Angeklagter leidet an psychischer Erkrankung - Polizei bei Fahndung nach wichtiger Zeugin erfolgreich Kulmbacher Totschlag-Prozess: Opfer nur durch Zufall noch am Leben

Von Manfred Scherer
Im Prozess gegen einen 22-jährigen Kulmbacher, der wegen versuchten Totschlags vor dem Schwurgericht steht, hat ein Gerichtsmediziner sein Gutachten erstattet. Demzufolge war die brutale Behandlung des Opfers, dessen Schädel der Angeklagte mit Wucht mehrmals aufs Straßenpflaster knallte, lebensbedrohlich. "Dass nichts Schlimmeres passiert ist, ist wie ein Sechser im Lotto", erklärte der Gerichtsmediziner. Foto. Archiv Foto: red

Das Opfer nahm die Sache nicht so ernst. Nach zwei Tagen im Krankenhaus entließ er sich selbst entgegen ärztlichen Rat. Was der 24-Jährige vielleicht nicht weiß: Er hat Riesenglück, dass er noch lebt. Ein Gerichtsmediziner erklärte im Schwurgerichtsprozess um eine ausgeuferte Schlägerei in Kulmbach: "Es ist, als ob er im Lotto einen Sechser mit Zusatzzahl hätte."

 
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Der 24-Jährige war am 26. Juni vergangenen Jahres von einem heute 22-jährigen Zechkumpan in der Innenstadt von Kulmbach niedergeschlagen worden. Der Angreifer nahm den Kopf des Bewusstlosen und schlug ihn mehrmals gegen das Straßenpflaster. Deswegen ist der Schläger wegen versuchten Totschlags angeklagt. In seinem Prozess vor dem Schwurgericht hatte er die Tat gestanden, jedoch erklärt, er habe freiwillig von seinem Opfer abgelassen. Dies könnte rechtlich ein Rücktritt vom Tötungsversuch sein, der Angeklagte würde dann "nur" wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

In vielen solcher Fälle stirbt das Opfer

Dass diese Alternative überhaupt in Frage kommt, haben Täter und Opfer lediglich dem "Zufall" zu verdanken, erklärte der Erlanger Gerichtsmediziner Professor Peter Betz. Betz, der regelmäßig als Gutachter vor den Schwurgerichten Frankens tätig ist, sagte weiter: "Wir haben ganz viele Fälle, wo eine solche Tat anders ausgeht und das Opfer stirbt."

Laut Betz könne durch das Schlagen des Kopfes gegen den harten Boden ein Schädel-Hirn-Trauma mit tödlichen Folgen entstehen: Durch die Beschleunigung des Schädels könne im Hirn Gewebe reißen. Im vorliegenden Fall blieben solche Folgen aus.

Hat der Angeklagte den Tötungsvorsatz aufgegeben?

Nach dem Gutachten hat der Angeklagte sein Opfer also beinahe getötet. Wird er deshalb wegen versuchten Totschlags verurteilt? Tatzeugen hatten bestätigt, dass sie den 22-Jährigen leicht von seinem Opfer weg ziehen konnten und der Angeklagte danach durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, erneut auf den bereits platt gemachten 24-Jährigen loszugehen. Dass er das nicht tat, könnte tatsächlich dafür sprechen, dass er den einmal gefassten Tötungsvorsatz aufgab - somit wäre das ein Rücktritt vom Versuch.

Zeugin muss vier Tage in die Ordnungshaft

Für diese Variante der rechtlichen Bewertung spricht auch die Zeugenaussage einer 19-Jährigen, die vermutlich der Grund für die Auseinandersetzung war. Die junge Frau hatte einmal ein Verhältnis mit dem Angeklagten und war am 26. Juni 2014 zunächst bei dem Zechgelage dabei und danach Zeugin der Schlägerei. Aber vor Gericht war sie nicht erschienen, so dass sie seit dem zweiten Prozesstag am Dienstag polizeilich gesucht wurde. Nach einem Tag wurde sie aufgegriffen und von Streifenpolizisten von Kulmbach ins Gericht nach Bayreuth gebracht. Sie bestätigte, dass Täter und Opfer einen Streit hatten. Ob der Streit um ihre Person ging? Da wich die Zeugin aus und erklärte, das wisse sie nicht genau. Was sie noch wusste, ist ein weiteres Indiz für den Rücktritt vom Versuch und entlastete den Angeklagten: "Ich habe zu ihm gesagt: Komm, wir gehen jetzt mal lieber. Und er ist mit gegangen." Die 19-Jährige wird übrigens vier Tage Ordnungshaft absitzen müssen, weil sie der Ladung zum Gerichtstermin nicht nachkam.

Unterbringung in Psychiatrie möglich

Warum rastete der Angeklagte an dem Tattag derart aus? Er hatte sich ja nach seiner Festnahme mit der gesamten besatzung der Polizeiinspektion Kulmbach angelegt und dabei derart gewütet, dass er mit einer Betäubungsspritze ruhig gestellt werden musste. Ein Psychiater erklärte, der Angeklagte leide seit seiner Kindheit an einem schweren Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Darüber habe der junge Mann eine dissoziale und aggressive Persönlichkeit entwickelt und sei empfänglich für Suchtmittel aller Art - Drogen und Alkohol. Der Psychiater bezeichnete den 22-Jährigen als "Grenzfall": Man könne sohl seine Unterbringung in der Psychiatrie als auch in einer Entzugsklinik befürworten. Der Gerichtsvorsitzende Michael Eckstein deutete bereits an, dass da eine "schwierige" Entscheidung anstehe: Die psychiatrische Unterbringung ist nämlich die wesentlich schwerer wiegende Maßnahme.

Am Freitag, 27. März, sollen die Plädoyers gehalten werden. Das Gericht hat auch das Urteil für diesen Tag in Aussicht gestellt.

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