Kramme: Nahles eine gute SPD-Chefin

Von Peter Rauscher
Bislang ein Team: Die neue starke SPD-Frau Andrea Nahles (links) war im September als Arbeitsministerin Gast in Bayreuth bei ihrer Staatssekretärin Anette Kramme. Foto: Archiv/Andreas Harbach Foto: red

Nach dem nächtlichen Verhandlungsmarathon in Berlin sieht die oberfränkische SPD-Chefin Anette Kramme, die der Verhandlungsdelegation angehörte, gute Chance für das Zustandekommen einer neuen große Koalition. Vor dem SPD-Mitgliederentscheid schätzt die Parlamentarische Staatssekretärin im Sozialministerium die Wahrscheinlichkeit auf 70:30. Ihre persönliche Zukunft ist offen.

 
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Wie war die vergangene lange Nacht für Sie als Angehörige der SPD-Verhandlungsdelegation?

Anette Kramme: Einigermaßen geruhsam. Ich bin gegen halb eins in der Nacht ins Hotel gefahren und erst am Morgen zurückgekommen. Denn mein letzter offener Themenbereich, die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen, wurde in der Nacht nicht weiterverhandelt, sondern erst am Morgen.

Hat Sie die Nachricht überrascht, dass Martin Schulz Außenminister werden will statt Parteivorsitzender?

Kramme: Nein.

Warum nicht?

Kramme: Wie ich Martin Schulz kenne, ist die Außenpolitik für ihn pure Leidenschaft. Deshalb habe ich geahnt, dass er sich so entscheiden würde. Das Amt des Außenministers und das des Parteivorsitzenden sind nicht miteinander vereinbar. Die SPD liegt bundesweit nur bei 20 Prozent, da brauchen wir jemanden an der Spitze, der tatsächlich die erforderliche Zeit für die Partei aufbringen kann.

Ihre frühere Chefin, Andrea Nahles, hat in der Doppelfunktion als Partei- und Fraktionsvorsitzende diese Zeit und den Rückhalt in der Partei?

Kramme: Die Parteigremien haben keine Entscheidung getroffen. Ich persönlich bin aber der Überzeugung, dass sie der SPD eine gute Vorsitzende sein könnte. Sie hat den Verhandlungserfolg der letzten Tage maßgeblich mit herbeiführt. Ich schätze an ihr vor allem ihren fairen, immer teamorientierten Umgang. Sie ist fachlich immer bewundernswert tief in den Themen drin.

Was macht das mit der SPD: Die erste Frau seit 150 Jahren an der Spitze?

Kramme: Wie gesagt: Die Parteigremien sind bislang nicht befasst mit der Frage. Ich fände es aber sehr schön, wenn endlich einmal eine Frau zum Zuge käme, eine Frau mit Fachkompetenz und Durchsetzungskraft.

Hat Martin Schulz' Amtswechsel auch etwas mit dem SPD-Mitgliederentscheid zu tun? Er hatte ja angekündigt, er wolle nicht Minister unter Angela Merkel werden.

Kramme: Natürlich fließt das mittelbar ein. Die Partei hat sehr deutlich gemacht, dass sie von Martin Schulz eine Entscheidung an dieser Stelle verlangt.

Was wird aus Sigmar Gabriel in einer neuen Regierung?

Kramme: Das weiß ich nicht.

Worauf gründet sich die Hoffnung der SPD-Verhandlungsdelegation, dass die Basis bei der Befragung dem Koalitionsvertrag mehrheitlich zustimmen wird?

Kramme: Weil wir noch eine Menge zusätzlich herausverhandelt haben. Der Koalitionsvertrag umfasst 160 Seiten mit ganz vielen Punkten, die wir durchsetzen konnten. In meinem Fachbereich wird die sachgrundlose Befristung massiv eingeschränkt. Kettenbefristungen schaffen wir ab. Bei der Arbeit auf Abruf gibt es neue Konkretisierungen. Wenn zum Beispiel ein Chef mit einer Bedienung im Restaurant keine feste Arbeitszeit vereinbart, gilt künftig eine Arbeitszeit von 20 Stunden.

Was konnte die SPD bei der Bürgerversicherung erreichen?

Kramme: Für die Union war das ein sehr schwieriges Thema. Wir haben aber erreicht, dass die Krankenkassenbeiträge künftig wieder paritätisch, also zu gleichen Teilen, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlt werden. Das ist besonders wichtig, weil wir wegen der Alterung der Gesellschaft von künftig steigenden Beiträgen ausgehen müssen. Außerdem werden die Festbeträge für Zahnersatz von 50 auf 60 Prozent steigen. Und es soll eine neue Honorarordnung für Ärzte geben. Eine Expertenkommission soll bis Ende 2019 Vorschläge dazu erarbeiten. Wir wollen mehr Gleichheit bei der Behandlung von Kassen- und Privatpatienten. Außerdem  müssen Vertragsärzte künftig nicht mehr 20, sondern 25 Wochenstunden für Kassenpatienten aufbringen. Das soll die Wartezeiten für Kassenpatienten verringern.

Wenn die SPD-Mitglieder dennoch nicht vom Koalitionsvertrag überzeugt werden können  – was dann?

Kramme: Dann wird es keine große Koalition geben. Aber ich bin mir sicher, dass sich die Mitglieder überzeugen lassen werden.

Wie würden Sie die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges einschätzen? 70:30?

Kramme: Das halte ich für realistisch.

Was wird aus Anette Kramme in einer neuen großen Koalition?

Kramme: Das ist erstens nicht relevant und wird sich zweitens erst in den nächsten Wochen zeigen.

Es gibt noch keine Entscheidung?

Kamme: Nein. Der Parteivorstand hat die Vergabe der Ministerämter noch nicht besprochen. Erst der neue Arbeitsminister oder die neue Arbeitsministerin wird entscheiden, wer Parlamentarischer Staatssekretär wird.

Sie würden das Amt als Parlamentarische Staatssekretärin gerne weiterführen?

Kramme: Ich mache seit vielen Jahren Arbeits- und Sozialpolitik mit Leidenschaft. Wenn ich dort Gestaltungsmöglichkeiten habe, ist das wunderbar. Aber ich könnte auch andere Themenfelder für mich finden.