Thomas J. Mayer: Klare Ziele

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Thomas J. Mayer singt den heuer den Wanderer. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Schon in seiner ersten Gesangsstunde als 25-Jähriger an der Hochschule hatte er den Hans Sachs im Gepäck. Was bei seiner Lehrerin vor allem Stirnrunzeln hervorrief. Thomas J. Mayer hatte seine Ziele jedenfalls klar vor Augen. Heuer singt er bei den Bayreuther Festspielen den Wanderer im „Siegfried“.

 
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Herr Mayer, als Wanderer im „Siegfried“ dürfen Sie den Mount Rushmore erklimmen. Freuen Sie sich auf die Kletterpartie?

Thomas J. Mayer: Inzwischen schon. Das Bühnenbild ist sehr eindrücklich, und ich bin jetzt auch schon einige Male hochgestiegen. Ich muss sagen: Es geht. Es hat zwar seine Gefahrenstellen an der Leiter, was für einen unsportlichen Wotan schon etwas problematisch wäre. Aber ich bin ja noch jung und generell dem alpinen Lebensraum nicht abgeneigt.

Fühlen sie sich wohl in Frank Castorfs „Ring“-Inszenierung?

Mayer: Ja, generell schon. Die Personenregie funktioniert und das Konzept geht inhaltlich irgendwie auf. Ich finde die Idee, dass man den Mount Rushmore in das kommunistische Sujet hebt, jedenfalls spannend.

Haben Sie eine Lieblingsstelle im „Siegfried“?

Mayer: Der gesamte dritte Akt ist schon ganz großes Musiktheater. Es gibt für Wotan zwar keine „Arie“ wie in der „Walküre“, der „Siegfried“ lebt mehr vom Dialog, aber ein paar Mal blitzt Wotans göttliche Überlegenheit in der Musik auf. Etwa wenn ich sage: „Wen ich liebe, lass’ ich für sich gewähren; er steh’ oder fall’, sein Herr ist er: Helden nur können mir frommen.“ Das ist eine sehr schöne Aussage mit der Reflexion von Wotans Erkenntnis aus der „Walküre“, dass er seinen Willen lassen muss, um letztendlich frei zu werden von den Verträgen, die er sich selbst aufgehalst hat. Erst nachdem er alles losgelassen hat, kann er seinem Ende entgegen schreiten.

Gibt es einen hohen Grad an Identifikation zwischen Ihnen und dem Wotan/Wanderer oder ist es eine Partie wie jede andere?

Mayer: In der ganzen Literatur, die ich gesungen habe, gibt es keine Rolle, die mir so sehr ans Herz gewachsen ist, wie der Wotan.

Das liegt woran?

Mayer: Das liegt an der Person, an der Vielschichtigkeit und auch an der Problematik, die ich auch immer wieder im zwischenmenschlichen Bereich erkennen kann. Man sagt ja dem Wotan landläufig nach, dass er ein schlechter Charakter ist, und dass ihm das ganz recht geschieht. Wenn man das aber so oft interpretiert und sich mit der Rolle identifiziert hat, dann erkennt man schon auch die vielschichtigeren Probleme, die nicht nur an der Person des Wotan haften. Hier werden Dinge verhandelt, die außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Norm stehen und auch gänzlich amoralisch anmuten, weil die Götter im Gegensatz zu den Menschen keine Moral haben. Man kann auf der abstrakten Ebene der Götter viele Dinge verhandeln. Und trotzdem ist für mich das Entscheidende: Das Loslassen. Dieser Moment, in dem man wirklich sagt: Ich will das Ende. Und zwar in einem buddhistischen Sinne, dass man sich nur von dem Willen lösen kann, indem man loslässt. Das ist für mich immer wieder wie eine Psychogenese, die da bei mir auf der Bühne stattfindet und es ist toll, die Nuancen, die man beim Interpretieren in Geist und Körper spürt, jedesmal aufs neue zu erleben.

Wird durch das Loslassen Wotans Resignation überwunden?

Mayer: Er kann sich ja nicht von den Verträgen lösen, aber er kann sich von dem Willen frei machen, dass er etwas anderes will, als das, was sein muss. Letztendlich geht es Wotan ja auch nicht nur darum, sein eigenes Glück zu finden. Dass das nicht möglich ist, hat er schon früh erkennen müssen. Liebe und Macht kann er eben nicht zusammen haben. So hatte er sich Glück erhofft, indem er die Macht hat. Doch dann hat er gesehen, dass diese Macht verflucht ist.

Was bleibt Wotan am Ende?

Mayer: Die unstete Gewissheit, dass es so ist, wie es ist. Ich muss loslassen, um mich selbst zu erlösen und um der Zukunft die Chance zu geben,dass die Erlösung irgendwann mal stattfindet.

In dem Meisterkurs für Operngesang, den Sie leiten, geht es nicht allein um Stimmtechnik. Was verstehen sie unter ganzheitlichem Singen?

Mayer: Das bedeutet für mich, dass man Sänger eben nicht nur in Gesangstechniken ausbilden sollte, sondern dass man an den Universitäten sehr viel mehr Wert auf die Persönlichkeitsbildung sowie auf die intellektuelle und spirituelle Bildung legen sollte. Das halte ich als musizierender Sänger für Elementar wichtig. Außerdem habe ich selbst erkannt, dass ich, was die musikalische Arbeit anbelangt, enorme Heilungsprozesse im Körper in Gang bringen kann. Da gibt es ein enormes Potenzial.

