Aktionstag des Netzwerks "Bayreuth ohne Gewalt" Kein Opfer werden: Polizei schult behinderte Menschen

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„Welchen Angriff habe ich vor mir?“, Habe ich eine Chance? Flucht oder Angriff – was ist besser? Foto: Ronald Wittek Foto: red

Behinderte Menschen werden leicht zu Opfern. Aber sie müssen nicht. Wenn sie wissen, wie sie sich bei Pöbeleien richtig verhalten. Wie das geht, zeigten ihnen Polizisten der Bundespolizei. An zwei Tagen machen die Behinderte fit für brenzlige Situationen. 

 
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Wenn’s dicke Luft gibt – einfach weggehen. Sonst geht’s einem wie Simon. Simon geht mit seinen Freunden aus den Werkstätten für behinderte Menschen in die Disco. Taschenkontrolle draußen, drinnen wummert die Musik, zwei junge Leute halten sich an ihren Bierflaschen fest. „Wer hat denn dich hereingelassen?“ Klare Sache: Wer das fragt, pöbelt und sucht Streit. Simon schaut überrascht. Die Pöbler kommen näher und pöbeln weiter. Simons Freund Manuel will helfen und stößt den Pöbler weg. „Da läuft einiges falsch“, sagt Peter Müller, Bundespolizist und Mitstreiter im Netzwerk Bayreuth ohne Gewalt. Die Pöbler sind junge Polizeikollegen, die Disco ist ein Trainingsraum auf dem Polizeigelände und Simon und Manuel sind ziemlich fertig. Denn dass sie was falsch gemacht haben, merken sie selbst. „Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagt Polizist Müller, „Flucht oder Angriff“. Wer dagegen Hand anlege, selbst wenn er den Pöbler nur wegschubst, gerate selbst in die Schusslinie. Also nochmal in die Disco!

Türkontrolle, Musik, zwei junge Leute, die Simon laut anpöbeln. „Wer hat dich …?“ Und Simons Freund Manuel? Kommt und zieht Simon einfach am Jackenärmel in Richtung Ausgang. Hilfe holen bei den Türstehern. Brenzlige Situation gelöst, gewaltfrei – und mutig. Denn auch zum Aus-dem-Weg-Gehen braucht es Mut.

Die Bundespolizei, Teil des Netzwerkes Bayreuth ohne Gewalt, hatte die Schwächsten zu einem zweitägigen Aktionstag auf ihr Gelände eingeladen. Dazu hatten Beamte an vier Stationen die häufigsten Situationen gespielt, wo es schnell Ärger geben kann oder wo eine schnelle Reaktion gefragt ist. Etwa 30 junge Menschen mit Behinderung übten Verhalten bei Pöbeleien im Bus oder in der Disco, bei einem Tankstellenüberfall und bei einem Unfall.

Im Bus: Auch hier ist Simon wieder „das Opfer“. Ein Polizist gibt den bösen Jungen und pöbelt ihn an, will seine Kopfhörer. Was tun? „Lassen Sie mich bitte in Ruhe“, sagen? Nein: „Lassen Sie mich bitte in Ruhe“ schreien! Denn nur so geht es: Mit „Augenkontakt und laut und deutlich im richtigen Ton“, sagt Polizist Müller. Dann schaue jeder und „spätestens dann greift das Unrechtsbewusstsein“. Sein Tipp: „Seid  mutig, auch wenn’s peinlich ist: Schreit!“ Dann üben die Behinderten, die Zurückhaltung gewohnt sind, etwas Ungewohntes: Laut sein, auf sich aufmerksam machen. Abgrenzen. Die Hände nach vorne strecken. Hilfe holen. Entweder vom Busfahrer oder von der Gruppe, die dabei ist. „Wenn ihr alle aufsteht, hat der Angreifer keine Chance mehr.“

Einfache Tipps, durchgespielt an Alltags-Situationen, das ist das Erfolgsrezept der Bundespolizisten. Denn lange Vorträge ermüden die Zuhörer aus den Werkstätten für Behinderte.

Auch beim Tankstellenüberfall. Ein stämmiger Polizist klaut einer Kundin die Einkaufstüte und rennt weg. Einer der Behinderten ruft sofort die Polizei, alle sind Zeugen. Wie sah er aus? Was hatte er an? Was merkt man sich am besten? Gar nicht so einfach, aber es klappt. Maxi macht eine Aussage: „Auf dem T-Shirt stand ,Monster‘.“ Und: „Einer hatte nicht viel Haare.“ Stimmte alles. Der Mann mit „Monster“ auf dem T-Shirt hatte die Tüte geklaut – und eine Glatze.

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