Neue Richtlinien für Sexualerziehung

Von Kerstin Fritzsche
Die CSU war in diesem Jahr erstmals beim Christopher Street Day in München mit einem eigenen Wagen mit dabei. Die Betonung liegt ansonsten aber immer noch auf dem traditionellen Familienbild. Die neuen Richtlinien für die Sexualerziehung sollen Kindern und Jugendlichen jetzt aber immerhin Toleranz und Achtung gegenüber Lesben, Schwulen, Trans-Menschen und Intersexuellen nahebringen. Archivfoto: dpa Foto: red

Lange wurde um sie gerungen, jetzt hat Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle die neuen Richtlinien für Familien- und Sexualerziehung in der Schule noch vor Weihnachten in Kraft gesetzt. Ohne mit der Opposition gesprochen zu haben. Und zum Ärger von Lesben und Schwulen, die in der endgültigen Fassung der Richtlinien ein Einknicken vor der AfD-nahen "Demo für alle" sehen, die auch schon in Baden-Württemberg neue Bildungspläne blockiert und die Diskussion darüber gelenkt hatte.

 
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Die neuen "Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen" sind am 15. Dezember in Kraft getreten, vergangene Woche gingen die Info-Briefe an die Schulen dazu raus. Damit hat Minister Spaenle Wort gehalten: Bis Ende des Jahres sollte eine Reform des Bildungsplans für Sexualkunde erfolgen. Die alten Richtlinien stammen aus dem Jahr 2002 und wurden von der Staatsregierung als veraltet angesehen.

Recht nach Bayerischem Gesetz über das Erziehungswesen

Die Schule hat nach Art. 48 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen das Recht zur Familien- und Sexualerziehung. Das Kultusministerium gibt dazu den Rahmen für Familien- und Sexualerziehung im Unterricht vor. Das ist ein ganz normaler Vorgang, jedes Bundesland erneuert von Zeit zu Zeit seine Bildungspläne - und muss darüber nicht in den Landtagen oder die Bevölkerung abstimmen lassen noch andere Akteure der Bildungspolitik mit einbinden. Die reformierten Pläne können dann einfach in Kraft treten.

Lehrpläne zu Sexualkunde immer wieder unter Beschuss

Nur sind in den letzten Jahren vor allem die neuen Bildungspläne zur Sexualkunde immer wieder ein Spielball von Lobby-Gruppen geworden. Streitpunkt ist das Thema Aufklärung über sexuelle Vielfalt. LSBTIQ-Vertreter (Abkürzung steht für: lesbisch, schwul, bisexuell, trans, intersexuell und queer) fordern, dass im Unterricht auch ausreichend Aufklärung über Homo- und Transsexualität stattfindet, nach Möglichkeit nicht nur in der Sexualerziehung. Erziehung zur Toleranz reicht den Aktivisten nicht, sie wollen Lehrpläne, die Akzeptanz vermitteln.

Dreijähriger ideologischer Kampf in Baden-Württemberg

Zuletzt hatte es hier einen jahrelangen Kampf in Baden-Württemberg gegeben, nachdem ein früher Entwurf eines Arbeitspapiers zum neuen Lehrplan im Herbst 2013 unerlaubt öffentlich gemacht wurde. Die AfD-nahe Protest-Bewegung "Demo für alle" gründete sich und demonstrierte im Kampf gegen angebliche "Frühsexualisierung" und "Indoktrinierung" insgesamt neun Mal in Stuttgart, was auf ein breites Gegen-Bündnis stieß. Bei den letzten drei Demonstrationen war es sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demo-Teilnehmern gekommen. Zum neuen Schuljahr traten die neuen Lehrpläne, CDU-gestützt, in Kraft, auch ein Aktionsplan gegen Homophobie wurde verabschiedet.

Jedes andere Bundesland mit ähnlichen Plänen gerät ebenfalls sofort unter Beschuss. Auch in München demonstrierte die "Demo für alle" bereits, allerdings mit geringer Teilnehmer-Zahl. Außerdem besuchten Vertreter der Initiative Kultusminister Spaenle im Spätsommer im Ministerium. Das Bündnis "Vielfalt statt Einfalt" München sah darin eine Einflussnahme, bekam aber ebenfalls einen Termin im Ministerium.

Bündnis "Vielfalt statt Einfalt" sieht sich nicht berücksichtigt

Nun sieht "Vielfalt statt Einfalt" in dem in Kraft getretenen neuen Plan vor allem ein Einknicken Spaenles vor der "Demo für alle". "Zur ursprünglich im März vorgestellten Fassung hat das Ministerium einige gravierende Veränderungen vorgenommen", heißt es in einer Mitteilung. "Die von uns vorgebrachten Forderungen wurden dabei komplett missachtet. Wir erhielten zu den schriftlich eingebrachten Forderungen nicht einmal eine Antwort, obwohl Minister Spaenle von uns im persönlichen Gespräch das Einbringen eines Forderungspapiers gewünscht hatte."