Was spüren Sie beim Singen von Wagner an körperlichen Veränderungen oder Räumen, die sich öffnen?

Mayer: Man kann sich bei Wagner ganz darauf verlassen, dass mit der Direktheit der Sprache auch automatisch eine emotionale Verknüpfung stattfindet, was bei vielen anderen Komponisten so nicht der Fall ist. Man kann bei Wagner das Innere nach außen kehren und damit buchstäblich richtig auf den Putz hauen und dabei geht es nicht nur darum, Lautstärke zu zeigen. Man muss bei Wagner aus ganz anderen Ressourcen schöpfen.

Wie öffnen Sie diese Ressourcen?

Mayer: Das ist eine ständige Arbeit, die ich immer wieder fleißig üben muss. Ich versuche den Text zuerst quasi als Schauspiel zu spüren, das stimmliche folgt dann einem inneren Flow. Ich verstehe das Ganze quasi wie eine Qui Kung Übung, die mich in den gleichen körperlichen und geistigen Fluss bringt. Das ist bei Wagner so phänomenal. Die Musik ist wie ein großer Atem mit ganz vielen bunten Farben und Nuancen.

Und wie steht es mit der therapeutischen Wirkung?

Mayer: Na ja, ich hatte dieses wahnsinnige Erlebnis mit Claudio Abbado, der sterbenskrank vom Krebs gezeichnet einen „Tristan“ in Tokio dirigierte und sagte: Das ist meine Therapie, besser als jegliches Medikament. Für mich ist das Singen der Wagner-Partien durchaus ein psychologischer Reifungs- und auch Heilungsprozess.

Das Psychologische ist das eine, aber hat sich im Fall von Abbado die Musik auch körperlich ausgewirkt?

Mayer: Das hat er zumindest gesagt, und er hat danach ja auch noch ein paar Jahre gelebt.

Das wäre der eine Extremfall. Der andere ist, dass aber auch schon Dirigenten bei Aufführungen gestorben sind.

Mayer: Ich wünsche natürlich niemandem, dass er stirbt. Aber ich glaube, dass es für einen Wagnerinterpreten letztendlich nichts Größeres geben kann. Wenn es denn schon sein muss, dann lieber so. Ich hatte letztens eine besonders traurige Erfahrung gemacht, die mir aber auch eine positive Komponente mitgegeben hat. Als ich in Wiesbaden für den verstorbenen Kollegen Gerd Grochowski eingesprungen bin, hatte ich mir zuvor die DVD von der Premiere angeschaut, nach der er wenige Stunden später im Hotelzimmer gestorben war. Da ist es mir schon eiskalt den Rücken runtergelaufen. Das war ein sehr skurriles Gefühl, wenn man weiß: Die letzten sängerischen Töne, die dieser Mensch von sich gegeben hat, waren Wotans Abschied. Da habe ich sehr stark gemerkt, wie Kunst und Realität so ernüchternd aber auch irgendwo erhebend in einer Form aufeinander treffen.

Um nun wieder ein wenig Erdung reinzubringen: Einer Ihrer Lehrer war Kurt Moll. Was haben Sie von ihm mitgenommen?

Mayer: Die Selbstverständlichkeit, auf der Bühne Spaß zu haben, ohne sich zu produzieren und ohne das Ego hervorzukehren, sondern wirklich den Spaß am Singen und am Agieren zu zelebrieren. Ich hatte ja auch eine ganz wunderbare Gesangslehrerin: Liselotte Hammes. Sie hat mir die Möglichkeit gegeben, bei Kurt Moll Erfahrungen zu sammeln. Danach habe ich vier Produktionen zusammen mit ihm gemacht. Dabei habe ich vor allem gelernt, wie er auf der Bühne „Gas gibt“ und alles andere hinter sich lässt.

Was steht nach dem Wotan/Wanderer für Sie an?

Mayer: Zunächst ein paar Produktionen mit „Salome“, „Lohengrin“ und „Falstaff“ und schließlich die Vorbereitung für meine nächste große Wagnerpartie: den Hans Sachs , den ich 2020 im Rahmen der Olympischen Spiele in Tokio präsentieren darf.

Mit knapp 50 Jahren den Sachs anzugehen, ist ja wohl das ideale Alter.

Mayer: Ja. Dabei erinnere ich mich noch gerne an meine allererste Gesangsstunde mit Lieselotte Hammes an der Hochschule in Köln. Ich hatte alle Sachs-Arien mitgebracht, die ich studieren wollte. Sie ist dann kommentarlos auf mich zugegangen, hat mir mein Notenheft zugemacht und gesagt: Jetzt gehst Du nach Hause und guckst Dir vielleicht noch mal den Don Giovanni an, bevor du morgen wiederkommst. So habe meine erste Lektion gelernt, dass alles seine Zeit hat und dass der Sachs mit 25 noch nicht das richtige ist.

Offenbar hatten Sie aber ihr Ziel klar vor Augen.

Mayer: Definitiv.

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