Volle: „Dann brechen alle Dämme“

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Michael Volle singt den Hans Sachs. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Er hat die längste Partie in der „Meistersinger“-Aufführung zu bewältigen: „Im dritten Akt hat man nur eine einzige Pause beim Einzug der Gäste auf die Festwiese. Ansonsten singt man ohne Punkt und Komma.“ Im Kurier-Interview spricht Michael Volle über Hans Sachs, Johann Sebastian Bach und das Singen in einem Magnetresonanztomografen.

 
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Herr Volle, im Internet kursiert ein Video, in dem zu sehen ist, wie Sie in einem Magnetresonanztomo-

grafen das Lied an den Abendstern singen.

Michael Volle: Ja, ich bin ein Internetstar, ich habe über 500 000 Klicks bekommen (lacht).

Was hat es damit auf sich?

Volle: Professor Matthias Echternach von der Uniklinik Freiburg will in einer Studie den Stimmapparat von Sängern untersuchen. Dabei geht es auch um die Tonerzeugung. Ich musste in verschiedenste Glaskolben blasen, mein Gebiss wurde digital vermessen und zum krönenden Abschluss musste ich in die Röhre, um dort etwas zu singen. Ich entschied mich für das Lied an den Abendstern. Bewerbungsfähig war das allerdings nicht.

Haben Sie aus dieser Studie neue Erkenntnisse für Ihre Gesangstechnik gewinnen können?

Volle: Nein, ich fahre sehr gut mit meiner Technik. Aber ich war sehr überrascht zu sehen, wie riesig dieser Lappen von Zunge ist.

Sie haben 2007/2008 in Bayreuth den Beckmesser gesungen. Kann man sagen, dass danach Ihre Karriere so richtig Fahrt aufnahm.

Volle: Ich habe damals so viele Interviews gegeben, wie in all den Jahren zuvor zusammen. Das hat meiner Karriere einen ungeheuren Schub gegeben. Andererseits hat sich dadurch aber auch meine Position im Markt verkompliziert, weil ich dadurch auf das deutsche Fach Wagner/Strauss festgelegt wurde. Das kann auch gewisse Schwierigkeiten nach sich ziehen.

Sie würden auch gerne Bach singen.

Volle: In den nächsten Wochen kommt von mir eine Wagner-Platte heraus und ein paar Wochen später auf meine Initiative hin eine Bach-Platte mit der Akademie für Alte Musik. Darüber freue ich mich wahnsinnig. Ich brauche Bach wie die Luft zum Atmen.

Angesichts Ihrer Herkunft aus einer württembergisch-pietistischen Pfarrerfamilie kann man angesichts der Musik von Bach ja wohl von frühkindlicher Prägung sprechen.

Volle: Gott sei Dank! Schütz, Händel, Bach – das waren die musikalischen Vorlieben meines Vaters. Mozart schon war weit weg.

Wagner war vermutlich Teufelszeug.

Volle: Oper sowieso. Aber es hat sich alles zum Guten gewendet. Später hat es mein Vater sehr gemocht und er ging dann auch gerne in die Oper. Aber ich brauche sonntagmorgens Bach. Wenn ich diese Musik zu Hause auflege, dann sagen meine Kinder immer: Ah, jetzt kommt wieder Papa-Musik.

Was hätte Ihr Vater gesagt, wenn er Sie als Beckmesser in Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung gesehen hätte?

Volle: Ich glaube, es hätte ihm gefallen. Es ist ja das Schöne an alten Menschen, dass sie manchmal weich werden und sich öffnen. Er hat auch viel von uns gelernt. Ich rechne ihm hoch an, was er und meine Mutter uns an Freude an der Musik mitgegeben haben, gekoppelt daran, dass man mit Kirchenchor, Posaunenchor und Hausmusik aufwuchs. Das war unschätzbar für uns alle. In Stuttgart konnte man damals jeden Sonntagmorgen in mindestens fünf bis sechs Kirchen gehen, in denen eine Bach-Kantate aufgeführt wurde. Als Gesangsstudent war das phänomenal, da wurde man schnell mal für 50 Mark engagiert. Das waren alles Faktoren, die das Hineinwachsen in die Musik sehr erleichtert haben.

Aber jetzt stecken Sie in der Wagner-Schublade und werden kaum mehr für italienische Rollen gebucht.

Volle: Außer es gibt jemanden in verantwortlicher Position in einem Opernhaus, der einem das zutraut. Es hat sich, zum Glück, verändert. Ich singe zum Beispiel nächstes Jahr in „Tosca“ mit Anna Netrebko an der Met und freu’ mich schon wie ein Schneekönig darauf.