Im Vordergrund steht Prävention gegen sexualisierte Gewalt

In der Tat sieht der neue Plan anders aus als der Entwurf vom März, Aufklärung über sexuelle Vielfalt hat keinen so großen Anteil mehr. Zum Fokus der Reform erklärte das Ministerium am 16. Dezember selbst: "Gründe für die Fortschreibung der Richtlinien waren vor allem die Prävention gegen sexuelle Gewalt und die Förderung eines bewussten und kritischen Umgangs mit sexualisierten Medieninhalten." Erst danach steht, ohne die Worte "Homosexualität" und "Transsexualität" zu nennen: "Beibehalten wurde das Thema sexuelle Orientierung; es wurde entsprechend dem heutigen Erkenntnisstand aktualisiert – insbesondere mit der Zielrichtung der Achtung eines jeden Menschen mit seinen unterschiedlichen Anlagen und Ausprägungen."

Harsche Kritik von SPD und Grünen

"Das ist ja erst einmal sehr gut, dass die Richtlinien überarbeitet wurden und jetzt noch in Kraft treten", sagt Isabell Zacharias, queerpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag. Leider habe die regierende CSU das aber ohne den Dialog mit der Opposition getan. "Klar muss sie auf uns keine Rücksicht nehmen. Ich habe aber erst letzte Woche noch selbst eine Anfrage zum Stand der Dinge getätigt und bekam zur Antwort, dass es nichts Neues gibt - und dann sind die Richtlinien einen Tag später in Kraft! Experten wie Pro Familia wurden einfach nicht gehört." Jetzt könne man nur auf die Eltern, Lehrer und die Lobby-Gruppen hoffen, damit sich vielleicht noch was bewege und hinterfragt werde. "Da sind so viele Punkte drin, die in der Praxis nicht funktionieren. Aufklärungsarbeit von Externen im Beisein des Lehrers - da stellt doch kein Jugendlicher völlig frei Fragen oder erzählt irgendetwas."

Infrastruktur für Aufklärungsarbeit fehlt

Allerdings gibt es eine entsprechende Infrastruktur in Bayern auch gar nicht, und mit den neuen Richtlinien wird nicht geregelt, ob und wie Aufklärung erfolgen kann. Eine Initiative für schwul-lesbische Aufklärung in der Schule (SchLAu) wie in vielen anderen Bundesländern gibt es in Bayern nicht, so dass Aufklärungsprojekte sich anders finanzieren müssen und in sehr kleinem Rahmen selbstorganisiert sind.

Kritik kommt auch von den Grünen im Landtag. Deren queerpolitische Sprecherin Claudia Stamm sagte auf Anfrage: "Man darf alles rund um die Umsetzung der Pläne für Sexualkunde nicht isoliert sehen. Rundum gibt es teilweise heftige Angriffe auf ein aufgeklärtes Miteinander verschiedener Lebensformen. Wenn da alte Richtlinien durch modernere ersetzt werden, ist das nur gut so. Aber wenn diese neuen Richtlinien einen Prozess durchlaufen haben, und der Minister diesen dann eigenmächtig ignoriert, dies wiederum nicht einmal kommuniziert, sondern wir durch eine Pressemitteilung der homophoben, sogenannten 'Demo für alle' davon erfahren, dann muss ich doch am Demokratie-Verständnis von Herrn Spaenle stark zweifeln."

Stamm: "Ursprüngliche Fassung war ein Fortschritt"

Stamm hatte bereits Anfang 2015 einen Berichtsantrag zum Thema Vielfalt und Sexualkunde gestellt. Dieser wurde im zuständigen Ausschuss genehmigt, der Bericht aber immer wieder verschoben, "weil es hieß, dass die Überarbeitung der Richtlinen kurz vor dem Abschluss stehe", so Stamm. "In der Zwischenzeit wurden die Richtlinien dem Landesschulbeirat zur Stellungnahme vorgelegt und erhielten große Zustimmung, ebenso bei der Vorstellung im Ausschuss im März. Sie waren für Bayern ein Fortschritt, und deswegen haben wir da immer den demokratischen Schulterschluss gesucht." Aus dem Schulterschluss wurde dann doch ein Alleingang.

Die neuen Richtlinien können hier heruntergeladen werden.

Einen Kommentar dazu lesen Sie hier.

 

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