt und das Umland entfalten“, wie Deyerling es ausdrückt. Dabei profitiere das Bayreuther Kaufhaus nach wie vor von der besten Einkaufslage der Stadt.

Ein drängendes Problem sieht Deyerling allerdings in der aktuellen Parkplatzsituation in der Innenstadt. Denn einkaufsnahe Parkplätze fehlen dort im Prinzip jetzt schon. „Und die entscheiden leider über den geschäftlichen Erfolg mit.“ Wobei sich dieser Trend in Zukunft noch verschärfen werde, meint Deyerling. Eine Tiefgarage unter dem Markt, das wäre die ideale Lösung gewesen. Doch die wird es nicht mehr geben: „Eine vertane Chance“, sagt Deyerling und fordert, über ein Parkhaus auf dem Rathausparkplatz nachzudenken. Dort könne man Kapazitäten schaffen, von der die komplette Innenstadt profitieren werde.

gob

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