Wie empfinden Sie denn mit Ihrer pietistischen Prägung das „Te Deum“ in „Tosca“, in dem ja so ziemlich alles aufgefahren wird, was der Katholizismus an Prunk und Pomp zu bieten hat.

Volle: In diesem Moment bin ich keinesfalls der pietistisch groß gewordene Pfarrerssohn aus Württemberg, sondern ein schlimmer Bösewicht, der natürlich negativ besetzt ist. Aber ich liebe Riten, und auch die Ausprägungen im Katholizismus. Das ist natürlich von Puccini genial gemacht, wie er den liturgischen Gesang mit Scarpia kombiniert, der vorne an der Rampe von Lust und Leidenschaft singt.

In Bayreuth singen Sie heuer den Hans Sachs. Sie haben aber auch den Beckmesser so oft gesungen, dass Sie Ihren Kollegen vermutlich soufflieren könnten. Welches ist denn die schwierigere Rolle?

Volle: Beckmesser ist eine sehr schwere Rolle, sie ist sehr kräftezehrend. Wenn er im zweiten Akt sein Lied singt, dann muss man rein gesangstechnisch sehr aufpassen. Es ist natürlich die kleinere Partie, aber trotzdem sehr fordernd. Das Schlagendste beim Sachs ist die Länge der Partie. In meinem Fach ist es das allergrößte. Der erste Akt ist relativ „einfach“. Im dritten Akt hat man nur eine einzige Pause beim Einzug der Gäste auf die Festwiese. Ansonsten singt man ohne Punkt und Komma.

Wie teilt man sich die Kräfte ein?

Volle: Man lernt, wo man sparen kann, ohne dass es auffällt – etwa in den Ensembles. Den Ausdruck muss man aber immer bringen. Der Knackpunkt ist für mich immer die vorletzte Ansprache nach dem grandiosen „Wachet auf!“-Chor, wenn Hans Sachs sagt: „Euch macht ihr’s leicht, mir macht ihr’s schwer“ – mehr als die letzte Ansprache: „Verachtet mir die Meister nicht!“. Die liegt mir besser.

Was gefällt Ihnen am Charakter dieser Rolle?

Volle: Hans Sachs ist eine wahnsinnig menschliche Rolle. Auch im Gespräch mit Barry Kosky kamen wir darauf, dass die Rolle sicher ein Alter Ego von Richard Wagner ist. Wagner wollte sicher so sein wie Sachs: weise, souverän, witzig, charmant und hochemotional. Wagner hingegen hat betrogen, gelogen, benutzt und veruntreut, auf der anderen Seite schreibt er aber diese menschliche Musik.

Haben Sie eine musikalische Lieblingsstelle?

Volle: Das Vorspiel zum dritten Akt. Ich erinnere mich an eine andere, sehr schöne Produktion von Stephan Herheim in Salzburg. Wir probten in einer kühlen, kalten Betonmessehalle. Dann kam das Vorspiel zum dritten Akt. Sachs geht durch sein Atelier und steht vor dem Bild der Eva, das er selbst gemalt hat. Dabei bricht er in Tränen aus. Das hat mich weggeschmissen. Es ist unfassbar, was Wagner da geschaffen hat. Eine andere Lieblingsstelle ist das Quintett.

Das leider nicht immer sauber gesungen wird ...

Volle: Wir haben hier mit Philipp Jordan einen fantastischen Dirigenten und haben auch das ganz intensiv geprobt. Es passiert ganz schnell, dass man nur nebeneinander und nicht miteinander singt. Man muss da ganz fein arbeiten.

Um noch einmal auf Ihr württembergisches Elternhaus zu kommen: Wie viel Bach steckt in den Meistersingern?

Volle: Ohne Bach hätte es gar nichts anderes gegeben, zumindest nichts in dieser Ausprägung. Ich erlebe oft Dirigenten, die spielen sich morgens mit Bach am Klavier warm. Da geht es nicht nur um Technisches, sondern um Inhaltliches. Bachs Musik – das sind Sphären, die sind nicht von unserer Welt.

Und wenn Sie dem finalen C-Dur in den „Meistersingern“ entgegensteuern ...

Volle: Wenn man nach Sachsens letzter Ansprache dasteht und die Anspannung dieser Partie hinter sich hat, und sich der Chor auf diese hohen Cs emporschwingt, dann brechen alle Dämme. In welche Richtung, werden wir dann sehen.

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